Gedanken zum „Todesstreifen“ an der ehemaligen Grenze
der DDR zur BRD
Ob in Gedenkstätten, Medien oder im Fernsehen, die Grenze zur BRD wird heute gleichgesetzt mit einem
Todesstreifen und wider besseres Wissen mit viel Phantasie ausgeschmückt. Sicher auch dadurch
begünstigt, dass zu DDR-Zeiten, als die Menschen gern etwas über Grenze und Grenzregime gewusst
hätten, vieles geheim war und heute, wo alles zugänglich ist, nur noch wenige die historische
Wahrheit sehen wollen.
2019 im 30. Jahr des „Mauerfalls“ erlangt dieses Thema natürlich besondere Bedeutung.
Ich nehme es deshalb zum Anlass, mit Fakten zur Aufklärung beizutragen. Dass die Meinungen
dazu auseinander gehen werden, ist mir bewusst.
Zunächst gab es auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens Besatzungszonen in Deutschland
und Berlin und zwischen diesen Demarkationslinien, die meist ehemaligen Ländergrenzen folgten.
Über die Ordnung an diesen Grenzen wachten die Besatzungsmächte, ab 1946 in der sowjetischen
Besatzungszone auch mit Hilfe von Deutschen Grenzpolizisten.
Was heute als Todesstreifen dargestellt wird , waren damals primitive Schlagbäume und einfache
Hinweisschilder.
Hauptanliegen der Grenzer war es in dieser Zeit, Schmuggel und die Flucht von Kriegsverbrechern
über die Demarkationslinie zu verhindern.
An der ehemaligen Grenze am Rennsteig, nahe der Schildwiese bei Spechtsbrunn steht
ein 2009 zum Rennsteigkirchentag installierter Gedenkstein mit der Aufschrift – Den Opfern von
Mauer und Stacheldraht. Die ersten drei Opfer gab es von 1946 bis 1952. Wo waren da Mauer
und Stacheldraht?
Demgegenüber wurden allein im Aachener Bezirk an der Grenze zu Belgien in drei Wochen von
Dezember 1947 bis Januar 1948 6 Personen, darunter drei Jugendliche im Alter von 14, 16, und
18 Jahren durch westdeutsche Zöllner erschossen. Bis 1950 stieg diese Zahl auf 30!
Wo sind deren Gedenksteine?
Mit der Währungsreform 1948 in den westlichen Besatzungszonen und Westberlin und der Gründung
der BRD im Mai 1949 wurden Fakten geschaffen, die schwerer wogen als Mauer und Stacheldraht.
Die Gründung der DDR am 07.10.1949 war ein folgerichtiger Schritt. Spätestens dann wurde die
Demarkationslinie zu einer Staatsgrenze.
Bis heute haben sich Politiker nicht damit abfinden können, sie auch so zu benennen, nicht einmal
in Schulbüchern!
Die Bezeichnung „innerdeutsche Grenze“ mag insofern verführerisch sein, weil auf beiden Seiten
Deutsche lebten.
Völkerrechtlich ist es inakzeptabel und allein dem Alleinvertretungsanspruch der BRD für alle
Deutschen geschuldet.
Noch absurder ist der üblicherweise gebrauchte Begriff Zonengrenze, ein Relikt aus der Zeit vor 1949.
Von 1949 bis 1956 wurden 10 Angehörige der Deutschen Grenzpolizei während ihres Dienstes getötet.
Darunter Wachtmeister Herbert Liebs am 21.02.1951 von amerikanischen Soldaten des
14. Panzeraufklärungsregiments und die Wachtmeister Werner Schmidt und Heinz Janello nach ihrer
Verschleppung in die BRD am 02.03.1951.
Am 01.02.1953 fand in Aachen eine Generalversammlung der Zöllner der BRD statt. Erich Dentler,
der 1. Bundesvorsitzende der Zöllner äußerte da im wiedergegebenen Wortlaut, „es seien jetzt auch
hier einige Beamte,die noch vor nicht allzu langer Zeit Dienst an der Zonengrenze verrichtet hätten. …
und leider sei es schon vorgekommen, dass eine frivol von drüben abgeschossene Kugel pflichtgetreue
Zollbeamte getötet hat. Eine üble Lüge, die gut in die Zeit passte!
Nicht ein Beamter westlicher Grenzschutzorgane oder gar der Alliierten wurde von DDR Seite aus bis
1990 jemals be- oder erschossen!
Wen wundert es, wenn die Sicherheitsinteressen der DDR es 1952 erforderten, ein erstes Grenzregime
mit einer 5 km-Sperrzone und einem 500m-Schutzstreifen zu installieren, an der bis dahin nicht
gesperrten und nicht offiziell markierten Grenze, zu installieren.
Der „kleine Grenzverkehr“ war damit beendet.
Möglichkeiten zum unbeschadeten, illegalen Überwinden der Staatsgrenze gab es noch viele,
besonders an den noch offenen Sektorengrenzen in Berlin.
Noch ging die DDR von einer möglichen, angestrebten Wiedervereinigung aus.
Am 13.02.52 richtete die Regierung der DDR eine Note an die
Siegermächte Sowjetunion, USA, GB und Frankreich mit dem Angebot für einen baldigen
Friedensvertrag.
Die Sowjetunion schlug den drei westlichen Besatzungsmächten am 10.03.52 vor, baldige
Verhandlungen über einen Friedensvertrag und die Herbeiführung der Deutschen Wiedervereinigung
in einem blockfreien Land zu führen. Das Ergebnis ist bekannt.
Stattdessen wurde die BRD in die Nato integriert.
Mit einem Staatsvertrag 1955 erhielt die DDR von der ehemaligen Besatzungsmacht Sowjetunion
die volle, staatliche Souveränität zurück. Von da an sicherten die Angehörigen der Deutschen
Grenzpolizei die Staatsgrenze zur BRD eigenständig, nunmehr auch die Grenze zwischen zwei sich
feindlich gegenüberstehenden Militärblöcken.
Am 13.08.1961 wurde die Grenze in Berlin geschlossen, an der „Westgrenze“ ein strengeres
Grenzregime eingeführt.
In der 5 Km Sperrzone gab es ein begrenztes Recht zum Wohnen und Aufenthalt, Passierscheine waren
erforderlich, auch für den Besuch von Verwandten. Zuständig dafür war die Deutsche Volkspolizei.
Für den unmittelbar an der Staatsgrenze befindlichen 500 m-Schutzstreifen galten erhebliche
Einschränkungen für Bewohner und Arbeitskräfte.
Verantwortlich im Schutzstreifen waren ausschließlich die Grenztruppen, die seit September 1961 dem
MfNV der DDR unterstellt waren.
Es begann die Verminung von Teilabschnitten an der Grenze durch Angehörige von Pioniereinheiten
der NVA.
Trotz voller Souveränität der DDR hatten hier die sowjetischen Partner in Wahrung ihrer Interessen
an der Trennlinie des Warschauer Vertrages zur Nato das Sagen.
Seit 1962 waren erstmals überwiegend Wehrpflichtige im Grundwehrdienst an der Staatsgrenze
eingesetzt. Sie trugen als Postenpaar im Grenzdienst die volle Verantwortung. Junge Menschen, in
der DDR aufgewachsen, nicht selten studiert und oft schon Familienväter.
In der Zeit bis 1962 erhöhte sich die Zahl der getöteten Grenzer der DDR auf 18.
Darunter Hauptmann Rudi Arnstadt am 14.08.1962 durch den BGS-Angehörigen Plüschke bei
Setzelbach in der Rhön.
Am 24.02.1964 gab die Aachener Volkszeitung bekannt, dass der 36 jährige Friedrich Hasselfeld an
der Grenze zu Belgien aus 20 m Entfernung von einem Zöllner erschossen wurde. Er hatte nicht mit
seinem Moped angehalten. Hasselfeld wurde ein Opfer des Bundesdeutschen Schießbefehls. Er
hinterließ eine Familie mit zwei Kindern für eineinhalb Pfund Kaffee, 100g Tee und 20 Eier!
Sein Name wurde vorsorglich in den Medien geändert, weil es ein Republikflüchtling aus Stralsund
war.
Welch eine Ironie!
Seit August 1967 ist die Staatsgrenze zur BRD einseitig durch die DDR markiert. Bemühungen, das in
Zusammenarbeit mit der BRD zu tun, scheiterten bis dahin.
Erst sechs Jahre später-1973- erfolgte dann durch eine gemeinsame Grenzkommission an der
Staatsgrenze zur BRD deren Vermessung und Markierung.
Die dabei gesetzten Grenzsteine trugen auf DDR-Seite die Bezeichnung DDR.
Ein BRD auf westlicher Seite gab es nicht!
1972/73 wurden neue Grenzübergangsstellen zur BRD eröffnet, z.B. bei Meiningen und Eisfeld in
Thüringen, damals Bezirk Suhl.
Über Grenzinformationspunkte war es erstmals möglich, sofort zur Klärung wichtiger Probleme,
die Grenze betreffend, Verbindung aufzunehmen. Sicher ein Ergebnis des mit der BRD
abgeschlossenen Grundlagenvertrages.
1975 ging die DDR Verpflichtungen im Rahmen der Konferenz von Helsinki ein, z.B. auch für die
Freizügigkeit des Reisens ihrer Bürger.
Über 108 Staaten der Welt hatten inzwischen die DDR als eigenständigen Staat anerkannt, der auch
selbständig neben der BRD Mitglied der UNO war.
Allein die BRD hat ihren Anspruch auf Alleinvertretung deutscher Bürger nicht aufgegeben. Ein
wesentlicher Grund wohl dafür, dass das Tauwetter in den Beziehungen wieder endete.
In der Nacht vom 18. zum 19.12.1975 gelang es dem mehrfach vorbestraften, fahnenflüchtigen
Angehörigen der NVA Weinhold zwei Grenzsoldaten mit 30 Schuss aus einer Maschinenpistole
Kalaschnikow heimtückisch zu erschießen und in die BRD zu flüchten.
In den nachfolgenden Prozessen gegen ihn in der BRD konnte er sich auch auf den damaligen Leiter
der Zentralen Erfassungsstelle von DDR Kriminalität in Salzgitter berufen, der in der Frankfurter
Rundschau kundtat, dass „Jeder DDR- Bürger, der in die Bundesrepublik fliehen will, das Recht hat
sich zu bewaffnen und, wenn er in seiner Freizügigkeit gehindert wird, diese Waffe auch einzusetzen“.
Am 08.August 1976 setzt der damalige Innenminister der BRD noch eins drauf, indem er der Bild am
Sonntag mitteilte, dass der Bundesgrenzschutz „sogar verpflichtet sei“ Durchbrüche an der
Staatsgrenzeder DDR zu unterstützen. „Das schließt auch die Möglichkeit des Schusswaffengebrauchs
ein“.
Der Ausbau der Staatsgrenze wurde Ende der 70-iger Jahre fortgesetzt, Minenfelder aus den 60-iger
Jahren wurden geräumt und z.T. neu verlegt, Streckmetallzäune zur Begrenzung errichtet und erstmals
auch sogenannte „Selbstschussanlagen“ an 3m hohen Streckmetallzäunen installiert.
Durch die Errichtung von Grenzsignal-und Sperrzäunen an der Begrenzung des Schutzstreifens konnten
Anzeichen für Grenzverletzungen schneller festgestellt werden.
Die Anwendung der Schusswaffe, zunächst entsprechend der Schusswaffengebrauchsordnung der DDR,
ab 1982 als Bestandteil des Grenzgesetzes, war dadurch auf ein Minimum begrenzt.
Wer es trotzdem schaffte, eine Minensperre zu erreichen und zu passieren, begab sich in höchste
Gefahr und ignorierte alle diesbezüglichen Hinweise.
1983 entschied Erich Honecker für die DDR, ohne Konsultation der sowjetischen und anderen Partner
des Warschauer Vertrages, die vollständige Räumung aller Minen an der Staatsgrenze der DDR zur
BRD. 1985 war diese Aufgabe mit Unterstützung von Pioniereinheiten der Landstreitkräfte der NVA
erfüllt.
Damit waren sicher Hoffnungen der Bürger der DDR für Reisen in die BRD verbunden. Einen Anstieg
der Grenzverletzungen in Richtung BRD gab es nicht, dafür eine gewisse Aufbruchstimmung, auch bei
den Grenzsoldaten.
Diese Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen.
Fazit – die Grenze zwischen der DDR und der BRD, zwischen dem Warschauer Vertrag und der Nato
war ein historischer Fakt mit vielen verschiedenen Ursachen, die es nicht rechtfertigen , sie heute
ideologisch wirksam als Todesstreifen zu bezeichnen, vor allem nicht so, als wäre die Gefahr immer
nur von östlicher Seite ausgegangen.
In einem Buch „Todeszone“, aufgelegt 2003 im Heyne-Verlag heißt es dazu „Die spektakulären
Operationen einer deutschen Eliteeinheit. Ein Topagent packt aus“ Im weiteren „Ein Tatsachenbericht
von höchster politischer Sprengkraft... CIA und BND haben von Westdeutschland aus
Geheimdienstoperationen in der DDR geplant und durchgeführt.
In unzähligen Top-Secret-Einsätzen überquerte das sogenannte „Elitekommando Ost“ die
deutsch-deutsche Grenze, verhalf Überläufern zur Flucht und verübte Sabotageakte an wichtigen,
ostdeutschen Einrichtungen .
Durch diese Aktionen sollte die politische Führung der DDR geschwächt und der Widerstand im Volk
geschürt werden...“
Laut diesem Buch mordeten und sabotierten in den USA ausgebildete Angehörige der Bundeswehr
auf dem Territorium der DDR – das ist ein starkes Stück!
Zurück zu den Fakten.
Die Staatsgrenze der DDR zur BRD und Westberlin hatte eine Länge von 1543 km.
Zwischen 1946 und 1989 gab es an dieser Grenze laut der Erfassungsstelle Salzgitter 197 Todesopfer.
Darin sind wohl auch 25 getötete Grenzsoldaten der DDR enthalten!
Die ARD meldete am 13.08.2017 in der Tagesschau 140 Opfer. Andere Quellen , wie das
Mauermuseum, beziffern am 08.08.2014 die Zahl der Opfer auf 1720!
Allein darin wird sichtbar, wie politisch motivierter Wunsch und Realität auseinander klaffen.
Sicher ist, dass jedes Opfer dieser politischen Realitäten jener Zeit zu bedauern ist.
Ganz besonders liegt es uns am Herzen, das Andenken der Grenzer, die an der Grenze der DDR
zur BRD umkamen, zu bewahren.
Ich habe selbst 23 Jahre an dieser Grenze gedient und weiß sehr wohl, welche überaus harten
Anforderungen die Wehrpflichtigen Soldaten im Grundwehrdienst, die Unteroffiziere, die Fähnriche
und Offiziere auf sich nahmen, um Leid und Schaden zu vermeiden.
Sie haben es nicht verdient mit so einseitig verurteilenden Bezeichnungen, wie Todesstreifen,
diskriminiert zu werden.
1989 haben Sie wohl einzigartig in der Deutschen Geschichte bewiesen, wie verantwortungsvoll sie
handeln können, wie sie in einer Zeit dramatisch steigender Spannungen in der DDR besonnen
auftraten und den Prozess der Grenzöffnung, anfangs auf eigenen Entschluss, gemeistert haben,
ohne dass dabei ein Schuss fiel!
Und damit sind wir wieder in der Gegenwart.
Wieder gibt es weltweit Flüchtlinge, denen aber niemand mehr das Recht zubilligt, zur Erlangung
ihrer Freiheit auch Waffen einzusetzen.
Wieder gibt es Grenzzäune und Mauern, um Flüchtlinge diesmal außen vor zu halten.
Anfang 2019 erfolgte an der Gedenkstätte Point Alpha in der Rhön eine Veranstaltung mit Deutschen
Jugendlichen.
Anlass war ein Jahrestag der letzten Streife der dort stationierten Angehörigen des
11.Panzeraufklärungsregiments der US-Armee.
Sie waren dort die Helden! Von 1967 bis 1972, vor dem Einsatz am Point Alpha, war dieses Regiment in
Vietnam eingesetzt und verübte dort, nach Feststellung des Internationalen Roten Kreuzes zahlreiche
Kriegsverbrechen.
Einer der Kommandeure dieser Truppe versandte 1968 Weihnachtskarten mit Farbfotos übereinander
gestapelter Leichen ermordeter Vietnamesen.
Die Unterschrift lautete „Von Colonel und Frau George S. Patton III – Frieden auf Erden“
Wie schön wäre es, sagen zu können, dass das vereinte Deutschland ein Garant für den Frieden
in Europa und der Welt wäre.
Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg!
Oberst a.D. Herbert Prauß
zuletzt Kommandeur des Grenzbezirkskommandos Suhl
Quellen:
„Halt ! Stehenbleiben!
Grenze und Grenzregime der DDR“
Edition Ost, Herausgeber Hans Bauer
„Der Tod des Wachtmeisters Herbert Liebs“
Bernd Dehn, März 2017
Herausgeber – Arbeitsgruppe von Verbänden des Ostdeutschen Kuratoriums beim
Landesverband DIE LINKE Thüringen
„Über Todesschüsse an der Westgrenze“
Klaus Huhn
2011 spotless im Verlag Das Neue Berlin, Berlin
Der Kalte Krieg
Die Sicherung der Grenzen
Die Beobachtungsstation der US-Streitkräfte „Point Alpha“ 1952 bis 1991
Herausgeber Landesvorstand DIE LINKE Thüringen, 2. ergänzte Auflage 2011
Mit freundlicher Unterstützung und fachlicher Beratung durch Oberst a.D. Frithjof Banisch,
Oberst a.D. Jochen Sladko, OSL a.D. Egon Hammerschmidt
„Mauerfall“
Erkenntnisse nach 30 Jahren
Jedem Bundesbürger wird seit Jahrzehnten von den politischen Eliten erklärt, dass Grenzregime im
Widerspruch zur Freiheit des Bürgers stehen. Als Beweis mussten und müssen das Beispiel des
Grenzregimes an der Staatsgrenze der DDR zur BRD und die Grenzen zu Berlin (WEST) herhalten,
ohne die wahren Verursacher der Grenze zu benennen.
Erst als sich dieses vom Westen stets mit den Schlagworten „Mauerschützen“, „Todesstreifen“ und dem
erfundenen„ Schießbefehl“ usw. verteufelte Grenzregime im November 1989 erledigt hatte, war
grenzenlose Freiheit für alle Deutschen in Einheit möglich.
So jedenfalls das Paradigma der Meinungsbildner. Geschickt knüpfen die an den ewig bestehenden
und natürlichen menschlichen Wunsch an, seine Grenzen überwinden zu können. Die Menschen
haben diesem natürlichen Entdeckerdrang, dieser ursprünglichen Neugier schließlich ihre eigene
Entwicklung zu verdanken.
Der 9. November 1989 wurde nun als „Mauerfall“ zum Symbol für die Herstellung der „Einheit
Deutschlands in Freiheit“.
Die politischen und ökonomischen Eliten und deren mediale Gefolgschaft betreiben an den Tagen rund
um dieses Datum in jedem Jahr einen beträchtlichen Aufwand.
Anlässlich der dreißigsten Wiederkehr der Öffnung der Grenzübergangsstellen der DDR zu Berlin
(WEST) und der BRD, um den Vorgang „Mauerfall“ wenigstens einmal korrekt zu bezeichnen,
ist dieser Aufwand schon zu Jahresbeginn beeindruckend.
Im Informations- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF laufen beinahe rund um die Uhr, aber
nicht nur dort,Beiträge mit Inhalten und den Darstellungen von Protagonisten, die dem seriösen
Anspruch dieses Senders wohl kaum gerecht werden.
Gegendarstellungen sind nicht zu entdecken. Doch es stehen Wahlen für drei Landtage im Beitrittsgebiet
und für die Organe in der Europäischen Union (EU) bevor, und so kann man kaum etwas falsch machen,
wenn man sich diesem Jubiläum mit besonderer Hingabe widmet.
Bei den Leuten im Osten lassen 30 Jahre nach dem „Mauerfall“ die Erinnerungskultur und ihr
Demokratieverständnis, wie Erhebungen zeigen, noch immer sehr zu wünschen übrig.
Hinzu kommt, dass den Deutschen die ungesicherten EU-Außengrenzen derweil nachhaltige eigene
Erkenntnisse zum Thema „Freiheit ohne Grenzen“ bescherten.
Durch Verdrängungen dieser und weiterer Realitäten haben die christlichen wie auch sozialen Volksparteien,
Teile der Partei DIE LINKE und auch derBündnis-90 Grünen beim Wahlvolk schon geraume Zeit nicht
mehr den besten Ruf.
Hinzu kommen in den fünf neuen Bundesländern der Unmut über das, was sie in den Jahren der Einheit
erlebt haben, was sie bilanzieren können und was nicht wenige von ihnen auf die Straße treibt, vom
Schüler über den Mieter bis zum Rentner.
Die Gesellschaft ist in Bewegung gekommen.
In solchen Situationen ist Handlungsbedarf angezeigt! Man muss den Leuten mit Nachdruck die
einstige schreckliche „zweite Diktatur in Deutschland“ erklären, und dabei Vergleiche zum
deutschen Faschismus ziehen, natürlich ohne an den braunen Mief in eigenen Kellern auch nur
zu denken.
An die einstigen freiheitsliebenden Aktivisten der Einheit zu erinnern ist auch Pflicht, obwohl einige
von denen inzwischen wegen ihrer ausschweifenden Fantasieprodukte in Sachen
DDR-Alltag nur noch mit Nachsicht, Mitleid oder gar mit Personenschutz zu ertragen sind.
Der parlamentarische Nachwuchs erklärt derweil in besonders engagierter Weise
die denkwürdigen Ereignisse des Herbstes 1989. Und sie erklären auch die Folgen sehr lebensnah.
So zum Beispiel:
• wie der Sieg der Demokratie über die „SED-Diktatur“ ablief;
• wie demokratisch die ersten „freien Wahlen im Osten Deutschlands“ stattfanden;
• wie die Einheit Deutschlands in Freiheit zustande kam;
• was das für die Einleitung der Morgendämmerung im Osten Europas bedeutete;
• wie die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens der Völker Europas nach dem Ende des
Kalten Krieges im von Gorbatschow proklamierten „Gemeinsamen Haus Europa“ durchaus erstrebt,
doch dann von Putin 2014 mit der Krim zerstört wurde;
• wie man die Freizügigkeit der Wahl des Wohn- und Arbeitsortes in „Europa“ (?), des Reisens,
des freien Zugangs zu Märkten, Waren und Dienstleistungen schätzen muss.
Zu jeder sich bietenden Gelegenheit, ob in Krimis, Spielfilmen, Talkshows oder Nachrichten, bei
Trauer- oder Festreden werden zu diesen Themen Geschichten gekonnt in Bilder verpackt.
Geschichte wird aufgearbeitet, oder besser gesagt neu geschrieben und so kommt die Authentizität
immer mehr unter die Räder.
Sowohl Ängste als auch Hoffnungen werden gezielt geweckt oder Empörungen in eine gewünschte
Richtung gelenkt.
Nachrichtenmacher beleben allabendlich die Fantasie ihrer Konsumenten durch subtile, ideologisch
verblendete Darstellungen aktuelle Ereignisse.
Die Macher vergessen dabei anscheinend, dass nicht die sprunghaft anwachsende Zahl der Aktivisten
der friedlichen Revolution und die Schönen von heute und deren Taten die
Leute wirklich bewegen, sondern die Probleme vom heutigen Tag und die Sorgen in Erwartung
des Morgen.
Selbst die Auffälligkeit, dass neuerdings besonders die Verdienste der Ostdeutschen
am „Mauerfall“ Würdigung finden, bewegt immer weniger Leute im Osten des Landes, und im
Westen noch weniger.
In Deutschland verstehen viele Leute der Kriegs- und der Nachkriegsgenerationen nun aus dem
eigenen Erleben, dass der „Mauerfall“ am 9. November 1989 in einem unmittelbaren Zusammenhang
stehen muss mit ihren Problemen von heute.
Der war eine Voraussetzung und der Auslöser zugleich für die hemmungslose Restauration des
Kapitalismus in ganz Europa.
Die bis dahin bestehenden und durchaus wirkenden Korrektive des Systems im Osten für Entwicklungen
im Westen waren entfallen.
Dann haben die Menschen mit den vor 20 Jahren unter deutscher Beteiligung begonnenen
Jugoslawienkriegen das Ende der längsten Friedensperiode auf dem Kontinent hinnehmen müssen.
Die Preisgabe des Teuersten, was diese Generationen wertschätzen und wofür sie in Zeiten des Kalten
Krieges eintraten, der Frieden, wurde zugunsten einer fragwürdigen Freundschaft geopfert und
deutsche Soldaten führen seitdem wieder in fremden Ländern Kriege.
Die Mehrzahl der Ostdeutschen musste erfahren, wie plötzlich Arbeitslosigkeit zum normalen Leben
gehört und wie das bei einem Teil von ihnen, besonders bei Frauen, in ihren Renten schmerzlich zu
Buche schlägt.
Die Industrie brachte im Anschlussgebiet, die Entvölkerung auf dem Lande, die Verteufelung
der „Platte“ und die umfänglichen Verkäufe kommunalen Wohneigentums, die Agenda 20/10,
Kinderarmut, Bettler, Obdachlose und Menschen als Ware in der Hand von kriminellen Großfamilien
einerseits, aber die permanente Diffamierung und Entwertung der eigenen Biographie und
Lebensleistung nach dem Beitritt zur BRD andererseits sind schmerzliche Erfahrungen.
Kein Wunder also, wenn im Verlaufe von 30 Jahren Schritt für Schritt bei so manchem Bürger im Osten
die Erkenntnis wuchs, dass mit dem „Mauerfall“ und dem Verschwinden der bipolaren Welt und
mit Gorbatschows Ajapopaja vom „gemeinsamen Haus Europa“ das Einfallstor geöffnet wurde für:
• die schnellstmögliche Demontage des DDR – Grenzregimes, ohne schon damals der Idee von
Schengen in aller Konsequenz nachzugehen, also den veränderten inneren Bedingungen an
den Binnengrenzen der Schengenstaaten zu entsprechen durch ein angemessenes Grenzregime,
das den absehbaren Gefahren der unkontrollierten Migration an den Schengener Außengrenzen
entgegenwirkt;
• das Überstülpen aller ökonomischen, politischen, juristischen und kulturellen Verhältnisse und
damit auch diverser Fehlentwicklungen des Kapitalismus der Bonner Republik auf das
Anschlussgebiet, ohne Prüfung und Übertragung von Erhaltenswertem von dort auf das nun
vereinte Deutschland;
• die Rückgabe einstiger Pfründe und Privilegien an Adel und „Alteigentümer“, ungeachtet des im
Anschlussgebiet auf Gesetzesgrundlage entstandenen Eigentums und der längst erfolgten
Entschädigungszahlungen im Westen;
• die Begünstigung und aktive Hilfe bei der größten kriminellen Privatisierung/Reprivatisierung und
straflosen Plünderung von Volksvermögen in Mittel- und Osteuropa und in Teilen Asiens und
den aktiven Einfluss auf Oligarchen und den Export von Politikern zur Wahrung von
Interessensphären des Westens dort;
• die Missachtung der legitimen Interessen der Russischen Föderation nach deren Unterstützung
bei der deutschen Einheit durch die NATO – Osterweiterung, die Untergrabung der Souveränität
von deren Nachbarstaaten und die Inszenierung von Regimewechseln dort.
Für kurze Zeit war man nach dem „Mauerfall“ und seinen Folgen in einer monopolaren Welt
angekommen.
Die einzig übrig gebliebene Weltmacht USA blähte sich auf bis zu ihrer gegenwärtigen
Überdehnung. Ihre politischen Eliten, Medienmacher, Finanzoligarchen und viele Militärs verfielen
offensichtlich der Maßlosigkeit und dem Größenwahn. Kostspielige und militärisch erfolglose
Interventionen und 1000 zu unterhaltende Stützpunkte in aller Welt und ein aufrüstungs-
und waffentechnisch gewaltiger, aber zunehmend verschlissener und bürokratisch
aufgeblähter Militärapparat überfordern den Staat USA.
Dessen Verschuldung ist gigantisch wie nie zuvor. Nun tobt der Konflikt in den eigenen Reihen und unter
den britischen Anhängern um die Frage „Wie Weiter?“. Innere angloamerikanische Krisenbewältigung
ist angesagt.
Die einst mit Verbündeten blauäugig beschworenen gemeinsamen Werte der Selbstbestimmung, Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und die der Menschenrechte werden nun offen wie selten zuvor mit Füßen
getreten. Wir erleben nicht zum ersten Mal wie in heilig beschworenen Freundschaften in kritischen
Zeiten entstehende Konflikte stets auf Kosten der Schwächeren in dieser heiligen Freundschaft
gelöst werden.
Es geht um Eigeninteressen der auf den Plan getretenen Hauptkonkurrenten in einer sich neu formierenden
multipolaren Weltordnung-
Versuche der Neuaufteilung der Lebensgrundlagen der Menschheit bergen dabei immer wieder ein
gewaltiges Gefahrenpotential für den Weltfrieden in sich. Da ist Venezuela nur ein aktuelles Beispiel, aber
vorrangig geht der Blick auf die Russische Föderation und auf deren weltweit größten
natürlichen Ressourcen. Die Mehrheit der Bürger in West- und Mitteleuropa empfinden das alles
sehr wohl, warum sonst diese Unruhe?
Sicher aber auch, weil die inzwischen geostrategisch ihre Leistungsgrenze überschreitende USA
es riskieren könnten, mit der zunehmenden militärischen Konfrontation Russlands mit der NATO
akute Gefahren für die physische Existenz Europas heraufbeschwören. Das zu verhindern setzt
jedoch die tätige Emanzipation besonders der politischen Eliten Europas gegenüber den USA
voraus. Trotz vertaner Möglichkeiten Deutschlands und der EU spielen zukünftig die Beziehungen
zu Russland und damit auch zum anderen Teil Europas eine existenzielle Rolle.
Man muss raus aus der eigenen Propaganda der Lügen und Halbwahrheiten und dem ideologisch
bedingt zu Gewohnheit gewordenen Messen mit zweierlei Maß, wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
Der ist vorbei!
Jetzt konkurrieren andere Kräfte miteinander und deren Mittel und Methoden sind in
ihrem Wesen anders als die von damals!
Eine multipolare Welt ist jedoch noch möglich.
Auch diese Erkenntnis bewegt die Menschen
30 Jahre nach dem „Mauerfall“
Oberst a.D. Frithjof Banisch