Schüsse an der Grenze

 von Horst Liebig

Einleitung

 

Allenthalben trifft man heutzutage vor allem in Deutschland auf viele Publikationen, auf Zeitungsartikel und längere Betrachtungen in Journalen bis hin zu mehreren Hundert Seiten umfassende Bücher, die der antikommunistischen, vom Zeitgeist bestimmenden Geschichtsumschreibung dienen. Dabei wird die DDR geschmäht, verketzert, mit Schmutz beworfen und letztendlich, der untaugliche Versuch unternommen, diesen zweiten deutschen Staat zu "delegitimieren".

Die Apologeten dieser groben Entstellung der historischen Wahrheit befleißigen sich schamlos und unverfroren einer unseriösen, die Tatsachen auf dem Kopf stellender Geschichtsklitterung, die sich wie ein roter Faden durchgängig durch ihre Pamphlete zieht.

In letzter Zeit drängt sich ein gewisser Herr Dr. Hubertus Knabe immer mehr in den Vordergrund und maßt sich hier in diesem Metier eine bestimmende Deutungshoheit an.
Knabe, seines Zeichens Direktor der "Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen" - im übrigen, diese Gedenkstätte ist ein vom Zeitgeist des Antikommunismus geprägter Ort - reiht sich würdig ein in den Kreis derer, die sich die Verteufelung der DDR auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Ob Alexandra Hildebrandt, Roman Grafe, Dietmar Schultke, Werner Sikorski, Rainer Laabs, Heiner Sauer, Otto Plumeyer, Peter Joachim Lapp und Stefan Wolle, um nur einige hier zu nennen. Sie alle bilden einen trauten Verein, der meint, nur er habe die Wahrheit gepachtet, die Geschichte der DDR zu deuten und letztendlich umzu-schreiben. Alle andere haben gefälligst den Mund zu halten, sie sind eben Ewiggestrige, Betonköpfe, (N)ostalgiker und SED-Nomenklatura. Basta.
Diesen Klüngel geht es nicht um eine ehrliche Geschichtsbetrachtung und -darstellung, es geht ihnen einzig darum, die DDR weiter zu diffamieren und sie für alle Zukunft zu verteufeln.

Ein bevorzugtes Angriffsziel ist bei diesen "Historikern", diesen selbsternannten "Experten" und "Alleswissern" das Grenzregime der DDR, der Schusswaffengebrauch an der Staatsgrenze der DDR, die Verlegung von Minen und die "Mauerschützen".
Das macht sich immer gut, da gab es Tote und Verletzte, damit kann man auch den Uninteressierten, den Ahnungslosen und politisch Unbedarften aufschrecken, diese schockieren und letztlich in Rage versetzen.

Dieser infame, bösartige Versuch, die Geschichte der DDR in ihren internationalen Kontext umzudeuten und ihre Sicherheitspolitik zu verleumden ist letztlich zum Scheitern verurteilt, vor allem, wenn wir uns dem vehement entgegensetzen und anhand historischer Fakten die Wahrheit beweisen.

Real wirkende Kräfte, historische Tatsachen und Ereignisse berücksichtigen diese vom Hass auf die DDR zerfressener Kräfte nur dann, wenn sie in das angestrebte Geschichtsbild passen. Funktioniert das nicht, unterdrückt man sie oder werden durch willkürliche Auslegungen bis hin zu Fälschungen passend gemacht.

Diese Vorreiter des Antikommunismus verschweigen geflissentlich die tatsächlichen Ursachen der DDR-Grenzsicherungsmaßnahmen und zetern heuchlerisch und demagogisch nur über deren Folgen und tragischen Ereignissen.
Sie verlieren dabei kein Wort über die politischen Zusammenhänge und Hintergründe im internationalen Geschehen und auch kein Wort über das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander. Es ist keine Rede zu den von westlicher Seite zu verantwortenden politischen, geheimdienstlichen und vor allem militärischen Tatsachen und Fakten, die maßgebend das Regime an der Staatsgrenze der DDR mitbestimmten.

Die folgenden Gedanken und Tatsachen sollen helfen das heuchlerische Getue, das demagogische Treiben dieser "Wahrheitsapostel" ad absurdum führen.

"Halt stehen bleiben! - Grenzposten!"

So oder auch ähnlich hört man diese Aufforderung oder auch Warnruf fast überall an den Grenzen, die Staaten voneinander trennen. Dieser Ruf ertönt in verschiedenen Sprachen aus den Mündern von Grenzpolizisten, Grenzsoldaten, Grenzwächtern, Zöllnern und auch Bundespolizisten. Er ertönt unter anderem an der Staatsgrenze zwischen den USA und Mexiko, an der russisch-finnischen Grenze, an der Trennlinie zwischen den NATO-Staaten Türkei und Griechenland, an der Grenzmauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten.

Er erschallte auch viele Hunderte Male an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland.

Leistet der Grenzverletzer, der Flüchtling, der Grenzgänger, der Schmuggler oder wie immer man diesen Personen bezeichnen möchte, dieser Weisung nicht Folge, erfolgt meist ein Warnschuss. Setzt die Person ungeachtet all dessen, seinen Weg fort, wird in den meisten Fällen dann auch gezielt geschossen.

Diese Aufforderung und diese Handlung erfolgt auf der Grundlage der jeweiligen gesetzlichen und staatlichen Bestimmungen und besitzt Weisungscharakter. Da die Exekutivorgane bewaffnet sind - die Schusswaffen dienen dem Schutz der eigenen Person und als aktives materielles Hilfsmittel auch zum Stellen von Personen, die sich einer Festnahme durch Flucht entziehen wollen - sind sie auch berechtigt, befugt oder angehalten, die Schusswaffe anzuwenden.
Dabei geht der Gesetzgeber immer davon aus, dass der Gebrauch der Schusswaffe nur die Ultima ratio, also das letzte Mittel sein kann.

Fast alle Bestimmungen, Vorschriften und Gesetze legen fest, dabei das Leben der Flüchtenden zu schonen und sie bewegungsunfähig zu machen. Auch auf Kinder und bestimmte Personenkreise - um welche Kreise es sich dabei handelt, legt der betreffenden Gesetzgeber unmissverständlich fest - darf nicht geschossen werden.

Diese Art und Weise der Sicherung von Staatsgrenzen, von Demarkationslinien und auch von sonstigen gesetzlich festgeschriebenen Trennungslinien, hat sich im Verlaufe der Geschichte der menschlichen Zivilisation, der Existenz von Staaten oder anderen Verwaltungsformen herausgebildet.
Das galt auch ohne Abstriche für die Exekutivkräfte der Grenzsicherungsorgane der DDR.

Im übrigen werden auch bestimmte Territorien innerhalb von Ländern und Staaten durch bewaffnete Kräfte gesichert und auf Schildern, die Anwendung der Schusswaffe angedroht, wenn unbefugte Personen dieses Territorium betreten sollten.

So die Truppenübungsplätze und bestimmte militärische Objekte der Bundeswehr in der Bundesrepublik Deutschland.

In den 43 Jahren der Existenz der Trennlinie zwischen beiden Teilen Deutschlands - erst der Demarkationslinie und später der Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD - und in den 28 Jahren des Bestehens der Mauer um Westberlin gab es ostwärts der Grenzlinie ein repressives, strenges Grenzregime.

An dieser Staatsgrenze fielen Schüsse, ja - es wurde geschossen und leider auch erschossen. Minen explodierten. Bedauerlicherweise führte das zu Toten und Verletzten.

An der Staatsgrenze der DDR starben aber auch Soldaten, nicht etwa im heißen Krieg, sondern feige hinterrücks erschossen, heimtückisch erschlagen, kaltblütig und brutal ermordet.

Sie ließen ihr Leben, weil einzelne Verbrecher sich herausnahmen, sich selbstsüchtig den Weg, wie es in den westlichen Medien damals lauthals tönte und schwarz auf weiß fixiert wurde, sie wollten ja nur "von Deutschland nach Deutschland" gehen.

Alle diese Opfer starben in dem von Politikern, Militärs und Geheimdienstleuten beider Seiten kühl geplanten, stabsmäßig exakt organisierten und infam in Szene gesetzten Kalten Krieg.

Eines steht unumstößlich fest: Jedes Opfer an dieser Grenze war eines zuviel.

Anfänge der Grenzsicherung

Die Kernfrage nach dem Krieg - was für ein Deutschland entstehen sollte - hatte sich 1949 immer mehr zugespitzt.

Die damals entstandenen beiden deutschen Staaten waren schließlich Produkte des Kalten Krieges, der bereits im vollen Gange war.

Das wirkte sich vor allem auch auf die Lage an der Grenze, der damaligen Demarkationslinie zwischen der sowjetischen Besatzungszone und der britischen und US-amerikanischen Zone aus.

Die Spaltungs- und Spannungspolitik des Westens - die Währungsreform wurde erst in den Westzonen eingeführt, zwei Währungen in einem Land trennte mehr als Stacheldraht und Mauer, erst wurde die BRD und dann die DDR gegründet - die immer schroffere Abkehr von den grundlegenden Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens, kennzeichnete auch die Situation an der Demarkationslinie. Auch der Osten tat ein übriges, so dass sich die Lage weiter verschärfte.

Diese zunehmenden Machenschaften machte die Demarkationslinie zu einer regelrechten und auch immer mehr trennenden Linie.

Sie mutierte von einer Demarkationslinie seit der Bildung der beiden deutschen Staaten zu einer Staatsgrenze.

Immer stärker traten von westlichen Agenturen gesteuerte und von diversen Geheimdiensten inszenierte politische Provokationen, gefährliche Störaktionen und zahlreiche subversive Handlungen in den Vordergrund.
Kriminelle Subjekte agierten als Grenzführer, nutzten die Unkenntnis der von ihnen geführten illegalen Grenzgänger skrupellos aus, nahmen ihnen Geld ab raubten sie mitunter auch aus und es gab auch schon Tote und Verletzte.

Zwielichtige Elemente verdingten sich für acht Groschen, um die Bürger im entstehenden Grenzgebiet zu verunsichern und zu terrorisieren.

Angehörige westlicher Besatzungstruppen leisteten dabei oft Schützenhilfe. Schon seit 1948 gingen westliche Besatzungstruppen und auch westdeutsche Polizei - letztere meist aus ehemaligen Berufssoldaten der Wehrmacht, der SS und der Nazi-Polizei bestehend - zu offenen Provokationen über. Erste Schüsse fielen und die östlichen Polizeikräfte hatten Verwundete zu verzeichnen.

Nazi- Kriegsverbrecher suchten ihr Heil im Westen, Bürger aus der sowjetischen Besatzungszone verlegten illegal ihren Wohnsitz nach Westdeutschland, weil ihnen die gesellschaftspolitische Entwicklung im Osten nicht passte. Enteignete Großgrundbesitzer und Konzernherren machten sich mit ihrem Hab und Gut aus dem Staube. Industrieausrüstungen wurden in die Westzonen verschoben. Ehemalige Konzernangestellte, gekaufte Subjekte und andere reaktionären Kräfte organisierten planmäßig und systematisch den Raub von Rohstoffen und wertvollen Maschinen.

Diesem ungesetzlichen Treiben kam zugute, dass die Demarkationslinie, die Grenze zu den Westzonen und Westberlin eine gewissermaßen offene Grenze darstellte. Außer einigen behelfsmäßigen Sperren und aufgeworfenen Gräben, die leicht zu umgehen waren, befand sich an dieser Trennlinie kein solch dichtes Sicherungssystem, dass eine vollständige, lückenlose Kontrolle und Sicherung der Grenze gewährte.

In dieser Zeit herrschten oftmals chaotische Zustände an der Demarkationslinie. Menschenströme zogen von Ost nach West und umgekehrt.

Flüchtlinge, Vertriebene und Umsiedler waren auf der Suche nach ihren Verwandten, die der Krieg und die tragischen Nachkriegsereignisse in alle Winde verstreut hatte.

Marodierende Banden in us-amerikanischen und sowjetischen Uniformen machten die Gegend unsicher. Schmuggelgut, wie Zigaretten, Kaffee, Schokolade und vieles andere wurden in großen Mengen illegal über die Grenze gebracht.

In der Bayerischen Landesgrenzpolizeistelle Maroldsweisach führte man vom Mai 1946 bis 1950 ein "Haftsachenverzeichnis". In diesem Zeitraum nahmen die Grenzpolizisten 152 Personen wegen "unerlaubten Grenzübertritt" fest. Neben diesen Grenzübertritten waren weitere Festnahmegründe die illegale Beförderung von Waren über die Zonengrenze, das unerlaubte Tragen amerikanischer Uniformen, der unbefugte Besitz amerikanischer Waren und der Schwarzhandel.

Vom Juni 1948 bis Juli 1949 wurden von sowjetischen Soldaten und deutschen Grenzpolizisten 214 der Spionage und Sabotage verdächtige Personen sowie 2 418 kriminelle Verbrecher festgenommen. Dazu kamen noch 668 Großschieber. 1513 Fahrzeuge stellten die Grenzsicherungsorgane dabei sicher und beschlagnahmten Dutzende Tonnen Lebensmittel und wertvolle Industriewaren.

Ostern 1946.

Sowjetische Soldaten hatten im Coburger Land (US-Zone) einer US-Streife mit Waffengewalt einen Jeep entwendet. Dabei kam es zu einer Schießerei, in deren Verlauf ein Sowjetsoldat getötet wurde. Stundenlang standen sich daraufhin gepanzerte Kräfte der Sowjets und der US-Armee an der Demarkationslinie gegenüber.

30. Juni 1946.

Die Sperrung der Demarkationslinie (DL) zwischen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und den westlichen Zonen Deutschlands tritt in Kraft. Die Verordnung war auf Verlangen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom alliierten Kontrollrat erlassen worden.

Durch die Kontrollratsdirektiven 43 und 49 wird die DL für den freien Reiseverkehr gesperrt. Der gesamte Warenverkehr unterliegt der Genehmigungspflicht. Mit der Einführung des Interzonenpasses wird das legale Passieren der DL in beschränktem Maße wieder möglich.

Im Juli 1945 stellten die US-amerikanischen Besatzungsbehörden eine Grenzpolizei auf. Sie nannte sich "Borderpolice" und bestand aus amerikanischen und aus Deutschen, meist ehemalige Soldaten. Daraus bildete sich die bayerische Grenzpolizei.

In Hessen wurde die Grenze, die DL, auch durch die Hessische Grenzpolizei kontrolliert. In den grenznahen Orten errichtete sie Stützpunkte.


28. November 1946. Auf Befehl der SMAD wird die Grenzpolizei der sowjetischen Besatzungszone gebildet. Sie ist Teil der Deutschen Volkspolizei und untersteht den jeweiligen Innenministerien der Länder. Die Angehörigen tragen blaue Uniformen und ein grünes "G" auf dem linken Ärmel weist sie als Grenzpolizist aus. Daneben versehen aber nach wie vor sowjetische Soldaten ihren Dienst an der DL.

!946. Von Rottenbacher Bürgern ( Westzone) wird im Wald an der Grenze eine jüngere Frau mit ihren 10- und 12 jährigen Knaben erschossen aufgefunden. Erst 1997 kann die Kriminalpolizei die Ermordete als die ehemalige Luftwaffenhelferin Christa Larbig aus Eisenach identifizieren.

1946. Der Gutsverwalter Kraus wurde in der Nähe der Ortschaft Schmerbach (Westzone) in einem Waldstück nahe der Straße hinterrücks erschossen.

Ebenfalls 1946 wurde der Viehhändler Schild aus Streufdorf an der Weinstraße zwischen Schwanhausen und Schweickershausen in der Nähe der Grenze von einem westdeutschen Grenzwächter erschossen. Schild befand sich auf dem Rückweg aus der Hofheimer Gegend, wo er "schwarze Geschäfte" betrieb.


13. April 1949. US-Soldaten inszenierten einen schwerwiegenden Zwischenfall. Sie wollten wider allen Recht und Gesetz sieben sowjetzonale Grenzpolizisten festnehmen und gewaltsam auf westdeutsches Territorium verschleppen.. Nur dem besonnenen Verhalten von zur Hilfe eilenden Grenzpolizisten, die sich weder durch die auf sie gerichtete Maschinengewehre noch durch abgefeuerte Schüsse einschüchtern ließen, war es zu danken, dass dieses Vorhaben misslang.


Einem Schreiben der Abteilung Grenzpolizei und Bereitschaften des Landes Thüringen vom 19. Januar 1949 ist zu entnehmen, dass der Bürger Adolf Wieczorek am 11.1.1949 "während des illegalen Überschreitens der Zonengrenze von West nach Ost an der Dorschenmühle bei Seibis von einem Posten der sowjetischen Besatzungsmacht durch Abgabe von mehreren Schüssen tödlich verletzt wurde.
In einer weiteren Meldung der Abteilung Grenzpolizei und Bereitschaften des Landes Thüringen heißt es: "Am 24.6.1949 versuchte der als Lieferwagen umgebaute PKW Opel P4, Pol. Kennzeichen St-27-077 mit zwei männlichen Insassen von Ost nach West im Kommandobereich Berlingerode II bei Bläckenroda die Zonengrenze zu passieren." Die Grenzpolizisten "bemerkten das Fahrzeug und gaben Stoppzeichen, welches durch die Insassen auf jedem Fall bemerkt werden musste. Dessen ungeachtet erhöhte der Fahrer der Fahrgeschwindigkeit und bog in einen Seitenweg ein."

Ein von den Grenzpolizisten "abgegebener Warnschuss wurde nicht beachtet. Da nun die letzte Möglichkeit zur Festnahme erschöpft war, gaben beide Polizisten je einen gezielten Schuss ab, wonach das Fahrzeug in kurzer Zeit zum Halten gebracht wurde." Dann stellten die Polizisten fest, "dass der Fahrer des Wagens durch einen Kopfschuss und eine Brustschuss getötet worden war. ... Nach Feststellung der Personalien handelte es sich um den zonenflüchtigen Kaufmann Werner Hofmann. Selbiger war am 24.6.1949 durch die Kriminalpolizei Mühlhausen wegen Zonenflucht in Fahndung gestellt worden. Der Schusswaffengebrauch der beiden Polizisten war somit berechtigt."


Was den damaligen Schusswaffengebrauch der Grenzpolizisten der sowjetisch besetzten Zone angeht, schreibt Peter Joachim Lapp in dem Buch "Opfer der Mauer": "In einem Befehl vom November 1948 über das `Verhalten der Grenzpolizei bei Schießereien von den westlichen Besatzungszonen her` wies der damalige Präsident der Deutschen Verwaltung des Innern die Grenzpolizisten an, sich nicht provozieren zu lassen und auf ein streng diszipliniertes Verhalten zu achten, `insbesondere durch das strikte Einhalten der Schusswaffengebrauchsbestimmungen`.

Damit war klar: Bereits Ende 1948 gab es bei der Grenzpolizei der SBZ so etwas wie einen Schießbefehl."
Infam dichtet Peter Joachim Lapp die Schusswaffengebrauchsbestimmungen des Jahres 1948 einfach in einen Schießbefehl um. Da er aber sich nicht ganz sicher ist, faselt er von einem, " so etwas wie einen Schießbefehl".


Fakt ist aber und historisch verbürgt, einen Schießbefehl wie auch immer, hat es nie gegeben, auch damals nicht.

 

Wildwest an der Grenze der Bundesrepublik Deutschland zu Belgien und Holland?


AACHENER VOLKSZEITUNG
CHRISTLICH - DEMOKRATISCHE TAGESZEITUNG 10.Juli 1952.

SCHMUGGLER IN SIEF ERSCHOSSEN
Tödliche Kugel aus 50 m Entfernung

Am Mittwochnachmittag wurde in der Raerener Straße in Aachen-Sief ein junger Schmuggler durch einen Pistolenschuss eines Zollbeamten tödlich verletzt. Wie die Kriminalpolizei mitteilte, führte der etwa 17 bis 18 Jahre alte Schmuggler keinen Ausweis bei sich. Er hatte sechs Pfund Kaffee untergepackt. Die Polizei bittet die Bevölkerung um Auskunft über den unbekannten Toten. Der Schmuggler war in der Nähe der Schule von einem Zollbeamten gestellt worden, der ihn nach Angabe der Zollpressestelle durch zweimaligen Anruf und durch fünf Warnschüsse zum Stehen bleiben aufgefordert hatte.

Dieselbe Zeitung veröffentlichte am 14. Juli 1952 unter der Überschrift

TRAGÖDIE VON SIEF IM NEUEN LICHT und der Unterzeile

Angaben des Zollbeamten durch Patronenhülsen fragwürdig

Durch den Fund von fünf Patronenhülsen auf den Wiesen der Landwirte Kerres und Pitz, wo der 18 Jahre alte Schmuggler Hans Schiffers aus Eschweiler von dem Zollassistenten Moitzheim erschossen wurde, sind die Angaben der Zollbeamten über den Hergang der Tragödie so stark in Zweifel gezogen worden, dass die Polizei ihren bereits herausgegeben abschließenden Bericht zurückgezogen hat. Es besteht der Verdacht, dass Moitzheim den tödlichen Schuss nicht, wie er angegeben hat, aus 50 - 60 Meter, sondern aus etwa 12 Meter Entfernung abgefeuert hat.

Die Kernfrage ist: Kann Moitzheim rechtfertigen unter den am Mittwoch gegebenen Umständen einen gezielten Schuss abgegeben zu haben?

Oberrat Busch sprach von einem "ausgesprochenen Genickschuss". Oberstaatsanwalt Dr. Reuter: "Wenn die Aussagen Moitzheims falsch sind, können wir daraus noch nicht den Schluss ziehen, dass er Schiffers fahrlässig oder vorsätzlich erschossen hat."

Am 25.Juli 1952 liest man in der Zeitung: In der vergangenen Nacht erlebten die Hörn-Bewohner auf Zollkosten ein Feuerwerk. Zollbeamte hatten dort eine etwa zehnköpfige Schmugglerbande gestellt und durch zahlreiche Schüsse und reichlichen Gebrauch von Leuchtkugeln am Entkommen zu hindern versucht.

In der christlich-demokratischen Tageszeitung steht am 5. September 1952: Ein Schmuggler, der am Donnerstagnachmittag auf der Strecke Richterlich-Westbahnhof von Zollbeamten gestellt worden war, versetzte einem der Beamten einen Kinnhaken, riss sich los und versuchte zu entkommen. Der Beamte versuchte ihn durch Schüsse zum Stehen zu bringen und traf ihn dabei schwer in den Unterleib.

In diesen Tagen liest man in der Aachener Presse von "gezielten Schüssen", "Warnschüssen" und "unglücklichen Schüssen". Es heißt aber auch: "Er starb für sechs Pfund Kaffee", "Der Genickschuss von Sief" oder "Nach alter Methode: auf der Flucht erschossen".
"An der Grenze herrscht wirklicher Krieg" überschrieb die Zeitschrift "Der deutsche Zollbeamte" im Oktober 1951 einen Artikel.

Zitieren wir noch einmal die Aachener Volkszeitung vom 7.Oktober 1952. Im Simmerather Krankenhaus starb am Sonntagmorgen ein Schmuggler aus Schmidthof an den Folgen eines schweren Bauchschusses, den er am vergangenen Sonntag in der Nähe von Wahlerscheid bei der Flucht vor ihn verfolgenden Zollbeamten abbekommen hatte. Zollbeamte hatten drei Schmuggler verfolgt. Kurz darauf hatten die Beamten den Mann aus Schmidthof mit 60 Pfund Kaffee gestellt. Als seine Personalien festgestellt werden sollten, ergriff er abermals die Flucht. Ein gezielter Schuss traf ihn aus 25 m in die linke Gesäßhälfte. Der zollamtliche Bericht schloss damals mit der Feststellung "Es besteht keine Lebensgefahr".

Der Bericht in der selben Zeitung vom 11.Oktober 1952 auf der Seite 13 eröffnet eine weitere Sicht auf die damalige Lage.

"Zu einer aufsehenerregenden Schmugglerjagd kam es am Donnerstagnachmittag in der verkehrsreichen Hauptstraße am Seitenweg zum Lühberg. Man fasste alle vier Schmuggler. Den Unwillen der Blankenheimer Bevölkerung löste allerdings die Tatsache aus, dass die Zollbeamten mitten im verkehrsreichen Ortszentrum von der Schusswaffe Gebrauch machten. Straßenpassanten konnten sich nur mit Mühe und Not in Sicherheit bringen."

Das "Grenz-Echo", Erscheinungsort Eupen, veröffentlicht auf der Titelseite unter der Überschrift "Schüsse an der Grenze" eine recht ausführliche Stellungnahme zum Schmuggel und der Lage an der Grenze. Es heißt da unter anderem: "Eine gewisse Zeit war es still geblieben. Zwar ging der Schmuggel an der deutsch-belgischen Grenze - wie an allen Grenzen des ganzen Erdballs - weiter, man hörte von Verhaftungen und Beschlagnahme von Panzer-Cadillacs und grünen und braunen Kaffeebohnen, aber auch die "blauen Bohnen" waren offensichtlich seltener geworden... Und damit auch die Zahl der durch deutsche Zollbeamte "zur Strecke gebrachten" Schmuggler, die Ziffer der Toten und Verletzten...

Und weiter heißt es unter der Zwischenzeile: "VON DER KOREAFRONT ZUR KAFFEEFRONT": In diesem Zusammenhang weilte vor wenigen Tagen der italienische Weltreporter Dr. Berlotti, der Deutschlandkorrespondent der Mailänder Zeitung "La Patria" in Aachen. Dieser international bekannte Journalist war erst kürzlich von der Koreafront zurückgekehrt und wollte in Aachen die inzwischen fast weltberühmte gewordene "Kaffeefront" aus eigener Anschauung kennenlernen.

Dr. Berlotti fasste seine in und um Aachen gewonnene Eindrücke in die Worte zusammen: "Ich habe in aller Welt die Lage der Grenzgebiete zur Genüge kennengelernt. Aber selbst da, wo es am heißesten zugeht, fließt bei der Schmuggelbekämpfung nicht soviel Blut, wie ausgerechnet im Aachener Raum."

Zu dieser Lage liest man in einem Leitartikel der "Kölner Rundschau" vom 14. No-vember 1952: Vor etlichen Wochen gab es mitten in der Großstadt Aachen eine solide Schießerei: Beamte des Zollgrenzschutzes hatten ein Schmugglerauto bis mitten in die Stadt hinein verfolgt, und, als die Insassen flüchteten, das Feuer auf sie eröffnet - ohne Rücksicht auf die übrigen Straßenbenutzer. Vor einigen Monaten ist ein junger Mann an der Grenze von Zollbeamten erschossen worden unter Umständen, die - wir wollen dem Richter nicht vorgreifen - auf Mord oder Totschlag hindeuten.

Der Beamte " hat von der Waffe Gebrauch zu machen!"

Auf all diese Vorkommnisse an der Grenze reagierte das Finanzministerium als oberste Behörde der Zollorgane in den "Finanzpolitischen Mitteilungen des Bundesministeriums für Finanzen". Am 24. November 1952 veröffentlichte es einen Artikel mit der Überschrift "Der Waffengebrauch im Zollgrenzdienst". Beim Lesen sind drohende Untertöne nicht zu überhören.
Das Finanzministerium ging davon aus, dass durch die Schmuggelei ein beträchtlicher Steuerausfall zu verzeichnen war. Wörtlich heißt es: "Wenn deshalb dieser hohe Einnahmeausfall schon Anlass genug sein sollte, dass die Öffentlichkeit sich geschlossen gegen das Schmuggelunwesen stellt, dann müsste sie auch darin übereinstimmen, den Beamten des Zollgrenzdienstes den Kampf gegen das organisierte Schmugglertum zu erleichtern. Dazu gehört auch das Recht des Waffengebrauchs für dringende Fälle. Der Zollbeamte an der Grenze dient unter Einsatz von Leib und Leben dem Schutz des Steuerzahlers, der durch den Steuerausfall geschädigt wird, wie auch dem Schutz der deutschen Wirtschaft, der deutschen Währung und der Staatsicherheit.

Neuerdings wird von gewisser Seite versucht, den Beamten des Zollgrenzdienstes das Waffengebrauchsrecht streitig zu machen, obgleich allein im engeren Aachener Raum im letzten Jahr 52 tätliche Angriffe gegen Beamte des Zollgrenzdienstes erfolgt sind.

...Im ganzen Bundesgebiet wurden vor Errichtung der Bundeszollverwaltung bis 6. September 1949 24 Schmuggler, seit dem 7. September 1949 sieben Schmuggler durch Waffengebrauch getötet. In den gleichen Zeiträumen wurden sieben Beamte von Schmugglern getötet.

Wie bereits erwähnt, hatten in der gleichen Zeit Schmuggler nicht weniger als 52 Beamte tätlich angegriffen. Diese Zahlen ergeben eindeutig, wie unentbehrlich und notwendig der Gebrauch der Waffe an der Grenze ist.

... Dazu sei zunächst festgestellt, dass jeder Fall der Waffenanwendung der gerichtlichen Untersuchung unterworfen wird. Die Beamten stehen im Waffengebrauch also ständig unter richterlicher Kontrolle. Tatsächlich musste in den ganzen Jahren nur einmal ein Zollgrenzbeamter wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft werden.

Ein weiterer Fall des Waffengebrauchs mit Todesfolge befindet sich zur Zeit noch in staatsanwaltlicher Untersuchung. Er hat in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt, und eine Zeitung in Aachen hat an Hand dieses Falles die öffentliche Meinung vorweg festgelegt. Auch eine in Köln und Bonn erscheinende Zeitung spricht in ihrer Ausgabe vom 14. November 1952 davon, dass die Umstände auf Mord oder Totschlag hindeuten. Sie wolle aber den Richtern nicht vorgreifen.
... Gerade an Hand dieses Falles hat eine Zeitung ohne objektive Feststellung durch ein Gericht den Beamten in der Öffentlichkeit zum Mörder gestempelt.
... Das Gesetz über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals stammt vom 2. Juli 1921 und ist im Reichsgesetzblatt 1921 S. 935 veröffentlicht worden.

Die Haupttatbestände für die Befugnis zum Waffengebrauch sind im § 1 formuliert:

1. zur Abwehr eines Angriffs oder einer Bedrohung in gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben. An der Notwendigkeit, eines Waffengebrauchs in diesen Fällen zweifelt niemand.

2. zur Überwindung vorsätzlichen gewaltsamen Widerstandes gegen die recht-mäßige Dienstausübung getroffenen Maßnahmen.

3. zur Anhaltung von Personen, welche sich der Befolgung der in rechtmäßiger Dienstausübung getroffenen Anordnungen durch die Flucht entziehen wollen.

In dem Gesetz heißt es weiter im § 2... "dass diesem Waffengebrauch in der Regel ein Anruf vorauszugehen habe, durch den sich der Grenzaufsichtbeamte als solcher zu erkennen gibt und den Angerufenen zur Aufgabe des Fluchtversuches auffordert.

Der Anruf kann durch zwei kurz nacheinander in die Luft abgegeben Schüsse ersetzt werden.
Der § 3 setzt die Grenze, dass der Waffengebrauch nicht weiter ausgedehnt werden darf, als zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes erforderlich ist
... Die Dienstanweisung zum Gesetz über den Waffengebrauch vom 2. Juli 1921 ist am 3. September 1951 neugefasst worden.
... in dem Begleiterlass dazu musste gesagt werden, dass mit den angeführten Hinweisen keine Einschränkung des Waffengebrauchsrechts an sich geboten sei. Wenn der Waffengebrauchsberechtigte einmal erkannt hat, dass er nur mit Waffengewalt das rechtmäßig erstrebte Ziel erreichen kann, so hat er von der Waffe Gebrauch zu machen."

Hier sei einmal festgehalten: "Wenn der Waffengebrauchsberechtigte einmal erkannt hat, dass er nur mit Waffengewalt das rechtmäßig erstrebte Ziel erreichen kann, so hat er von der Waffe Gebrauch zu machen." Da kommt man schon ins Grübeln. Was war eigentlich das rechtmäßig erstrebte Ziel? Den Schmuggler, die Frau, den Mann oder gar das Kind, den Verletzer der Grenze, der illegal die Grenze überschritt, schlechthin den Gesetzesverletzern, wegen der paar Kaffeebohnen den Weg abzuschneiden, die Personen festzunehmen, zu fangen und der Bestrafung zuzuführen?

Und die oberste bundesrepublikanische Finanzbehörde liefert dazu auch noch die rechtsstaatliche Begründung. Denn der Zollbeamte dient ja schließlich "unter Einsatz von Leib und Leben dem Schutz des Steuerzahlers,... wie auch dem Schutz der deutschen Wirtschaft, der deutschen Währung und der Staatssicherheit".

In den "Finanzpolitischen Mitteilungen des Bundesministeriums für Finanzen" heißt es weiter: "die in fast allen europäischen Staaten bestehende völlige Sperrung der grünen Grenze gewinnt grundlegende Bedeutung für die Staatssicherheit und der Ordnung
...Die Überlegungen über angeblich notwendige Änderung der Schießvorschriften - die Ausübung des Schusswaffengebrauchsrecht als solches unterliegt ja der richterlichen Kontrolle - zeigen, dass manche gefährliche Folgen in Kauf nehmen wollen, um nur die persönlich unangenehme Staatsexekutive zu beschränken.

Den Gebrauch der Schusswaffe durch Exekutivbeamte der Staatsgewalt in Ausübung des Dienstes mit der Verhängung der Todesstrafe zu vergleichen, ist sachlich und rechtlich so unhaltbar, dass man darauf nicht einzugehen braucht.

... Für jeden Einsichtigen ist es klar, dass der Beamte des Zollgrenzdienstes zur Überwachung des Warenverkehrs, des Personenverkehrs, vor allem über die grüne Grenze, die unabweisliche Pflicht hat, jeden anzuhalten und festzunehmen, der sie unerlaubt überschreiten will."

Diesen letzten Satz muss man ja wohl zweimal lesen, "der Beamte des Zollgrenzdienstes" hat die unabweisliche Pflicht, "jeden anzuhalten und festzunehmen," der die grüne Grenze "unerlaubt überschreiten will".
Aus diesen unmissverständlichen Text ist zu entnehmen, das hat wohl Gültigkeit für alle Grenzen! .
Bereits im Jahr 1951 titelte die Zeitschrift "Der deutsche Zollbeamte" einen Artikel mit den Worten: "An der Grenze herrscht wirklicher Krieg"

Für die Zeit Anfang der fünfziger Jahre zieht das Bundesfinanzministerium eine Bilanz die so aussieht: 31 tote Schmuggler, sieben Zollbeamte von Schmugglern getötet.

Durch die Brisanz der Vorkommnisse, auf Grund der Stimmung im Raum an der deutsch-belgischen Grenze und der Reaktion der Presse sieht sich auch der Deutsche Bundestag gezwungen, sich mehrmals dieser Malaise zu widmen. Ein längeres Bundestagsprotokoll vom Dezember 1952 gibt darüber Auskunft.

Die Drucksache 3914 befasste sich mit dem Schusswaffengebrauch im Zolldienst.

Neben Kritik an den Vorschriften über den Schusswaffengebrauch, der Kaffeesteuer und andren misslichen Umständen, der Forderung nach überprüfen der Gesetze, die uneinheitlichen Bestimmungen der Länder über den Einsatz von Schusswaffen bis hin zu bürokratischen Hemmnissen, soll hier ein Fall herausgegriffen werden, den der SPD-Abgeordnete Jacobs ansprach.

"Sie müssen mir erlauben, gerade im Hinblick darauf, dass, gemessen an der sonstigen Art der Berichterstattung, über diese Dinge verhältnismäßig wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist, einiges von dem zu schildern, was sich dort getan hat. Es ist ein Unterschied, ob im Zuge von Gewaltmaßnahmen, die irgendwelche Verbrecher gegen die Ordnungsorgane anwenden, Schüsse fallen oder ob, wie am vergangenen Samstag am hellen Tage weitab von der Grenze in einem Gebiet, in dem in den letzten Jahren so gut wie keine Aufgriffe erfolgt sind, auf das also die Bezeichnung `sündige Grenze` weiß Gott nicht angebracht wäre, ein Mann, der zwar, wie die einseitige Darstellung berichtet, des Schmuggels überführt werden konnte, von einem Beamten in Zivil mit den Karabiner erschossen wird.
...Natürlich hat wieder das Opfer - wie es in der Darstellung heißt - den Fehler begangen, im Augenblick des auf die Beine gezielten Schusses sich zu bücken - wie wir immer wieder feststellen, dass die Opfer, die ja nachher kein Zeugnis mehr geben können, weil sie tot sind, das Gegenteil dessen tun, was der Scharfschütze erwartet, dass sie, wenn er beabsichtigt, ihnen nur ins Bein zu schießen, in eine Stellung gehen, die es unmöglich macht, das zu tun."

Das große Geschrei

In der selben Bundestagssitzung meldete sich der Abgeordnete Dr. Mende (FDP) zu Wort:

"Vielleicht sind die Richtlinien für den Waffengebrauch und für die Abwehr lückenhaft, wie das ja aus der Ausschussdrucksache Nr. 3914 hervorgeht. Ich möchte jedoch nicht, dass man die Schuld auf jene Tausende von Zollbeamten abwälzt, die für uns alle in mühseliger Tag- und Nachtarbeit auf sehr gefährlichen Posten stehen. Ich meine, wenn man sich der Gefahr entziehen will, dann soll man nicht schmuggeln. Auch vor der Bundestagswahl lehne ich es ab, selbst wenn dabei manche Schmugglerstimme im Aachener Raum verloren geht, etwa hier so zu tun, als ob der Schmuggler der Märtyrer und der Zollgrenzbeamte der Verbrecher wäre.
Ich wiederhole, wer Zwischenfällen entgehen will. Soll den Schmuggel gefälligst meiden."

In der "Aachener Volkszeitung" steht am Montag,den 24. Februar 1964 folgende Meldung.

"TODESSCHUSS IN LICHTENBUSCH

36jähriger von Zollbeamten im deutsch-belgischen Grenzgebiet tödlich verletzt
Tödlich getroffen durch einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Zollbeamten wurde am Samstagabend in Aachen-Lichtenbusch der 36jährige Friedrich Hasselfeld aus Nütheim, der im belgischen Teil von Lichtenbusch eingekauft hatte und mit seinem Moped nicht beim Zollamt vorgefahren war, um die Waren zu verzollen. Hasselfeld wurde von einem Zollbeamten zum Halten aufgefordert. Wie verlautet, verständigte dieser Beamte einen anderen, der Hasselfeld erneut aufforderte, von seinem Moped abzusteigen. Der Mopedfahrer verlangsamte zwar seine Fahrt, fuhr aber in gebückter Haltung an dem Beamten vorbei. Daraufhin gab der Zollbeamte einen Warnschuss ab und aus rund 20m Entfernung einen gezielten Schuss, der Hasselfeld unterhalb des linken Schulterblattes traf.
Der Erschossene, der in Schwerin geboren wurde, war vor einigen Jahren in die Bundesrepublik geflüchtet. Er war Vater von zwei Kindern. Eine Untersuchung der Kleidung und einer Tasche ergab, dass er eineinhalb Pfund Kaffee, 100 Gramm Tee und 20 Eier eingekauft hatte."

Einige sehr aufschlussreiche Gedanken zu diesem erneuten Vorfall kann man der bundesrepublikanischen Zeitschrift "Der Deutsche Zollbeamte, Organ des Bundes der deutschen Zollbeamten e.V." entnehmen.

"DAS GROSSE GESCHREI

Ein Schmuggler ist in Aachen erschossen worden. Wir bedauern den Tod eines Mitmenschen und die leidvollen Folgen für seine Familie. Für uns ist das Missverhältnis zwischen schuldhaften Verhalten und dessen Folgen tragisch. Unser Mitgefühl gehört den Angehörigen. Was aber soll das große Geschrei, besonders in der Presse? Was sollen die hintergründigen Anfragen von Bundestagsabgeordneten? Was soll das Lamentieren um die Unverletzlichkeit der Person? Wer hat eigentlich die gesetzlichen Bestimmungen gemacht? Vielleicht der Beamte? Vielleicht unsere Verwaltung? Nicht vielmehr jene Abgeordnete, die heute in Entrüstungsrufe ausbrechen? Was sollen Gesetze, wenn ihre Befolgung nicht notfalls erzwungen werden soll?
Dieser Schmuggler ist nicht wegen des geringfügigen Schmuggelgutes erschossen worden. Der Zollbeamte ist doch kein Hellseher. Vielmehr musste er annehmen, dass ein Mann, der durch Zuruf und Warnschuss zum Halten aufgefordert worden ist und trotzdem weiterfährt, sich einer besonders schweren Gesetzesverletzung schuldig gemacht hatte. Wie konnte der Beamte annehmen, dass dieser Mann wegen ein paar Groschen Abgaben sein Leben aufs Spiel setzte? Welche Verdrehung der Tatschen, den Beamten nunmehr zum Schuldigen zu stempeln. Warum ist dieser Schmuggler nicht stehengeblieben? Konnte dieser Mann nicht vielmehr staatsgefährdendes Material bei sich führen, Rauschgifte, konnte er nicht ein langgesuchter Verbrecher sein? Er war ein Kleinschmuggler, aber wusste man das vorher?

Wir glauben nicht, dass sich ein Richter findet, der diesen Beamten verurteilt. Die Folgen wären nicht abzusehen. Sollen die Waffen von den Zollbeamten in Zukunft nur noch zur Selbstverteidigung gebraucht werden? Soll in Zukunft jedermann die Grenze ungehindert passieren können, weil er das schnellere oder stärkere Fahrzeug, die hurtigeren Füße hat? Sind die Zollbestimmungen in Zukunft nur noch für diejenigen da, die sich freiwillig unterwerfen? Kann der Gesetzesbrecher tun und lassen was er will?
... Wir haben niemals solch einen Aufwand erlebt, wenn etwa ein Beamter in Ausübung seines Dienstes von Verbrechern getötet worden ist oder ein Taxifahrer oder der Angestellte einer Bank. Die sogenannte `Volksseele` hat dann nicht gekocht. Das Sterben dieser Menschen wird augenscheinlich als zu ihrem Pflichtenkreis gehörend angesehen. Ihr Tod macht keine Schlagzeilen. Er wird mit ein paar Worten abgetan.

Aber jetzt das Geschrei: "ein Familienvater für einige Grämmschen Kaffee erschossen" - "Todesschütze" - "Ein Familienvater musste wegen einer Bagatelle sterben" - "Ein Menschleben auslöschen, einen Familienvater töten" - "Wild-West an der Grenze" - "Todesschuss aus Zollpistole" - "... einen wehrlosen Menschen wie ein Stück Wild abschießen" - "... eine Tat die zum Himmel schreit" - "... kaltblütige Erschießung".

 

Das Organ des Bundes der deutschen Zollbeamten wirft hier über ein Dutzend Fragen auf. Man sollte sich diese mitunter sehr brisanten Fragen einmal selbst beantworten. Die ehrlichen, unvoreingenommenen Antworten zwingen einem Schlussfolgerungen auf, die die Beurteilung des Gebrauches von Schusswaffen an der deutsch-belgischen Grenze - aber nicht nur dort - in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen.

Später berichtete das Journal der deutschen Zollbeamten mit einer gewissen Genugtuung vom guten Ausgang des justiziellen, richterlichen Nachspieles dieses Tötungsaktes an der Grenze. Der Zöllner Klaus wurde vom Schwurgericht auf Kosten der Steuerzahler freigesprochen.

Für den Autor und sicher auch für einen Teil der Leser dieser Schrift, ist es kaum nachzuvollziehen und gewiss auch schwer begreiflich, dass damals in den westdeutschen Bundesländern und vor allem aber im Osten Deutschlands, in der DDR, von diesem erbarmungslosen "Schmugglerkrieg" fast keine Notiz genommen wurde. Außer der "Aachener Volkszeitung" - die recht ausführlich darüber berichtete - und einzelnen Artikeln der "Kölnischen Rundschau" sowie einigen lokalen Blättern, findet man in den überregionalen Zeitungen, die in der BRD das große Wort führen und weitgehend die öffentliche Meinung prägen und bilden, keine einzige Zeile.

 

Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin - Frontlinie im Kalten Krieg

Während es sich im bisher dargelegten Geschehen um Vorkommnisse an der deutsch - belgischen Grenze handelt, sah die Lage an der Staatsgrenze der DDR zur BRD ganz anders aus.

Seit der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 handelte es sich um de facto eine Konfrontationslinie zwischen Staaten die sich keineswegs freundlich gesinnt waren. Eher war wohl das Gegenteil der Fall.

Von Anfang hatte sich die BRD auf ihre Fahnen geschrieben, den zweiten deutschen Staat, die DDR, zu liquidieren.

Das ist alles historisch verbürgt und braucht hier nicht näher erläutert zu werden.

Eine Betonsäule auf freiem Feld. Wäre nicht der schwarz-rot-goldene Anstrich und das metallene Schild mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz, stünde sie fast unscheinbar in der Landschaft. Unter dem Emblem unübersehbar: Deutsche Demokratische Republik. Diese Säulen standen an den Ufern von Elbe und Werra wie an denen von Oder und Neiße. Ihre Kette zog sich über die Höhen und Berge des Harzes und der Rhön wie über die des Erzgebirges und des Lausitzer Berglandes. Hier wie dort markierten sie die Grenzen der DDR gegenüber ihren Nachbarn.

Aber Grenze war nicht gleich Grenze für dieses Land. Entscheidend war doch, wer auf der anderen Seite stand, das politische System, das der Mann hinter dem Schlagbaum, auf dem Beobachtungsturm oder Postenweg repräsentierte.

Davon hing und es hängt auch heute noch ab, ob die Grenze eine Scheidelinie zweier Welten oder ob sie eine völkerverbindende Klammer war oder auch ist. War oder ist es eine Stätte, an der man sich als Feind oder Freund gegenüber stand oder steht.

Die Staatsgrenzen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland und zu Westberlin waren eine scharfe Trennlinie zwischen zwei entgegengesetzten gesellschaftlichen Systemen.

Bilder bezeugen es: Grenzsäulen, hakenkreuzbesudelt, beschädigt, gesprengt. Grenzsäulen von der Staatsgrenze der DDR zur BRD.

Die Geschichte lehrt es: Grenzen - das sind im Kalkül imperialistischer Kräfte und revanchistischer Kreise tausendfach Möglichkeiten, den missliebigen Nachbarn zu provozieren und zu verketzern, blinde Leidenschaften zu entfesseln und Spannun-gen anzuheizen. Geeignet, Vorwände zu liefern für den kalten wie heißen Krieg.

Die Gefahr, die von derlei Provokationen und feindseligen Akten ausging, konnte die DDR nicht negieren. Darum wurden die Staatsgrenzen der DDR zur BRD und Westberlin so streng repressiv und zuverlässig geschützt, wie das eben notwendig war.

Ob es dem einen passt oder nicht: Der Grenzdienst war nun mal notwendiger Waffendienst im Frieden für den Frieden.

Er war aber zugleich internationalistischer Auftrag im Interesse der mit der DDR verbündeten Staaten.

An dieser Grenze, einschließlich der zu Westberlin, prallten alle Gegensätze und Widersprüche der beiden sozialpolitischen Ordnungen aufeinander. Herrschten hier Ruhe und Ordnung, so war das nicht nur für den Frieden in Europa, sondern in der ganzen Welt von großer Bedeutung. Standen sich doch hier die größten und mächtigsten Militärbündnisse - ausgerüstet mit den modernsten Massenvernichtungswaffen - gewissermaßen hautnah und Auge in Auge gegenüber

 

Wie sah nun die Lage an der Staatsgrenze zur BRD aber auch zu Westberlin aus?

 

Die Grenztruppen hatten einen eindeutigen militärischen Auftrag zu erfüllen.

Angesichts der Lage an der Staatsgrenze zur BRD war bereits 1956 festgelegt worden, "nach voller Auslösung der 1. Etappe der Alarmbereitschaft und bei Bedrohung der Grenze zur BRD sind die jeweiligen Beobachtung- und Streifenposten der Deutschen Grenzpolizei zusammenzuziehen, Feldwachen zu bilden, die Sicherungs- und Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen und die Reserven bei den Kommandos und Bereitschaften zu verstärken.

Kleinere Gruppen von Banden sind gefangenzunehmen oder bei Widerstand zu vernichten. Bei Angriffen größerer Banden ist die Grenze im Stützpunktsystem zu verteidigen, auch hierbei sind aktive Handlungen durchzuführen."

So hieß es im Beschluss der Sicherheitskommission des ZK der SED vom 30.11.1956.
Aus dieser Weisung war ersichtlich, dass die Deutsche Grenzpolizei bzw. die Grenztruppen mit zwei Aufgaben betraut wurden: die Grenzsicherung unter normalen Bedingungen zu gewährleisten und bereit zu sein, Gefechtshandlungen zur Verteidigung der Staatsgrenze zu führen.

Auf einer Kommandeurstagung der Grenztruppen am 20. November 1964 referierte der Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Hoffmann, über die militärpolitische Lage.

"Neu für uns ist eine Form des Krieges, der im Bereich zwischen der oberen Grenze des Kalten Krieges und der unteren Grenze des konventionellen Krieges liegt. Die Hauptform dieser Kriegsführung ist das Einschleusen von Einsatztrupps in das Hinterland, mit dem Ziel, aus der Bevölkerung Banden und Diversionsgruppen zu bilden, und durch Angriffe auf Führungsstellen, Nachrichtenverbindungen, Raketenstellungen usw. Panik zu verbreiten."

So war dieser verdeckte Krieg im großen Umfang Inhalt der Kommandostabsübung "Fallex 64" der NATO. Die Bundeswehrführung hatte zu diesem Zweck in allen drei Armeekorps Fernspäh-Kompanien und in den Bataillonen nichtstrukturmäßige Jagdtrupps geschaffen.
Es stand deshalb vor den Grenztruppen die unmissverständliche Forderung, dass sie "Aktionen des verdeckten Kampfes im Grenzgebiet" liquidieren und bei militärischen Provokationen oder einer Aggression "aktive Gefechtshandlungen zur Sicherung der Unantastbarkeit der Staatsgrenze der DDR" führen sollten. Diese Aufgabe ging über die bisherige hinaus.

Diese bestand bekanntlich darin, Grenzdurchbrüche in beiden Richtungen und die Ausdehnung vor Provokationen zu verhindern.
Diese Orientierung des Ministers bestimmte die Entwicklung der Grenzsicherung, des Grenzsystems und der Grenztruppen über Jahrzehnte.

"Unsere Grenzsoldaten stehen dem Feind Auge in Auge gegenüber. Ihr Dienst zum Schutz der Staatsgrenze ist Frontdienst in Friedenszeiten."

Das bedeutete nichts anderes, in vorderster Linie und als erste unter den Bedingungen des Kalten Krieges sowohl die tägliche Grenzsicherung zu gewährleisten als auch bereit und fähig zu sein, selbständig oder im Zusammenwirken mit der Nationalen Volksarmee und/oder der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland aktive Gefechtshandlungen zu führen.

 

 

Im weiteren soll uns die Aufgabe der Grenztruppe zur zuverlässigen Sicherung der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin beschäftigen. Sie bestand darin Grenzdurchbrüche jeglicher Art nicht zu zulassen, die Ausdehung von Provokationen auf das Territorium der DDR zu verhindern.

 

Dazu noch einige Bemerkungen zur konkreten Lage an der Grenze, um klar zu verdeutlichen, in welcher Situation, unter welchen Umständen und auch Zwängen die Grenzsoldaten ihren Auftrag ausführen mussten.

Provokationen waren die eine Seite...

Den Grenzsoldaten der DDR stand ein erfahrener und mitunter auch verschlagener Feind gegenüber. Einer, der viele Gesichter hatte. Der bald harmlos-jovial dem "Kameraden " auf der andere Seite einen Gruß hinüberrief, der ihn ein anderesmal unflätig beschimpfte oder mit lauernden Grinsen versuchte, zum Verrat zu verleiten.

Der vor massenweise herangekarrten "Grenzlandfahrern" aufputschende Reden hielt, die sehr oft in gefährlichen Anschlägen auf die Grenz- und Sicherungsanlagen gipfelten.
All das in der Absicht herauszufordern und zu verunsichern, zu erkunden, was die andere Seite sich alles bieten lässt.

Grenzverletzungen und Unruhe sollten im Grenzgebiet etwas Alltägliches, völlig Normales sein, um letzten Endes die Wachsamkeit einzuschläfern und etwaigen Spielraum für noch weitergehende Provokationen zu gewinnen.

Bundesgrenzschutz, Bayrische Grenzpolizei, Zollgrenzdienst und Westberliner Polizei leisteten oft denen Schützenhilfe, die sich für ein paar Groschen verleiten ließen, die Festigkeit der Staatsgrenze der DDR auf die Probe zu stellen. Profitieren von deren Erkenntnissen über das Grenzregime.

"NATO-Späher im Vorfeld", "Zünder zum Konflikt", "Truppe des ersten Schusses" - so sah man in der BRD und vor allem bei den Oberen des BGS den Bundesgrenzschutz. In der Hochglanzbroschüre zum 50.Jahrestages des BGS erfuhr man darüber aber gar nichts.

Wen wunderte es, dass BGS-Leute oft Seite an Seite von Angehörigen der NATO-Armeen an der Grenze agierten, die sich aufführten, als sondierten sie bereits das Terrain für künftige Aktionen.

All das war hinreichender Anlass für die Grenzsoldaten der DDR, ständig auf der Hut zu sein und das Pulver trocken zu halten.
Wenn hier vom Feind die Rede ist, hat das auch seine Berechtigung. Die Handlungen gegen die Staatsgrenze der DDR und die Angehörigen der Grenzsicherungsorgane waren durch aus feindlich.

Wie soll man denn die Provokationen und Anschläge bewerten? Wenn nicht als feindlich!

Wenn auch die Massenmedien der BRD und Westberlins das Wort "Menschlichkeit" noch so strapazierten - die Grenzsoldaten wussten, was sie davon zu halten hatten.

Die Liste derer ist lang, die für den Schutz der Staatsgrenze der DDR ihr Leben gegeben haben.

Um das zu erhärten folgende Fakten:

1958 wurden vom Gebiet der BRD aus 804 Provokationen gegen die Grenze der DDR und ihre Sicherungsorgane verübt.

1959 waren es bereits in den ersten drei Quartalen schon 1 425 Fälle. Darunter war die schwerwiegende Provokation vom 21. August 1959, als motorisierte Kräfte des Bundesgrenzschutzes bei Klettenberg in das Gebiet der DDR eindrangen und Grenzsicherungsanlagen zerstörten.

Am 12. März 1960 legten zwei westliche Zöllner unmittelbar an der Staatsgrenze bei Ahrenshausen, Kreis Heiligenstadt, Brände, die Grenzmarkierungen vernichteten.

Am 17.März bedrohten in Zugstärke aufmarschierte Angehörige des BGS im Gebiet bei Salzwedel eine Grenzstreife der DDR.

Am 19.März wurden Angehörige der deutschen Grenzpolizei im Abschnitt Sommersdorf, Kreis Oschersleben, von der BRD aus beschossen.

Am 22.März versuchte das BRD-Zollboot "Lave" auf der Elbe bei Kilometer 491 ein Boot der DDR-Grenzpolizei zu rammen.

Am 23.März 1960 fuhren BGS-Leute im Abschnitt Schlagbrücke bei Schönberg mit einem Jeep bis an die Grenze und schossen mit einer Maschinenpistole über die Staatsgrenze in Richtung DDR.

In einigen Fällen gelang es, wie in den Bereichen der Grenzpolizeibereitschaften Schönberg, Eisenach, Dermbach und Meiningen, die auf DDR-Territorium vorgedrungene Provokateure festzunehmen.

1960 gab es allein im ersten Quartal über 500 Provokationen.

Nach dem 13. August 1961 verstärkten sich die feindlichen Anschläge und Provokationen auf die Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin.

Zwischen dem 13. August 1961 und dem 13. August 1963 registrierten die Grenztruppen allein 2 154 provokatorische Handlungen gegen Grenzsicherungskräfte und -anlagen. Es gab dabei 27 Sprengstoffanschläge, Tunnelbauten, Schleusungen und Angriffe auf die Grenzposten.
In dieser spannungsgeladenen Atmosphäre versahen Tag für Tag und Nacht für Nacht die Grenzsoldaten ihren Dienst. Wenn sie auf Posten zogen wussten sie nicht, was sie dieses mal an der Staatsgrenze erwartete.

Die meist vorherrschende Ruhe und Ordnung an der Staatsgrenze war mitunter sehr trügerisch. Blitzschnell konnte sich das ändern. Da musste die Lage neu beurteilt, Entschlüsse gefasst und realisiert werden. Meist waren die Grenzsoldaten im Grenzdienst auf sich allein gestellt. Die Vorgesetzten waren weit und nur über Grenzmeldenetz oder Funk erreichbar. Auf den Grenzsoldaten lastete eine schwere Verantwortung.

Diese mit Fug und Recht feindlich charakterisierten Anschläge, Übergriffe und Provokationen bedrohten objektiv und auch subjektiv gesehen ihre Gesundheit und letzten Endes auch ihr Leben.

Doch lassen wir noch einige Tatsachen sprechen, die das Gesagte beweisen.

Es gab immer wieder Zwischenfälle an der Staatsgrenze, die von DDR-Seite mit großer Sorge beobachtet und amtlich dokumentiert wurden.
Am 18.Juli 1975, wenige Tage vor dem Beginn der Konferenz von Helsinki wurden durch Schüsse von Westberliner Seite aus der Zugführer der Grenztruppen, Leutnant Ziehnt, schwer verletzt. Das geschah unter dem Schutz der Westberliner Polizei.

Am 1., 23., und 30. April 1976 kam es zu einem Anschlag im Abschnitt des Grenzregimentes 6, Schönberg. Eine Gruppe von Provokateuren zerstörte hier die Anlage 501 und entwendeten dabei zwei Minen des Typs SM 70. Beim dritten Versuch wurde dann der Anführer Michael Gartenschläger, nachdem er das Feuer auf die Grenzsoldaten eröffnet hatte, tödlich getroffen.

Eine notwendige Zwischenbemerkung

Im Buch von Dr. Hubertus Knabe "Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur"

- im Klappentext liest man: Dr. Knabe "gehört zu den profiliertesten Historikern der Bundesrepublik, die sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur widmen" - maßt er sich die Rolle eines Zensors, Anklägers und Richters an.

Er greift infam, besserwisserisch und mit der historischen Wahrheit jonglierend alle jene an, die ihre Lebensgeschichte und die Geschichte der DDR nicht dem Urteil oder auch dem Diktat dem Mainstream verpflichteter Schreiberlinge überlassen.

Unter dem Titel "Mord am Grenzstreifen" befasst sich Knabe mit dem Tod des Michael Gartenschlägers an der Staatsgrenze der DDR.

Der ehemalige DDR-Häftling Michael Gartenschläger schlich sich "von der westdeutschen Seite aus an den Grenzzaun des SED-Staates und demontierte am Grenzknick Wendisch-Lieps eine der dort installierten Selbstschussanlagen vom Typ SM 70.

Fünfzehn Jahre zuvor war Gartenschläger als Jugendlicher wegen Protesten gegen den Mauerbau zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zehn Jahre später hatte ihn die Bundesregierung freigekauft.

Jetzt präsentierte er den Todesautomaten im Spiegel... Sein Wagemut wurde Gartenschläger zum Verhängnis. Kurz nach dem Coup an der DDR-Grenze baute der 32-Jährige eine zweite Anlage ab, um sie dem Berliner Mauermuseum zu schenken. In der Nacht zum 1. Mai 1976 begab er sich zum dritten Mal an die Sperranlagen, weil er ein weiteres Gerät abschrauben wollte und aus Protest vor der ständigen Vertretung der DDR in Bonn aufbauen wollte. Doch diesmal erwartete ihn ein Einsatzkommando des Staatssicherheitsdienstes. Als sich Gartenschläger dem Grenzzaun näherte, eröffneten Spezialkämpfer das Feuer und durchsiebten seinen Körper mit Maschinengewehrkugeln.
Die Tötung des jungen Mannes war präzise vorbereitet worden.... Der Mord an Michael Gartenschläger ist niemals gesühnt worden." So Hubertus Knabe.

Als Gartenschläger die erste SM 70 abbaute und dafür vom Spiegel einschließlich seiner Lebensgeschichte 12 000 DM als Honorar kassierte, meldeten sich andere Interessenten für solch eine Splittermine, darunter auch der Bundesnachrichtendienst.

Am 22. April 1976 traf bei Gartenschläger ein Brief vom Vorsitzenden der ominösen "Arbeitsgemeinschaft 13, August e.V.", Rainer Hildebrandt ein. Bereits am 26. April schloss Gartenschläger mit Hildebrandt einen Vertrag über den Verkauf einer SM-70 ab. Darin hieß es: "Die `AG 13. Aug. e.V.` erwirbt am heutigen Tag von Herrn Michael Gartenschläger ein zweites demontiertes SM-70-Aggregat und erstattet ihm dafür 3 000 DM (dreitausend), ferner die bevorstehenden Transport- und Reisekosten.

Die AG verpflichtet sich, eine öffentliche Sammlung für das SM-70-Gerät zugunsten des Herrn G. durchzuführen. Sofern dabei Beträge eingehen, die insgesamt 3 000 DM übersteigen, stehen diese Herrn G. zu." Die Mine wurde auch prompt an die AG geliefert.

Frau Alexandra Hildebrandt schreibt in ihrem Buch "Ein Mensch Rainer Hildebrandt Begegnungen". "Besonders schmerzlich erinnert sich Rainer an Michael Gartenschläger, dem er ...das Ehrenwort abnehmen wollte, kein Selbstschussgerät mehr abzubauen. Erfolglos. Drei Tage später war Gartenschläger tot, exekutiert von der Staatssicherheit."

Was stimmt hier und was nicht? Bei Hubertus Knabe war es Mord bei Alexandra Hildebrandt eine Exekution.

Was aber geschah wirklich?
Es stimmt schon, drei Tage später war Gartenschläger tot. Beim Versuch eine dritte SM-70 zu entwenden kam es in der Nacht zum 1. Mai 1976 zu einem bedauerlichen Vorfall. Als G. am Grenzzaun demontierte, hörte er verdächtige Geräusche. Daraufhin schoss er mit seiner Pistole in die Richtung der Geräusche. Es kam zu einem Schusswechsel mit Angehörigen der Sicherungskompanie der Hauptabteilung I des Ministeriums für Staatssicherheit. Dabei wurde G: tödlich getroffen.

Im Jahre 2 000 kam die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Schwerin zu dem Schluss, alle drei ehemaligen Angehörigen der Sicherungskompanie der HA I freizusprechen. Auch der Staatsanwalt zog später seine Revision zurück. Der Bundesgerichtshof verwarf auch die Revision von Gartenschlägers Schwester, die als Nebenklägerin auftrat

Hubertus Knabe monierte: Auch die Auftraggeber des Mordes wurden nie bestraft. .

In der Nacht zum 30. Mai 1976 konnten Nachahmungstäter drei Minen SM-70 im Grenzabschnitt des Grenzregimentes 24, Salzwedel, vom Grenzzaun abmontieren und entwenden.

Auch im weiteren Zeitverlauf traten immer wieder Provokationen, Anschläge und Angriffe von westlicher Seite aus auf.

So drangen am 15. Juni 1976 zwei bewaffnete Angehörige des Bundesgrenzschutzes im Sicherungsabschnitt II, 2 850 m südostwärts der Ortschaft Kella etwa 150 m, und das zum wiederholten Male auf das Territorium der DDR vor. Die zwei BGS-Beamten wurden aus einem Hinterhalt heraus ohne Anwendung der Schusswaffe festgenommen. Bewaffnet und ausgerüstet waren sie mit einer Maschinenpistole, einem FN-Gewehr, zwei Pistolen und einem UKW-Sprechfunkgerät.

Der Kommandeur des bundesdeutschen Grenzschutzkommando des BGS Mitte, verbreitet im Fernsehen der BRD das Schauermärchen, die Grenzer der DDR hätten seine Leute gekidnappt, denn diese beiden besäßen ja schließlich genaue Kenntnisse über den Grenzverlauf und hätte die Grenze nicht überschritten.

Bei der Befragung der festgenommenen BGS-Angehörigen - vom DDR-Fernsehen ausgestrahlt - stellte sich jedoch heraus, dass sie schon des öfteren auf DDR-Gebiet vorgedrungen waren und ihre Vorgesetzten sehr wohl davon Kenntnis hätten.

Desweiteren fand im Grenzregiment 3, Dermbach, am 10.November 1979, gegen O1.36 Uhr ein Sprengstoffanschlag gegen Grenzsicherungsanlagen nahe der Grenzsäule 1724 statt.

Etwa 2 000 m südwestlich Geisa, im Kreis Meiningen - im Abschnitt des gleichen Grenzregiments - sprengten Täter aus der BRD auf einer Länge von 50 m den Grenzzaun I auf dem Terrain der DDR.

Am 16. Juni 1980 registrierten Angehörige der Grenzsicherungsorgane der DDR gegen 23.40 Uhr etwa 1,5 Kilometer ostwärts der Ortschaft Brix eine Sprengung am Grenzzaun, die einen Trichter von zwei Quadratmeter verursachte.

Unbekannte schossen am 20. Mai 1983 gegen O4,30 Uhr in Berlin - 200 m nord-westlich des S-Bahnhofes Wollankstraße - vom Westberliner Territorium aus mit einer Pistole auf die Grenzposten.
Gegen 11.00 Uhr wurde am 13. Mai 1984 in einem Abschnitt 1 200 m nördlich Lindewerra, Kreis Heiligenstadt, festgestellt, dass von Tätern aus der BRD der Grenzzaun I aufgeschnitten, der Gerätekasten eines Signalgerätes demontiert und entwendet worden war. Das spielte sich auf DDR-Gebiet 50 m von der Staatsgrenze entfernt ab.

Ein schwerer Anschlag ereignete sich am 28.Juli 1986 gegen 02.32 Uhr 60 m ost-wärts der Berliner Grenzübergangsstelle Friedrichstraße. Eine von Westberliner Kräften durchgeführte Sprengstoffdetonation riss ein Loch von ca. 1,5 x 2 m in die Grenzmauer. Diese Explosion zerstörte in der Grenzübergangsstelle und an umliegenden Häusern etwa 200 Fensterscheiben.

 

In all den Jahren der Existenz der Demarkationslinie und der Staatsgrenze der DDR zur BRD gab es Hunderttausende von Provokationen, Anschlägen, Grenzverletzungen und Übergriffen von westlicher Seite, sei es von der BRD oder auch von Westberlin. aus. Das war ein immens wesentlicher Faktor, der die ständige Lage an den Grenzen charakterisierte.

Für die Grenztruppen der DDR schuf das sehr komplizierte Bedingungen. Bei allen Handlungen der Grenzsoldaten, bei allen Abwehrmaßnahmen und beim Vorgehen gegen Gesetzesverletzer musste dem immer Rechnung getragen werden.

Es galt jederzeit der eiserne Grundsatz, Sicherheit und Schutz der Staatsgrenze sowie Ruhe und Ordnung im Grenzgebiet zu wahren.

Doch die Versuche von Bürgern der BRD - auch das gab es - und vor allem aber von Bürgern der DDR, die Staatsgrenze illegal zu überschreiten oder die Grenzsicherung zu durchbrechen, waren schließlich ein Faktum, das über Jahrzehnte den Dienst der Grenzer prägte.

...ein ständiger Druck auf die Staatsgrenze war die andere Seite der Medaille

Grenzverletzer, "Flüchtlinge", Gesetzesverletzer, illegale Grenzgänger, Schmuggler oder wie man diese Personen auch sonst benennen will, waren eine harte, zum Handeln zwingende Realität, die die Grenzposten ständig in ihr Kalkül einbeziehen mussten. Auf westlicher Seite nannte man diese Personen sinnigerweise "Sperrbrecher".

Seit Beginn der Grenzüberwachung und dann der Grenzsicherung lastete ein ständiger Druck auf die Grenzen der SBZ und später der DDR. Vornehmlich, der historischen Entwicklung, den gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR und auch gravierenden Fehlern der herrschenden Partei, der SED, geschuldet, zogen es viele Hundertausenden Bürger vor, die DDR zu verlassen. Lassen wir dazu einmal Zahlen sprechen.

In ihrer Veröffentlichung "13 August 1961. Die Mauer von Berlin" nennen Jürgen Rühle/Gunter Holzweißig folgende Zahlen:

1953 331 390 Personen
1954 184 198 Personen
1955 252 870 Personen
1956 279 189 Personen
1957 261 622 Personen
1958 204 092 Personen
1959 143 917 Personen.

In dem Buch, "Die Grenzen der DDR" schreibt Professor Wilfried Hanisch: "Die Republikfluchten entwickelten sich wie folgt (in Klammern gegenübergestellt die Übersiedlung in die DDR durch Rückkehrer und Erstzuziehende aus der BRD und Westberlin):


1957 = 304 957 (77 927)Personen
1958 = 193 714 (54 716) Personen
1959 = 120 226 (21 935) Personen"

Er vermerkt, dass die Republikfluchten 1959, "den bisher niedrigsten Stand seit der Erfassung der illegalen Abwanderungen im Jahre 1953 " aufwiesen.

Es heißt dann weiter: "Allerdings stiegen sie dann 1960 wieder - nicht zuletzt als Folge der unnötig beschleunigten Kollektivierung in der Landwirtschaft - von 28 166 Personen im 1. Quartal, gefolgt von 50 112 im 2. Quartal und 54 160 im 3. Quartal (4. Quartal lag nicht mehr vor) auf schon 132 438 Personen.
... Besonders schwerwiegend war, dass sich darunter wieder in zunehmender Zahl Angehörige der Intelligenz befanden.
... In den ersten drei Quartalen des Jahres 1960 wuchs auch wieder die Anzahl der Republikfluchten über die Westgrenze, vor allem aus dem Grenzgebiet selbst.

In diesem Zeitraum gab es 202 Grenzdurchbrüche mit 306 Personen, davon in Richtung West nach Ost 23 Fälle mit 31 Personen und Richtung Ost nach West 179 Fälle mit 275 Personen. Darunter befanden sich im 2. und 3. Quartal ebenfalls sogenannte schwer Grenzdurchbrüche, bei denen Bauern mit Vieh, Fahrzeugen und Hausrat die Grenze am Tage durchbrachen."

Die unterschiedlichen Zahlen bei Rühe/Holzweißig und Professor Hanisch ergeben sich wahrscheinlich aus unterschiedlichen Quellen. Trotz der verschiedenen Zahlen bleibt doch der Fakt: Es waren Hunderttausende.

Die Verantwortlichen für die Grenzsicherung mussten schließlich einräumen, - bezogen auf den Zeitraum von 1953 - 1959, "dass die mit großen Anstrengungen in der Grenzsicherung errungenen Erfolge durch die offene Grenze zu Westberlin geschmälert wurden und auch das Fehlen durchgehender pioniertechnischer Anlagen an der Grenze zur BRD dem Gegner relativ viel Spielraum ließ". So Wilfried Hanisch in: "Für den Schutz der Staatsgrenze der jungen Republik".

Wer war denn der Gegner mit dem relativen vielen Spielraum? Es handelte sich im wesentlichen um DDR-Bürger - die aus welchen Gründen auch immer - der DDR den Rücken kehrten und in den Westen strebten.
Die meisten Personen, die die DDR verließen, gingen damals den Weg über Westberlin. Für 20 Pfennig fuhren sie mit der Berliner S-Bahn von Ost nach West über die kaum kontrollierte Grenze.

Durch die Maßnahmen des 13. August 1961 ließ erst einmal dieser Druck auf die Grenzen etwas nach.

 

Generaloberst a. D. Klaus-Dieter Baumgarten nennt in dem Buch "Die Grenzen der DDR" ebenfalls Zahlen, die für sich sprechen. "Allein vom 1. September 1962 bis zum 30. November 1963 gelang in 260 Fällen 459 Personen der Grenzdurchbruch, 111 Angehörige der Grenztruppen wurden fahnenflüchtig."

In dem Beitrag von Klaus-Dieter Baumgarten erfährt man weiter: " von 1961 bis 1970 versuchten rund 52 190 Personen, die Grenze zu überwinden. Von 1971 bis 1980 waren es noch 18 252 Personen. Im letzten Jahrzehnt der DDR versuchten 13 807, die Staatsgrenze illegal zu überschreiten.

Statistisch gesehen bedeutet das: Täglich versuchten nicht mehr als drei bis vier Personen - und das bei einer Länge der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin von ca. 1 600 km - die DDR zu verlassen.

Diese Zahlen sind authentisch und damit die richtigen, denn sie basieren auf der Statistik der Grenztruppen. Andere Aussagen, die natürlich erheblich höher liegen, sind irrelevant."

Doch verweilen wir noch in der Zeit des Anfanges der sechziger Jahre. Auch nach der Errichtung von pioniertechnischen Anlagen nach dem 13. August 1961 - einschließlich von Minensperren - und nach dem Bau der Mauer und weiteren Sperranlagen in Berlin und um Westberlin, gelang es noch immer Menschen aus der DDR die Grenze zur BRD und zu Westberlin zu überwinden:


1961 (ab 13. August) 8 507 Personen
1962 5 761 Personen
1963 3 692 Personen
1964 3 155 Personen
1965 2 329 Personen

Die Quelle dieser hier angeführten Zahlen ist zwar die dubiöse "Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V." - diese Damen und Herren stehen meist mit der Wahrheit auf dem Kriegsfuß und nehmen es nicht immer so genau - doch lassen wir das einmal.

Diese Personen, im Westen "Sperrbrecher" genannt - liegt in diesem Wort nicht eine bestimmte Aggressivität oder der Wille zur Gewaltanwendung? - überwanden die Grenzsicherungsanlagen.

Aber auch Grenzsoldaten der Nationalen Volksarmee wechselten die Seite, begaben sich auf die andere Seite der Barrikade, brachen ihren Fahneneid, begingen Fahnenflucht, übten Verrat.

Klaus-Dieter Baumgarten nennt 111 Angehörige der Grenztruppen für die Zeit vom September 1962 bis November 1963.

In einer "Information über den politisch-moralischen Zustand in den Grenztruppen der Nationalen Volksarmee", erarbeitet 1963, vorgelegt dem Nationalen Verteidigungsrat der DDR auf seiner Sitzung am 20.9.1963 heißt es:
"Hauptkriterium der Wirksamkeit der gesamten Arbeit in den Grenztruppen ist der sichere Schutz unserer Staatsgrenzen nach Westdeutschland und Westberlin und die politische Zuverlässigkeit und Standhaftigkeit aller Armeeangehörigen bei den Grenztruppen."

In der "Information" steht schwarz auf weiß:

1962 1. Halbjahr Fahnenfluchten = 290 (251 Westgrenze; 39 Berlin)
2. Halbjahr Fahnenfluchten = 198 (160 Westgrenze; 38 Berlin)

1963 1. Halbjahr Fahnenfluchten = 196 (158 Westgrenze; 38 Berlin).
"Verhinderte Fahnenfluchten" = 17 (14 Westgrenze; 3 Berlin).

In dieser "Information wird weiter festgestellt: "dass täglich Grenzdurchbrüche von Personen nach Westdeutschland und Westberlin gelingen". Es werde zwar "in der Regel von der Schusswaffe Gebrauch gemacht", doch stehe der Aufwand an Munition im krassen Missverhältnis zum Erfolg.

Es wurde geschossen und leider auch erschossen

In den ersten Jahren der Grenzüberwachung wurde von der Schusswaffe nur selten Gebrauch gemacht.

So werden im Buch "Der Salzgitter Report" für die Zeit vom 29.01.1949 bis zum September 1959 zehn Todesfälle durch Schusswaffenanwendung aufgelistet.
Peter Joachim Lapp dagegen schreibt in seinem Buch "Gefechtsdienst im Frieden": "Allein von Oktober 1949 bis zum März 1950 wurden mehr als 150 000 Menschen an den DDR-Grenzen (zeitweise) festgenommen, weil sie gegen irgendwelche Bestimmungen verstoßen hatten. Auch der Schusswaffengebrauch - immer noch die Ausnahme - forderte vermehrt Opfer: Vom 1. Juni 1949 bis zum 31. Dezember 1950 starben 30 Menschen an den Grenzen der SBZ/DDR, darunter auch einige Grenzpolizisten. 65 Personen wurden verletzt."

Im Gegensatz zum "Salzgitter Report" sind das 20 Personen mehr. Das bietet breiten Raum für dubiose Zahlenspiele und aber auch von Spekulationen.

Für die Zeit von 1946 bis 1949 heißt es bei Lapp: "Über den Waffengebrauch war Bericht zu erstatten, eine Untersuchung des Vorganges erfolgte. Von der Schusswaffe wurde in jener Zeit nur sehr selten Gebrauch gemacht.. Wenn Waffengebrauch erfolgte, war das bis in die frühen 50er Jahre die absolute Ausnahme.

Dagegen kam es im Jahre 1948/49 zu mehreren ernsten Zwischenfällen an der DL, bei denen `Banden` aus dem Westen in Erscheinung traten oder westalliierte Soldaten beteiligt waren. Diese Vorfälle sind heute kaum noch rekonstruierbar und die Schuld lag wohl nicht nur auf einer Seite; Schusswaffengebrauch führte jedoch zu den ersten Toten und Verletzten.

Aus gegebenen Anlass erließ die DVdI Ende 1948 einen geharnischten Befehl an die Grenzpolizei, `Bei Schiessereien von den westlichen Besatzungszonen her`nicht mit `wilder und planloser Erwiderung des Banditenfeuers vom Westen her` zu antworten, was offensichtlich in der Vergangenheit öfter der Fall war."

Für die Anfangsjahre der Grenzüberwachung an der Demarkationslinie und dann der Grenzsicherung an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin gibt es keinerlei amtliche Angaben über den Schusswaffengebrauch, ob Ost oder auch West.

Die von den verschiedenen Autoren benutzten Zahlen beziehen sich meist auf örtliche Quellen, auf Hörensagen oder auch sehr zweifelhafte Angaben.

Nachweislich sind z.B. die Zahlen der "Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V." bei weitem zu hoch, stammen aus nicht gesicherten Quellen und dienen letzten Endes üblen politischen Zwecken.

Ähnlich verhält es sich mit den Angaben aus dem "Salzgitter Report". Diese zwar bundesrepublikanische amtliche "Erfassungsstelle" schöpfte aber meist aus nichtamtlichen Quellen. So sah diese "Erfassungsstelle" in dem bereits 1949 gegründeten Westberliner "Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen" - einer schlimmen, von westlichen Geheimdiensten finanzierten Spionage- und Diversionsorganisation - einen Vorgänger der Salzgitter Institution.

Im "Salzgitter Report" liest man: " Die Namenskartei des Untersuchungsausschusses ist gleichsam als Vorläuferin der Unrechtskartei von Salzgitter anzusehen. In dieser Kartei, die im April 1961 rund 123 000 Namen enthielt, wurde jede Unrechtshandlung registriert..." Nach der Auflösung des Untersuchungsausschusses im Jahre 1969 übernahm eine Bundesbehörde sämtliche Unterlagen, einschließlich der Kartei. Salzgitter arbeitete mit dieser Behörde eng zusammen.

Sehr interessant und aufschlussreich ist, was in diesem Kontext in dem Buch "Opfer der Mauer" von Filmer/Schwan zu lesen ist:
"Bis zur Wende war die zentrale Erfassungsstelle die einzige Institution in der Bundesrepublik die Opfer an Mauer und Grenze registrierte. Sie stützte sich dabei auf Aussagen der Westberliner Polizeibehörde, auf Informationen der Grenzschutz- und Zollbeamten an der innerdeutschen Grenze, auf Zeugenaussagen geflüchteter DDR-Bürger, auf Meldungen von Grenzgängern und Spaziergängern.

Die Behörde in Salzgitter setzte die niedrigste Verdachtsschwelle an und machte manches Gerücht zum Fall, zum Todesfall an Mauer und Grenze. Hier wurde vom Hörensagen eine Flucht mit tödlichem Ausgang bekannt, da brüsteten sich Jugendliche mit Sensationsstorries. Salzgitter war eine Vorermittlungsbehörde. Man notierte, was in Zeitungen stand, hielt fest, was in den Jahren des Kalten Krieges von Kalten Kriegern in die Welt gesetzt wurde. Die Todesliste der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter ist daher verständlicherweise einerseits lückenhaft, andererseits aufgebauscht.

So werden über achtzig Todesopfer registriert, die es überhaupt nicht gegeben hat. Sie sind in den Archiven der früheren DDR nicht nachzuweisen und werden für die westdeutsche Justiz ohne Bedeutung sein. Es ist geradezu unverantwortlich, dass es die Braunschweiger Staatsanwaltschaft zuließ, noch nach der Wende eine Todesliste zu veröffentlichen, in denen Menschen aufgeführt werden, die niemals auf der Flucht aus der früheren DDR zu Tode gekommen sind."

Das bedarf wahrlich keines Kommentars.

In der in Würzburg, BRD, erscheinenden "Mainpost" stand am 5.7.1950 folgende Meldung: "Fladungen (Wildost). Am 2. Juli gegen Mittag wurde im Landkreis Mellrichstadt nördlich Fladungen eine Streife des Zollgrenzdienstes durch Volkspolizei der Ostzone in unmittelbarer Grenznähe beschossen. Bei der Verfolgung einer illegalen Grenzgängerin gerieten sie in dem unübersichtlichen Gelände über die Zonengrenze. Während es einem Beamten gelang, sich in Sicherheit zu bringen, wurde der andere festgenommen und nach Aussagen von Bewohnern der Ostzone in Richtung Meiningen abtransportiert. Über sein Schicksal ist bis jetzt noch nichts bekannt."

Am 8. März 1951 stand in der thüringischen Zeitung "Das Volk": "Berlin (DV/ADN). Nachdem erst am 21. Februar der Volkspolizei-Wachtmeister Herbert Liebs bei dem Ort Pferdsdorf an der Demarkationslinie auf dem Boden der Deutschen Demokrati-schen Republik von USA-Soldaten aus dem Hinterhalt erschossen wurde, haben am 2. März amerikanische Besatzungstruppen im gleichen Abschnitt ein neues furchtbares Verbrechen verübt. Die Volkspolizisten Schmidt und Janello wurden an diesem Tag in Obersuhl von USA-Soldaten ermordet."

Blättern wir doch einmal in dem Buch "Grenzerfahrungen - Bayern Thüringen 1945 bis 1971" Da lesen wir unter dem Datum 28. Februar 1951: "Am 28.2. 51 gegen 11,30 Uhr, 1 km westlich des Dorfes Ifta auf der Straße nach Kassel bemerkte eine Streife aus 2 Volkspolizisten des Kommandos, Kommandantur Creuzburg, Bereitschaft Mihla, in Begleitung von zwei Sowjetsoldaten des Kommandos Ifta, dass in einer Entfernung von 300 m sich ein amerikanischer Jeep dem Schlagbaum näherte. Ein GI hatte im Jeep mit einem Karabiner Feuerschutz übernommen, ein weiterer befand sich ca. 15 m auf dem Boden der DDR und versuchte durch heftiges Rufen, Pfeifen und Winken die Streife anzulocken.
Dann nahmen beide Amerikaner das Gewehr in Anschlag und entfernten sich mit ihrem Fahrzeug, als die Streifenmänner dem Grenzverletzer den Rückweg abzuschneiden versuchten. Beide Amis machten einen betrunkenen Eindruck, wie auch der Zick-Zackkurs des Fahrzeuges erkennen ließ. (BstU)"
Es heißt da weiter: "Am 1.3.1951 gegen 15,30 Uhr überschritten am Schlagbaum `Köpfchen` bei Pferdsdorf 7 bis 8 amerikanische Soldaten die Grenze und befanden sich etwa 10 m, einer 15 - 20 m auf DDR Gebiet. Die amerikanischen Soldaten riefen zwei Angehörige der Kreispolizei und versuchten, die beiden an sich heranzulocken. (BstU)"

"Am 7.3. wurde um 11,15 Uhr und 11,30 Uhr an den Siebenzeilern am Ortsverbindungsweg Untersuhl - Riegelsdorf eine VP-Streife zweimal mit zwei Schüssen beschossen. Nach dem zweiten Beschuss bemerkten sie einen Jeep mit vier Amerikanern von dem aus die Streife in einer Entfernung von ca. 230 m beschossen worden war. (Staw. Mgn)"
"Schwerer Grenzzwischenfall an der Zonengrenze bei Tremersdorf/Straßensperre Weihersmühle nördlich von Coburg.
Sowjetzonale Volkspolizei beschießt ein mit Flüchtlingen besetztes Fahrzeug und verletzt hierbei bundesdeutsches Hoheitsgebiet. (Chronik BGS I, 77)"

Interessant und sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Foto, dass ein paar Seiten weiter in dem Buch "Grenzerfahrungen" veröffentlicht wird.

Die Bildunterschrift lautet: "Der BGS als Fluchthelfer in den 50er Jahren" Es zeigt, wie BGS-Beamte "DDR-Flüchtlingen" tatkräftig unter die Arme greifen und beim ungesetzlichen Grenzübertritt Schützenhilfe leisten.

Im Buch heißt es weiter: "29. Juli 1952. Der Fall Palzer. Am 29.Juli 1952 zwischen 16,30 Uhr und 16,45 Uhr wurde an der Zonengrenze in den Nähe der Wegesperre Willmars - Stedtlingen der 27 jährige Zollgrenzassistent Gerd Palzer von Volkspolizisten erschossen."
Die genauen Umstände dieses Zwischenfalles konnten nicht ermittelt werden.

Mit der Überschrift "EIN ZÖLLNER WIRD AN DER GRENZE ERSCHOSSEN" veröffentlichen die Autoren Schätzlein/Rösch/Albert eine Story, die es wahrlich in sich hat. Mit der Wahrheit nimmt man es dabei nicht so genau, die Geschichte ist schlecht recherchiert und stimmt weder vorn noch hinten.
Es beginnt mit dem Datum. Amtlicherseits spielte sich der Zwischenfall am 29. Juli 1952 ab. Da stimmen Ost-und Westseite überein. Die Story ist aber mit dem 5. Juli 1952 datiert, und umfasst vier ganze Seiten des Buches.
Man liest: "5. Juli 1952 - Erntezeit. Heiß brannte die Sonne schon seit Tagen zur Freude der Landwirte und ihrer Helfer." Es ist also Hochsommer und heiß. Der Zöllner hatte aber einen Mantel bei sich(!).

"...Drei DDR-Grenzsoldaten standen direkt am Schlagbaum, wie schon oft, obwohl sie, das wusste Palzer aus vielen Gesprächen, hinter dem abgeholzten Teil bleiben sollten und auf keinen Fall Kontakte mit Westgrenzern aufnehmen durften.
Im Juli 1952 gab es aber noch keine DDR-Grenzsoldaten. Es handelte sich um Angehörige der Grenzpolizei der DDR und später der Deutschen Grenzpolizei. Erst ab Oktober 1952 mit der Einführung militärischer Dienstgrade wurde von Grenzsoldaten gesprochen.
Auch auf die Uhrzeiten konnten sich die Verfasser dieses Berichtes nicht einigen. Erst heißt es 16.45 Uhr und 17.30 Uhr dann aber auf einmal 8.00 Uhr obwohl man 20.00 Uhr meint.

Man liest: "Durch die Aussagen von Dorfbewohnern und die Tatrekonstruktion der Kriminalpolizei spielte sich der unerklärliche Vorfall folgendermaßen ab:
Gegen 16.40 Uhr traf Palzer... auf drei oder vier DDR-Grenzpolizisten, mit denen er sich unterhielt. Plötzlich drangen die Vopos auf ihn ein, nach kurzem Handgemenge riss sich Palzer los und lief rückwärts. Die Volkspolizisten eröffneten das Feuer auf ihn. Ein Schuss traf Palzer am Unterschenkel. Dieser schoss mit seiner Dienstpistole zurück und ging hinter einem Getreidehaufen ca. 100 m diesseits der Grenze in Deckung. Die Vopos verfolgten den Verletzten, indem sie das Waldstück `Tiergarten`
durchquerten und ihn ins Kreuzfeuer nahmen. Dabei wurde Palzer von einem Schuss im Genick getroffen. ... Man sah auch die Schleifspuren, entdeckte später die Blutspuren und konnte feststellen, wie Palzer nach einem Schuss ins linke Knie zusammenbrach, sich wieder aufraffte und einige Meter weiter von den verfolgenden DDR-Volkspolizisten aus nächster Entfernung ins Genick geschossen wurde. ...Wie viele Schüsse tatsächlich abgegeben wurden, ist nie geklärt worden. Auch die Waffe Palzers ist nie wieder aufgetaucht. ...Die gegnerische Seite stritt alles ab, auch als die westlichen Grenzbeamten sie mit dem Untersuchungsergebnis konfrontierten und" man "ihnen anbot, den Tötungsort selbst zu untersuchen. Sie sagten, sie dürften feindliches Gebiet nicht betreten. Ein russischer Major wies gegenüber Amerikanern und Polizei jede Schuld der Grenzpolizisten zurück, weil der Zöllner auf ostzonalem Gebiet erschossen worden sei und sich nur in den Westen geschleppt hätte. Der Todesschuss zumindest traf Gerd Palzer auf jeden Fall auf westzonalen Gebiet."

Es heißt in dem Bericht weiter: "Hinterher wurde viel spekuliert, was die Hintergründe der Tat gewesen sein könnte. ...In der Bevölkerung hält sich aber immer noch der andere, der private Erklärungsversuch des Dramas:
Es sei dabei um Mädchen gegangen, denen von Palzer und einem Kollegen der Zugang zur Grenze und zu den Volkspolizisten verwehrt worden sei. Ein Racheakt wird heute noch für möglich gehalten. Es wurde auch vermutet, dass Palzer zuerst einen Pistolenschuss abgegeben haben könnte. Ohne Pistole war das aber nicht nachzuweisen."
Soweit aus dem Bericht, der die westliche Version darlegt. Dieser Bericht gibt aber weder amtliche Quellen an noch fußt er auf bestätigte Zeugenaussagen. Außerdem weist er gravierende Lücken auf und ist wenig glaubhaft.

Was ist dazu auf der östlichen Seite vermerkt worden? Wie sah es die DDR-Behörde? Dazu liegt ein Dokument vor:

"Ministerium für Staatssicherheit
Verwaltung Deutsche Grenzpolizei
Berlin, am 30.70 52
Ne/Pe
Meldung besonderer Vorkommnisse Nr. 178/52, für die Zeit vom 29.7. 6.00 Uhr bis 30.7.52 6.00Uhr

Am 29.7.52 gegen 16.40 Uhr kam es im Bereich des Kommandos Stedtlingen, Kommandantur Hermannsfeld, Grenzpolizeibereitschaft Meiningen zu einer Provokation des westlichen Zollschutzes mit anschließendem Schusswaffengebrauch durch eine Streife des Kommandos Stedtlingen.
Der Beobachtungsposten des Kommandos Stedtlingen, besetzt mit 4 Grenzpolizisten, beobachteten einen westlichen Zöllner, der den 10-m-Kontrollstreifen überschritt und versuchte, die Grenzpolizisten in ein Gespräch zu verwickeln. Er versprach unseren Grenzpolizisten amerikanische Zigaretten und verwies dabei auf bereits von ihm geführte Gespräche mit anderen Angehörigen des Kommandos vor allem wollte er mit Kameraden sprechen, die kürzlich von der Staatsgrenze zur Demarkationslinie versetzt wurden.

Als unsere Grenzpolizisten nun die Festnahme vornehmen wollten, widersetzte sich der Zöllner und zog seine Dienstpistole. Es gelang unseren Grenzpolizisten, ihm diese aus der Hand zu schlagen und ihn zu überwältigen. Kurz danach riss er sich los und stürzte in Richtung Demarkationslinie davon. Hierauf wurden von unseren Grenzpolizisten insgesamt 2 Karabiner- und 3 Pistolenschüsse abgegeben, wodurch der Zöllner durch Kopfschuss tödlich verletzt wurde. Er stürzte 2 m vom Kontrollstreifen entfernt, auf westlichem Gebiet nieder. Der im selben Augenblick eintreffende Offizier der Operativ-Gruppe ordnete an, den Verwundeten auf das Gebiet der DDR zu tragen, um ihn erste Hilfe zu erweisen. Inzwischen war jedoch der Zöllner verstorben, so das er wieder auf westliches Gebiet zurückgetragen wurde.

Sowjetische Kontrollkommission und Operativ-Gruppe Meinigen wurden sofort verständigt. Am Tatort befindet sich: Stabschef der Grenzpolizeibereitschaft Meiningen, Kommandanturleiter, Sowjetischer Bataillonskommandeur und ein Offizier der Operativ-Gruppe.
Nach telefonischer Mitteilung der Grenzpolizeibereitschaft Meiningen befinden sich auf westlicher Seite eine amerikanische Kommission und eine Anzahl Zöllner am Tatort. Weitere Ermittlungen werden getätigt. Nach Aussagen der beteiligten Grenzpolizisten wurde von dem Zöllner ebenfalls ein Pistolenschuss abgegeben. Verletzungen traten hierdurch nicht ein."
Bei diesem Vorfall und dem Schusswaffengebrauch handelt es sich zweifelsfrei um den Zollassistenten Gerhard Palzer. Darauf deuten Datum. Uhrzeit und Ortsangaben hin.

Nur eine lapidare Meldung

Beschäftigen wir uns mit einem weiteren Fall des Schusswaffengebrauchs durch Angehörige der Deutschen Grenzpolizei.
Im Band I "Grenzerfahrungen" steht auf Seite 114 unter dem Datum 9. November 1955 - ohne Quellenangabe - eine lapidare Meldung.

"Das Opfer eines Mordanschlags durch Sowjetzonen-Grenzposten bei Steinbachsmühle an der Zonengrenze bei Steinbach im bayerischen Kreis Kronach wurde am 9. November 1955 der Thüringer Kaufmann Max Grübner. Als er sich auf der Flucht in der Dämmerung auf bayerisches Gebiet schleichen wollte, wurde er aus dem Hinterhalt erschossen. Zunächst nur angeschossen, versuchte er sich noch auf den Boden der Bundesrepublik zu schleppen. Aber weitere Schüsse aus zwei sowjetzonalen Gewehren trafen Max Grübner tödlich."

Abgesehen von der Diktion "Mordanschlag" und "Sowjetzonen-Grenzposten" sowie "aus dem Hinterhalt erschossen" und "sowjetzonale Gewehre" lassen auf den Geist des Verfassers dieser Meldung schließen.
Zum einen "Mordanschlag". Wer sagt das, dass es ein Mord war? Wer stellte das fest? Ein Gericht oder irgendeine Behörde? Vielleicht war es Totschlag? Oder richtig, der Wahrheit gemäß, ein Schusswaffengebrauch auf rechtmäßiger Grundlage?

War es die "Sowjetzone" oder die DDR, diese existierte bereit sechs Jahre. Die "Hallstein-Doktrin" lässt grüßen.

Doch lassen wir das und wenden wir uns diesen bedauerlichen Fall zu. Eines stimmt: Der Kaufmann Max Grübner verlor bei dem Versuch des Grenzdurchbruchs sein Leben.

Was war aber wirklich geschehen?

In einem Dokument vom 14. November 1955 steht schwarz auf weiß der wahre Sachverhalt, der Hintergrund, die Zusammenhänge und das Motiv von Max Grübner für seinen versuchten Grenzdurchbruch.

"Grenzbereitschaft- Dittrichshütte                                                                                       O.U., den 14. November 1955

A b s c h l u s s b e r i c h t

Über die Tötung eines illegalen Grenzverletzers
In rechtmäßiger Anwendung der Schusswaffe

Am 9. 11. 1955 gegen 10,40 Uhr wurde im Bereich des Kommandos Lichtentanne, Kommandantur Weitisberga, etwa 200m südwestlich der Steinbachmühle, der Kaufmann Max Grübner, geb. 9.5.1911 in Lengenfeld Kreis Weimar, wohnhaft in Blankenhain Kreis Weimar, Rudolstädterstraße 4, verheiratet, beim Versuch die Grenze von DDR nach West zu überschreiten, durch rechtmäßige Anwendung der Schusswaffe...getötet. Der Grenzverletzer konnte die Grenzlinie noch überschreiten und brach erst zusammen, als er sich bereits auf westlichem Gebiet befand.

Durch die Westpresse wird dieses Vorkommnis ausgenutzt, eine Verleumdungskampagne gegen die DDR zu starten und berichtet, dass der Grenzverletzer erst getroffen worden sei, als er bereits die Grenze überschritten hatte und sich auf westlichem Gebiet befand.

Die Untersuchung dieses Vorkommnis wurde vom Kommandeur der Grenzbereitschaft durchgeführt. Die Untersuchungen durch photographische Dokumente nachgewiesen, zeigen folgendes Ergebnis:

Bereits am 6. 11. 1955 wurde dem Kommando Lichtentanne durch Zivilpersonen mitgeteilt, dass eine ortsfremde Person sich im Grenzgebiet aufhält und versucht die Grenze nach Westdeutschland zu überschreiten. Die unbekannte Person versuchte, einen Schäfer als Grenzführer zu dingen und bot dafür 100,00 DM. Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen mit Unterstützung der Grenzpolizeihelfer blieben zunächst ohne Erfolg.

Am 7. 11. 1955 wurde der Aufenthalt der unbekannten Person durch Waldarbeiter erneut bestätigt. Die von ihnen gesichtete Person war nach ihrer Personenbeschreibung identisch mit jenem Unbekannten, der bereits am Vortage den erwähnten Schäfer für die Grenzführung ausnutzen wollte. Auch hier bleiben Fahndungsmaßnahmen, die auch über den 8. 11. 1955 fortgesetzt wurden, erfolglos. Der Grenzabschnitt wurde verstärkt gesichert.

Die von dem erwähnten Schäfer und durch die Waldarbeiter abgegebene Personenbeschreibung stimmt überein mit Alter, Aussehen und Bekleidung des getöteten Grenzverletzers.

Es ist somit erwiesen, dass er sich zumindest seit dem 6. 11. 1955 im betreffenden Gebiet aufgehalten hat. Ermittlungen ergaben, dass er sich eines Wirtschaftsdeliktes als Leiter eines HO-Betriebes schuldig gemacht hat und seit dem 2. 11. 1955 von seinem Wohnort abgängig ist. Gegen Grübner läuft ein kriminalpolizeiliches Untersuchungsverfahren. Er wurde vermutlich im Grenzgebiet illegal beherbergt und suchte in dem unübersichtlichen und dichtbewaldeten Gebiet nach einer günstigen Möglichkeit, die Grenze überschreiten zu können. Bei der Verfolgung seiner Spur vom 10 m Kontrollstreifen in das Hinterland wurde in ca. 50 m Entfernung von der Grenze im dichten Unterholz in einer kleinen Senke festgestellt, dass das Bodengras stark niedergetreten ist. Vermutlich hat der Getötete dort einige Zeit gewartet und beobachtet.

Am 9. 11.1955 gegen 10,40 Uhr befand sich der Soldat Gau vom Kommando Lichtentanne etwa 200 m südwestlich der Steinbachmühle auf dem Weg von Lichtentanne nach Probstzella. Er hatte Befehl, die Überwachung von Holzarbeiten durchzuführen, die mit zwei Traktoren Langholz abfuhren. Da die Verladearbeiten nur kurze Zeit in Anspruch nahmen und ein Überfahren der Grenze in diesem Abschnitt auf Grund der Geländeverhältnisse unmöglich ist.
...Als gegen 10,40 Uhr die Traktoren beladen waren und hintereinander in Richtung Lichtentanne abfuhren, bemerkte der Soldat Gau, der selbst hinter dem 2. Traktor herlief, wie eine unbekannte Zivilperson von links aus einem an einem Steilhang gelegenen dichten Unterholz in schnellen Schritte herauslief, vor dem zweiten Traktor den Weg überquerte und über einen Hang sich direkt auf den 10 m Kontrollstreifen zu bewegte. Der Soldat Gau. Der sich ca. 40 m von dieser Person entfernt befand, rief die Person sofort in der richtigen Form an, stehen zu bleiben. Die Person reagierte auf diesen Anruf nicht, überquerte den Weg und war für wenige Augenblicke durch den Steilhang und durch das Gebüsch gedeckt, der Sicht des Soldaten Gau entzogen. ...Der Soldat blieb an seinem Platz stehen und gab zwei Warnschüsse ab. Auch diese wurden von den Grenzverletzer nicht beachtet. Der Soldat Gau handelte richtig, in dem er auf seinem Platz stehen blieb. Die Entfernung des Grenzverletzers zur Grenze war weitaus kürzer als die Entfernung des Soldaten zum Grenzverletzer selbst oder zur Sperrung seines Weges in Richtung Grenze. Bei einer Verfolgung hätte er selbst erst den ca. 8 m hohen Steilhang mit dichtem Himbeergestrüpp und Krüppelbuchen überwinden müssen und hätte den Grenzverletzer das Überqueren des 10 m Kontrollstreifens gestattet, weil er in dieser Zeit selbst keine Sicht keine Sicht mehr hatte und von der Schusswaffe keinen Gebrauch machen konnte. Als der Grenzverletzer den 10 m Kontrollstreifen betreten hatte und ihn in großen Schritten zu überqueren versuchte... gab der Soldat einen Zielschuss ab. Die Abgabe eines Zielschusses entspricht den Bedingungen der Instruktion für die Deutsche Grenzpolizei, weil der Grenzverletzer durch Anruf, zwei Warnschüsse ausreichend gewarnt war und keine andere Möglichkeit vorhanden war, ihn am unkontrollierten Grenzübertritt zu hindern.
... Der Grenzverletzer wurde getroffen, als er den Kontrollstreifen ca. 7 m überschritten hatte.
...Die Anwendung der Schusswaffe durch den Soldaten Gau erfolgte in Übereinstimmung mit den Dienstvorschriften und Befehlen und ist somit rechtsmäßig.

Kommandeur der Grenzpolizeibereitschaft
- Oberstleutnant - (Greiner-Mai)"

Hier wurde dieser "Abschlussbericht" deshalb so ausführlich zitiert, weil er entgegen der lapidaren, die Tatsachen entstellenden Meldung, aufhellendes Licht in die Sache bringt:
Zum einen, der Grenzverletzer schlich sich nicht "in der Dämmerung" auf die Grenze zu, sondern es war vormittags gegen 10,40 Uhr.
Zum anderen, wurde er nicht "aus dem Hinterhalt erschossen", sondern durch Anruf und zwei Warnschüsse auf das ungesetzliche seiner Handlungsweise hingewiesen. Er aber ignorierte alle Warnungen.
"Aber weitere Schüsse aus zwei sowjetzonalen Gewehren" trafen den Grenzverletzer. An der Grenze befand sich aber nur ein Grenzsoldat mit einem Gewehr, der einen Zielschuss abgab.
Im amtlichen "Abschlussbericht" ist noch festgehalten: "Es muss noch bemerkt werden, dass der Soldat, nachdem der Grenzverletzer tot liegen geblieben war, das festgelegte Signal `Offizier zur Grenze!`schoss. In dem sensationslüsternen und verlogenen Bericht der Westpresse wird diese Tatsache zu der Behauptung ausgenutzt, dass `die Vopos noch ein paar Mal über die Grenze schossen, nach dem der Grenzverletzer bereits getroffen war`. Schon aus der Berichterstattung heraus...wird ersichtlich, dass es sich um eine willkürliche Auslegung handelt, die zeugenschaftlich nicht nachgewiesen ist und aus der politischer Gewinn geschlagen werden soll, weil sonst ebenso festgestellt worden wäre, dass in Wirklichkeit nur ein einzelner Grenzpolizeiangehöriger im betreffenden Abschnitt gewesen ist."
Abgesehen einmal von den holprigen Formulierungen im Bericht, enthält er aber Fakten, die hartnäckig und eindeutig sind.

Mord an den Grenzsoldaten Waldemar Estel

Bis heute werden mit ermordeten Grenzsoldaten infame, niederträchtige und die Wahrheit auf den Kopf stellende politische Geschäfte betrieben, mit dem Ziel die Toten zu diskriminieren und Vorkommnisse in der DDR gemein mit Schmutz zu bewerfen.

Am 3. September 1956 hatte der Gefreite Waldemar Estel den Befehl mit einem Pferdegespann den Kontrollstreifen an der Grenze nahe der Fernverkehrsstraße 84 zu bearbeiten. Als Sicherungsposten fungierte der Soldat Gernau.

Gegen 15,15 Uhr näherte sich, aus dem Hinterland der BRD kommend, auf der Bundestrasse 84 im Raum Grüsselbach-Buttlar ein grüner Pkw, Marke Mercedes. Kennzeichen ML-4586, Nationalitätenkennzeichen E (Spanien). Der Wagen hielt am westlichen Schlagbaum. Eine männliche Person stieg aus, schaute sich kurz um - er hatte eine Karte in seinen Händen - drang provokativ in das Gebiet der DDR und überschritt dabei den Kontrollstreifen. Gefreiter Estel bemerkte diese Provokation und nahm den eingedrungenen Grenzverletzer fest.
Der Grenzsoldat eskortierte den Festgenommenen ins DDR-Hinterland. Während sein Begleitposten beim Gespann verblieb. Ungefähr 450 m von der Staatsgrenze entfernt, zog der vor dem Gefreiten hergehende Grenzverletzer aus seiner Tasche eine Pistole und schoss auf den Grenzsoldaten. Die Kugeln trafen den Gefreiten Estel tödlich. Der Täter ergriff daraufhin die Flucht und rannte entlang der Straße 84 Richtung Grenze. In der Nähe sich aufhaltende DDR-Grenzposten versuchten den Mordschützen an seiner der Flucht zu hindern. Dabei schoss der Grenzverletzer mehrmals auf die Grenzsoldaten. Seine Schüsse gefährdeten auch an der Grenze arbeitende Bauern.
Dem Täter gelang es zu fliehen. Es wurde bekannt, dass es sich bei den Todesschützen vermutlich um den Spanier Antonio de la Lastra Rueda handelte.

Dem Band I "Grenzerfahrungen" ist zu entnehmen dass bereits am 2.9.1956 vier spanische Staatsangehörige von Schweden kommend in Lübeck-Travemünde in die Bundesrepublik Deutschland einreisten. Sie fuhren mit den oben benannten Pkw. Dieses Fahrzeug hatte am 3.9.1956 nach 19,00 Uhr Grenzübergangsstelle Zollamt Neu-Lauterburg/Pfalz ungehindert passiert und ist nach Frankreich eingereist. Die Anzahl der Insassen konnte nicht ermittelt werden.
Der Bericht im Buch "Grenzerfahrungen" ist sachlich und bemüht sich, die Tatumstände und Hintergründe dazustellen. Der Täter und seine Begleiter sind Spanier. Eine Auslieferung an die BRD bzw. die DDR wurde abgelehnt. Es gibt Spekulationen und Mutmaßungen dass es sich bei diesen Verbrechen um einen Agententhriller handelte. Waren die drei womöglich Angehörige der Franco-faschistischen "Blauen Division", eines spanischen Hilfskorps, das im 2. Weltkrieg an der Seite deutscher Truppen in der Sowjetunion kämpfte. Hatten diese alten Soldaten eine alte Rechnung zu begleichen? Es stellte sich heraus, zwei der Spanier waren Obristen der spanischen Luftwaffe. Warum handelten an der Staatsgrenze zur DDR nur noch drei Spanier. Wo war der vierte abgeblieben? Sollte er etwa bei Rasdorf an der Grenze wieder aufgenommen werden? Viele ungelöste Fragen bleiben.

Das DDR-Organ "Neues Deutschland" schreibt am 9.9.1956. Man verweist auf die Tatsache, dass unmittelbar nach der Mordtat von Angehörigen der amerikanischen Armee, die sich unweit von der Mordstelle aufhielten, nicht der geringste Versuch unternommen worden war, die Gangster festzunehmen. Obwohl der Fahndungsapparat der Bundesrepublik, wie erklärt wurde, auf Hochtouren lief und zwangsläufig alle Grenzübergänge scharf kontrolliert wurden, soll es nun den Mördern gelungen sein, völlig unbehelligt mit einem Kraftfahrzeug ins Ausland zu flüchten. Diese Darstellung lässt vermuten, dass offenkundig höchste Stellen der Bundesrepublik und der Besatzungsorgane daran interessiert sind, die Verbrecher zu decken und die Öffentlichkeit darauf vorzubereiten, dass diese Ermittlungen im Sande verlaufen."
Doch um all das geht es uns in diesem Fall nicht.

42 Jahre später am 5. März 1998 veröffentlichte die Thüringer Tageszeitung "Freies Wort" und auch die "Südthüringer Zeitung" ein mit (bh) unterschriebenen Beitrag. Beide Zeitungen gleiche Überschriften, gleicher Text
Überschrift: "Wer erschoss den Grenzer Waldemar Estel?" Unterzeile: "In der DDR war der ermordete Waldemar Estel zum Helden geworden/Was war 1956 wirklich passiert?
Erstaunlich die Erkenntnis, Estel wurde Opfer eines Mordes!

Es ist wahrlich notwendig aus diesem Zeitungsbeitrag des Jahres 1998 zu zitieren: "Waldemar Estel, der als Grenzsoldat am 3. September 1956 zwischen Buttlar und Grüsselbach ums Leben kam, wurde danach zum Helden glorifiziert. Was war aber dran an dem Vorwurf der damaligen DDR-Regierung, Estel sei Opfer eines imperialistischen Anschlages geworden?"

Dem Autor ist anzuraten, sich einmal die Bände I-III der "Grenzerfahrungen" zu Gemüte zu führen.

Doch lesen wir weiter: "Er hatte einen Mann spanischer Nationalität - wie sich später herausstellte - festgenommen und diesen abgeführt. Dabei ging er laut damaliger Zeugenaussage vor dem Spanier her und wurde von diesem von hinter erschossen..."

In den "Grenzerfahrungen" liest man es aber anders.

Wie heißt es aber weiter in dem Zeitungsartikel? "In Buttklar genoss der junge Mann durch sein selbstherrliches Auftreten kein Ansehen. Man war ihm nicht gut gesonnen.
Nach diesem Vorfall... stellte die DDR an der heutigen Bundesstraße 84 einen Gedenkstein auf, dessen Umfeld jahrelang von Buttlarer Schulkinder gepflegt werden musste. In der Dorfschule wurde nach dem Zwischenfall sogar eine Büste des Erschossenen aufgestellt.. Die Schule erhielt seinerzeit den Namen ``Waldemar-Estel-Schule`. Das DDR-Außenministerium erklärte damals, durch solche Zwischenfälle würden vorsätzliche Spannungen an der Grenze zwischen beiden deutschen Staaten geschaffen. Die Bundesrepublik trage dafür die volle Verantwortung. Damit schob die DDR jegliche Verantwortung von sich und stellte die Bundesrepublik quasi als `Scharfmacher` hin."

Was soll das alles? Schließlich kam der Täter aus der BRD, mordete in der DDR, floh in die BRD zurück und verließ samt seiner Komplicen ungeschoren die BRD. Wer trägt hier nun die Verantwortung?
Soweit dieses journalistische Elaborat.

Die Artikel in den Thüringer Zeitungen waren für den langjährigen Amtsleiter des Volkspolizeikreisamtes Bad Salzungen, Werner Hänßler, Anlass zu einer Stellungnahme. Hier nur einige Auszüge: "Schon diese Überschrift enthält mehr als eine provokatorische Fragestellung, ist doch eindeutig geklärt und bewiesen, wer den damaligen Grenzpolizisten der DDR, Gefreiter Waldemar Estel in Ausübung seines Dienstes auf dem Territorium der ehemaligen DDR ermordete.
Diese Tatsachen sollen aber schon mit der Überschrift... in Frage gestellt werden. Es wird ohne konkrete Geschichtskenntnisse, ohne Kenntnis der damals geführten Untersuchungen und deren Ergebnisse unkundig, subjektiv spekuliert, abgewertet, dem Leser bewusst oder unbewusst suggeriert, das war doch damals alles anders. Das wurde doch nur von der DDR hochgespielt und propagandistisch aufgemacht. Dem Leser wird über die objektive Wahrheit dieser Grenzprovokation keinerlei Aufklärung gegeben... Berechtigte Fragen

wie: Wer war der Mörder, welchen Auftrag hatte er und von wem? Mit welchen Mitteln drang er gewaltsam und ungesetzlich, mit illegalem Schusswaffengebrauch in die DDR ein und machte sich zum Mörder? Warum konnte er sich auf seiner Flucht der Festnahme auf den Boden der BRD entziehen? Warum wurde er für die begangenen Straftaten nicht zur Verantwortung gezogen, das Auslieferungsersuchen der DDR nicht unterstützt?

Auf alles das wurde keine Antwort gegeben und der Leser im unklaren gelassen. Statt dessen wurden Vermutungen angestellt, Unbegründetes mit Halbwahrheiten gemischt, Abwertungen vorgenommen, Die Schüler... , die dem ermordeten Grenzpolizisten ein ehrendes Andenken bewahrten, diffamiert, indem, ihnen unterstellt wurde, dass sie das nicht aus Überzeugung getan hätten, sondern nur weil sie es tun mussten. Dem Ermordeten wurde öffentliches Ansehen abgesprochen...

Im Ergebnis der Untersuchung des Mordes an Waldemar Estel wurde der Tathergang rekonstruiert, Tatwaffe war eine belgische Armeepistole Typ FN...
Waldemar Estel hatte den Grenzverletzer beim gewaltsamen Grenzdurchbruch beobachtet, so damalige Zeugenaussagen. Er nahm ihn fest, feuerte aus seiner Leuchtpistole das Signal, `Grenzverletzer festgenommen` und führte den Grenzverletzer in Richtung Grenzkompanie Buttlar ab, indem er seitwärts hinter diesem lief. Die Darstellung in dem Zeitungsartikel, Waldemar Estel wäre nach der Festnahme bei der beabsichtigten Zuführung zur Grenzkompanie vor dem Grenzverletzer gelaufen, ist falsch. Die Leuchtkugeln hatten die Alarmgruppe der Grenzkompanie alarmiert... .

Angesichts der zu erwartenden Unterstützung, aber auch wie sich zeigte, nicht wiedergutzumachender Sorglosig- und Vertrauensseligkeit des Gefreiter Estel - er hatte den Grenzverletzer nicht nach Waffen durchsucht, hielt seine mitgeführte Maschinenpistole (MP 41) geschultert und nicht schussbereit im Anschlag - konnte der Grenzverletzer seine mitgeführte Waffe nutzen und schoss Waldemar Estel nieder...
Das änderte aber nichts an der Tatsache, das er ein Opfer eines brutalen Verbrechers und Terroristen wurde, der ungesetzlich und gewaltsam in das Staatsgebiet der DDR eingedrungen war und sich des Mordes schuldig machte. Der Grenzverletzer war der Täter und Mörder, der Grenzpolizei sein Opfer...

Wie bekannt, wurde in der Nähe des Tatortes... ein Gedenkstein erreichtet, den die Schüler der Schule, die seinen Ehrennamen trug, wie ich bereits erwähnte, zu DDR-Zeiten liebevoll pflegte...

Nach der Wende wurde der Gedenkstein nicht, wie im Artikel dargestellt, übertüncht, sonder zunächst auf die übelste Weise beschmiert, mit `Stasischwein` und Nazisymbolen unter anderem Hakenkreuze und SS-Runen..."

 

Tote an dieser Grenze gab es viele. In dem Buch von Kurt Frotscher und Horst Liebig "Opfer deutscher Teilung" heißt es, dass es weder den Interessen der Opfer und deren Hinterbliebenen entspricht, die gefallenen Grenzer zu heroisieren, noch das Handeln der Täter mit den damaligen Verhältnissen zu entschuldigen. Auch verbietet es sich, die Schuld am Tod einiger Grenzer in Fehlern ihres taktischen Verhaltens bei der Dienstdurchführung zu suchen."

In der Folge wird auch noch von einigen getöteten Grenzsoldaten die Rede sein. Damit soll aber nicht deren Tod gegen den Tod von Grenzverletzern aufgerechnet werden.

Alle, ob Grenzverletzer oder auch Grenzsoldaten waren und sind Opfer des Kalten Krieges.

Zur Betrachtung der Geschichte der Nachkriegszeit und deren Wertung, vor allem das tragische Geschehen an der Staatsgrenze, gehört nun mal die objektive Bestimmung der Opfer- und der Täterrolle gleichermaßen. Denn sowohl die Schützen als auch die Getöteten handelten in einem nicht leicht zu durch schauendes Netzwerk militär-politischer Machtansprüche.

 

Tod im Niemandsland?

So lautet die Kapitelüberschrift in dem 2007 erschienen Buch von Heinrich Thies "Weit ist der Weg nach Zicherie".

Schon die Überschrift ist falsch. An der Staatsgrenze der DDR zur BRD gab es kein "Niemandsland". Das Territorium der beiden deutschen Staaten reichte immer bis zur Grenzlinie. Bis zu dieser Linie galt die Hoheitsgewalt des jeweiligen Staates. Das war Gesetz und auch die Grundlage jeden Handelns.
Das Kapitel des Buches beginnt etwas stimmungsvoll: "Das Herbstlaub leuchtete in den schönsten Goldtönen, die Sonne schien an einem strahlend blauen Himmel, die Temperaturen kletterten an diesem 12. Oktober 1961 auf zwanzig Grad. Ideales Wetter für eine Landpartie, beste Voraussetzungen für eine Reportagereise. Am 9.Oktober bereits war der Dortmunder Journalist Kurt Lichtenstein aufgebrochen, um zwei Monate nach dem Bau der Mauer in Berlin über das Leben an der innerdeutschen Grenze zu berichten, über zerrissene Dörfer und Familien, über Bundesgrenzschutz und Volkspolizei. Vom hohen Norden bis in den Süden, von Lübeck bis Hof wollte der Chefreporter der `Westfälischen Rundschau` mit seinem roten Ford Taunus fahren, den er sich gerade erst zugelegt hatte."

Alles schön und gut. Der Leser erfährt, es handelte sich gewissermaßen um eine "Landpartie". Also, harmlos und unverfänglich. Auf den ersten Blick eine löbliche Absicht.

Man wird informiert dass es sich bei dem Reporter Lichtenstein keineswegs um einen etwaigen "Kalten Krieger" handelte.

Er war der Sohn eines jüdischen Schuhmachers aus Berlin und schloss sich bereits in den zwanziger Jahren der Kommunistischen Partei Deutschlands an (KPD).1933 tauchte er in den Untergrund ab, weilte eine kurze Zeit in der Sowjetunion, hielt sich wieder in Deutschland auf und emigrierte schließlich nach Frankreich. Dort war er für verschiedene kommunistische Organisationen tätig. Dann ging er nach Spanien und kämpfte in den Internationalen Brigaden gegen den Faschisten Franco. Nach Ende der Kämpfe wurde er in Frankreich interniert, flüchtete und schloss sich während des 2. Weltkrieges der französischen Widerstandsbewegung an. Nach dem Krieg war er im Ruhrgebiet, beteiligte sich am Wiederaufbau der KPD und der Gewerkschaften. Er war Abgeordneter der KPD.,von 1947 bis 1950, im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Lichtenstein betätigte sich auch als Journalist.

Wörtlich heißt es im Buch: "Der Weggefährte Herbert Wehners wurde Chefredakteur der `Freiheit` und anderer kommunistischer Zeitungen. Wegen seiner kritischen Äußerungen zu den totalitären Tendenzen in der DDR leitete die KPD dann aber ein Parteiausschlussverfahren gegen Lichtenstein ein. Später trat er der SPD bei und fand erst 1958 wieder eine Anstellung als Journalist."
Schlicht und treffend ausgedrückt, er war ein Renegat.

Soweit zur Person und nun zur Sache: Vormittags am 12. Oktober 1961 traf er in Zicherie/BRD an der Straßensperre ein. Dort informierte er sich bei einem westdeutschen Zöllner nach der Lage in dem Grenzabschnitt. "Ich habe gehört, dass in Richtung Kaiserwinkel eine Straße entlangführt, die parallel zur Zonengrenze verläuft. Kann man die Straße risikolos befahren, oder passiert da manchmal was?"
Hier sei festgehalten, Lichtenstein hatte schon vorher recherchiert. Er wusste von der Straße nach Kaiserwinkel und wollte erfahren, ob man sie "risikolos" benutzen konnte.
Der Zollassistent gab bereitwillig Auskunft. Für den, der sich auf der Straße aufhalte, bestehe keine Gefahr. Die Grenze verlaufe in der Mitte eines Grabens zwischen der Straße und einem 10-m-Kontrollstreifen. Die Grenze ist deutlich erkennbar.
Nach dieser Auskunft setzte sich der Reporter in sein Auto durchquerte Zicherie in Richtung des südlich befindlichen Ortes Kaiserwinkel.

Was der Reporter aber nicht wusste. Am Tage zuvor verletzte der Traktorist Friedrich Bromann in diesem Grenzabschnitt die Staatsgrenze und setzte sich nach dem Westen ab. Zufällig (?) stand zu dieser Zeit ein Bus des BGS an der Grenze, nahm den Grenzverletzer auf und fuhr in Richtung westliches Hinterland.
Kannte der von Lichtenstein befragte Zöllner diesen Vorfall nicht? Eher ist wohl das Gegenteil der Fall. BGS und Zoll tauschten ständig ihre Informationen über die Lage an der Grenze aus. Ließ er den Journalisten etwa bewusst ins offene Messer laufen?

Durch diesen Grenzdurchbruch war den hier im Abschnitt eingesetzten DDR-Grenzposten höchste Wachsamkeit befohlen worden.
Am 12.Oktober war der Posten- und Diensthundführer Gefreiter Peter Sticklies und Soldat Werner Schmidt am Rande eines Kartoffelfeldes am Waldrand als getarnter Beobachtungsposten eingesetzt. Sie waren über die Lage hier im Grenzabschnitt gut informiert und hielten den ihnen zugewiesenen Beobachtungsstreifen unter scharfer Kontrolle. Sie lagen "mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag".
Gegen Mittag näherte sich Lichtensein dem Kartoffelacker, auf dem die Erntemaschinen der LPG arbeiteten. Er sah die Arbeiter, hielt an und stellte sein Auto am Straßenrand ab.

Die Gefahr missachtend verletzte er die Staatsgrenze. Im Buch heißt es dazu. "Ohne zu zögern, sprang er über den Straßengraben" - in dessen Mitte die Staatsgrenze verlief - "und lief auf den LPG-Trupp zu. Die Frauen auf dem fahrenden Kartoffelroder winkten und riefen etwas, doch das Geklapper der Erntemaschinen war so laut, dass er die Rufe nicht verstand. Und er begriff auch nicht, dass die Frauen ihn mit ihren Handzeichen warnen wollten", denn am Waldrand lag ja der Grenzposten.

Die Grenzsoldaten hatten die Grenzverletzung bemerkt. "Für Werner Schmidt war damit der Fall klar: Die offenkundige Grenzverletzung mussten unter allen Umständen unterbunden werden. Schmidt war fest entschlossen, den Mann mit dem Foto-apparat festzunehmen. Während Sticklies weiter liegend seine Stellung hielt, den Karabiner im Anschlag," - was denn nun? Erst haben sie beide Maschinenpistolen, nun taucht aber ein Karabiner auf? - "eilte Schmidt am Waldrand entlang Richtung Grenze, um Lichtenstein den Weg abzuschneiden. Der hatte inzwischen den zehn Meter breiten Kontrollstreifen überquert und war weiter auf den Kartoffelroder zugegangen. Plötzlich verstand er, was ihm die Erntearbeiterinnen zuriefen. Im selben Moment entdeckte er auch schon den Wachposten, der ihn verfolgte. Er erschrak, drehte sich um und rannte zurück. Da war es bereits zu spät.
`Halt! Stehen bleiben! Grenzpolizei`, ruft Werner Schmidt ihm zu, der seine Maschinenpistole auf Dauerfeuer gestellt hat. Doch Lichtenstein läuft weiter. Sein Verfolger nimmt die Dienstwaffe von der Schulter und feuert aus dem Laufen heraus zweimal zur Warnung in die Luft. Da der `Grenzverletzer` immer noch nicht stehen bleibt und Schmidt keine Möglichkeit mehr sieht, ihn vor der Grenze abzufangen, stoppt er, legt an zielt und schießt - zunächst unmittelbar vor dem Flüchtenden in den Boden. Staub und Dreck wirbeln beim ersten Feuerstoß auf. Bei den nächsten Schüssen schlagen die Projektile auf westdeutschem Gebiet ein. Auch das Auto von Lichtenstein wird dabei getroffen, das Glas der Windschutzscheibe und beider Seitenfenster zersplittert... fest entschlossen, den Flüchtenden am Grenzübertritt zu hindern, gibt unterdessen Werner Schmidt weitere Schüsse ab. Gleichzeitig eröffnet auch Postenführer Peter Sticklies aus seiner Deckung heraus das Feuer."

Schließlich beginnt Kurt Lichtenstein zu wanken, stürzt und rutscht in den Grenzgraben. Mit schussbereiter Maschinenpistole geht der Posten Schmidt daraufhin auf den Zusammengebrochenen zu. Als er sieht, wie schwer verletzt der Mann ist, schultert er sein Gewehr, zieht den Verletzten vom Graben weg, schleift ihn über den Kontrollstreifen und legt ihn an einem Weidezaun ab."
In dem Bericht von Thies heißt es weiter: "Keine achtzig Meter entfernt auf der niedersächsischen Seite wird die Menschenmenge immer größer. Mit Blaulicht und Martinshorn fahren Bundesgrenzschutzfahrzeuge und Krankenwagen auf.

...Gegen dreizehn Uhr, eine Stunde nach den Schüssen, treffen mehrere Offiziere der Grenztruppen ein. Sticklies und Schmidt werden abgelöst und zu ihrer Einheit zurückgebracht. Kurt Lichtenstein wird unterdessen zu einem nahe gelegenen Wäldchen getragen. Es vergeht noch eine weitere Stunde, bis ein Sanitätswagen eintrifft, der den Schwerverletzten zum Krankenhaus in Klötze transportiert. Die Verzögerung kommt angeblich dadurch zustande, dass das einzige Sanitätsfahrzeug des Bataillons gerade unterwegs ist und nicht über Funk verfügt."

Dieser Zwischenfall wurde tagelang zum beherrschenden Thema der bundesrepublikanischen Medien. Das Fernsehen berichtete in der "Tagesschau" mehrmals darüber. In der "Frankfurter Rundschau" stand, "Vopo-Schüsse trafen tödlich". Die SPD (!) sprach sogar von "Mord".
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner sprach auf der Trauerfeier von der geschichtlichen Dimension, die dem Tod Lichtensteins innewohne - "eines Mannes, mit dem er seit den dreißiger Jahren bekannt war: In seinem Leben und mit seinem Tod ist er Zeuge für das, was diesem geplagten Volk und gepeinigten Land angetan wurde".

Im Osten, in der DDR war dieser Grenzzwischenfall kein großes Thema. Im "Neuen Deutschland " dem Zentralorgan der SED erschien erst zweit Tage später eine Meldung: "Provokateur verletzte Staatsgrenze der DDR". Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler reihte Kurt Lichtenstein "in die zweifelhafte Gruppe von Provokateuren ein, die `im Westen als Helden gefeiert` würden":
Es liegt uns ein amtliches Dokument der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee vor:
"Geheime Verschlusssache

Fernschreiben

Von: Route 78 O.U., den 12.10.1961
An: Induktion 78

Betr.: Festnahme einer westdeutschen Person durch Anwendung der Schusswaffe mit Verletzung im Abschnitt Kompanie Jahrstedt. Kreis Klötze, Grenzbereitschaft Gardelegen
Am 12.10.1961 gegen 12.05 Uhr kam auf der Straße aus Richtung Zicherie in Richtung Kaiserwinkel ein PKW entlang der Grenze, der ca. 2 000 m südlich der Ortschaft Zicherie hielt.
Dem Fahrzeug entstieg eine männliche Person. Die mit einer Filmapparatur ausgerüstet, die Grenze und den 10-m-Kontrollstreifen in Richtung DDR überschritt und die auf dem Gebiet der DDR arbeitende Kartoffelkombine filmte.

Der westdeutsche Bürger
Lichtenstein, Kurt
geb. am 01.12.1911 in Berlin
wohnh.: Dortmund, Ering, Ostenfelderstr. 181
Redakteur der "Westfälischen Rundschau"
Befand sich ca. 20 m auf unserem Gebiet. Der eingesetzte Grenzposten Gefreiter Sticklies, Peter geb. am 14.05.1942 und Soldat Schmidt, Werner geb. am 29.05.1943 riefen die Person an.
Dem Anruf der eingesetzten Posten leistete L. nicht Folge. Daraufhin wurde Warn- und Zielschüsse abgegeben, wobei L. an Bein und Brust verletzt wurde. L. wurde in das Krankenhaus Klötze überführt. 16.40 Uhr teilte das Krankenhaus mit, dass bei L. starkes Lungenbluten eingetreten ist und Lebensgefahr besteht. 13.30 Uhr erschienen an der Provokationsstelle 5 BGS-Angehörige und drei Zöllner, die die Untersuchungen des Vorkommnisses auf unserem Gebiet beobachteten.
Im Provokationsabschnitt wurde 4 Posten und 1 Offiziersbeobachtungsposten zur Sicherung eingesetzt.
Untersuchung wird durch den Kommandeur der Grenzbereitschaft Gardelegen in Verbindung mit der Abteilung K des Volkspolizeikreisamtes durchgeführt.
Der Durchbruch erfolgte in der Grenzbereitschaft Gardelegen, Kompanie Jahrstedt.
Route 78"
Die Namen "Route" und "Induktion" waren die Tarnamen für GB- Gardelegen und Grenzbrigade Magdeburg. Die Zahl 78 war der Kode für Kommandeur.
Einmal abgesehen von einigen Ungereimtheiten, hatten die Grenzsoldaten nun Maschinenpistolen oder Gewehre? Wer war hier eigentlich der Postenführer?
Im Zusammenhang mit diesem ernsten Vorkommnis tauchen aber auch ernste Fragen auf, die heute schwerlich beantwortet werden können.

Warum verletzte Lichtenstein die Staatsgrenze und drang auf dem Territorium der DDR vor, obwohl ihn der Zöllner kurz vorher gewarnt hatte? Er kannte die Gefahr und auch das Verbot, die Staatsgrenze illegal zu überschreiten. Was bewog ihn zu dieser Tat? Reporterneugier oder wollte er tatsächlich provozieren? Hätten ihn die Grenzsoldaten nicht angerufen, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter in das Gebiet der DDR eingedrungen oder? Lichtenstein war nicht ahnungslos. Als Chefreporter hatte er sich gewiss mit der Lage und den Vorschriften an der Grenze vertraut gemacht oder hatte er anderes im Sinn? Wenn seine Absichten wirklich harmlos waren, warum folgte er nicht der Weisung des Grenzpostens? Warum ignorierte er die Warnschüsse? Er missachtete auch die Warnrufe und eindeutigen Handbewegungen der Arbeiterinnen auf der Kombine. Warum wohl? Was führte er im Schilde? Konnten die Grenzsoldaten wissen, wer der Grenzverletzer war und welche Absichten er verfolgte?

War es tatsächlich "Mord", wie es damals die SPD behauptete? Ohne juristische Untersuchung und Beweisführung und einem Gerichtsurteil verbietet es sich, überhaupt auch nur von Mord zu sprechen. War es nicht vielmehr das auf gesetzlicher Grundlage beruhende, pflichtbewusste Handeln von Vertretern der Exekutivorgane der DDR? Hier waren es eben Grenzsoldaten, die hoheitliche Aufgaben erfüllten, die Unantastbarkeit der Staatsgrenze gewährleisteten und handelten, wie es überall in dieser Welt geschieht.


Ein Grenzoberjäger des BGS war der Todesschütze

Es liegt vor, ein amtliches Dokument aus dem Jahre 1962:
"Nationale Volksarmee, Kommando der Grenztruppen.
Tagesmeldung Nr. 227/62
Geheime Verschlusssache

Am 14.08.1962 gegen 11.05 Uhr, bewaffnetes Eindringen in die DDR durch 3 BGS-Angehörige, mit Beschießung eines Grenzpostens und Ermordung des
Hauptmann A r n s t a d t , Rudi
geb. 3.9.1926
wohnhaft Wiesenfeld, Kreis Bad Salzungen
NVA seit 1.6.1949
GK-Chef
SED, verheiratet, 2 Kinder
am Punkt 357,8 250 m nordwestlich der Ortsverbindungsstraße Wiesenfeld - Setzelbach (WD).
Der Hauptmann A. war als Kontrollstreife mit Begleitposten im Grenzabschnitt eingesetzt. Die BGS-Angehörigen, darunter ein Hauptmann i. BGS hatten die Grenze um ca. 2-3 m überschritten und befanden sich auf dem Territorium der DDR. Hauptmann A. rief die Provokateure an, "Halt! stehen bleiben - Hände hoch!". Der Begleitposten gab einen Warnschuss in die Luft ab. Die BGS-Angehörigen brachten ihre Schnellfeuergewehre in Anschlag und eröffneten das Feuer auf den Grenzposten.
Im Verlaufe eines kurzen Feuerwechsels zogen sich 2 der Provokateure in die Westzone zurück, während der 3. aus einem Haferfeld vom Territorium der DDR das Feuer führte und vermutlich den tödlichen Schuss auf den Genossen Hauptmann A. abgab."
Soweit dieTagesmeldung.

 

Ein Augenzeuge des damaligen Geschehens, der ehemalige Kommandeur des 1. Mot.-Schützenbataillons aus Brandenburg/Havel, Oberstleutnant a.D. Gerhard Elies schrieb 29 Jahre später einen Brief an den damaligen Bundesminister für Justiz Dr. Kinkel.
Oberstleutnant Elies war mit seinem Bataillon zum Bau von Grenzsicherungsanlagen an der Staatsgrenze der DDR im Kreis Bad Salzungen eingesetzt.
In diesem Brief schilderte er den Vorfall: "Am 14. August 1962 befand sich in unserem Abschnitt der Offizier der Grenztruppen Hauptmann Rudi Arnstadt zur Kontrolle. Mit ihm standen wir, eine Gruppe Armeeangehöriger zusammen und unterhielten uns, als wir von weitem eine Streife des Bundesgrenzschutzes bemerkten, die längs der Grenze auf dem Gebiet der DDR auf uns zukam. Als die Streife unsere Höhe erreicht hatte, forderte Hauptmann Arnstadt sie auf, unverzüglich das Territorium der DDR zu verlassen. Daraufhin sprangen die BGS-Angehörigen zurück, warfen sich hin und eröffneten das Feuer auf uns. Wir gingen sofort in Deckung, für Hauptmann Arnstadt war es jedoch zu spät. Er wurde ins linke Auge getroffen und war wenig später tot."
Auf seinen Brief hin bekam er nie eine Antwort.
Später schilderte Gerhard Elies diesen Vorfall noch ausführlicher: "Der Hauptmann der Grenztruppen Rudi Arnstadt wollte eine Grenzkontrolle durchführen. Ich stand mit ihm bei einer Gruppe von Offizieren und Unteroffizieren meines Bataillons. Plötzlich sahen wir eine Gruppe BGS-Beamter das Gebiet der DDR betreten und direkt auf uns zu kommen. Als diese fast auf unserer Höhe waren, wurden sie von Hauptmann Arnstadt aufgefordert, das Territorium der DDR zu verlassen. das taten sie dann auch und wir verloren sie aus unserem Blickfeld
Nach kurzer Zeit kam die BGS-Streife jedoch zurück und drang abermals auf unser Gebiet vor. Hauptmann Arnstadt musste diesen BGS-Offizier gekannt haben, denn er redete ihn mit `Hauptmann` Meißner an. Und forderte ihn in energischem Ton auf, die DDR zu verlassen. Der den Hauptmann begleitende Grenzsoldat reagierte mit einem Warnschuss in die Luft, was die BGS-Streife zum erneuten Rückzug veranlasste. In diesem Augenblick fiel aus dem jenseits der Grenze befindlichem Roggenfeld ein Schuss. BGS-Angehörige etwa in Zugstärke, kamen in Schützenkette auf uns zu. Dabei beschossen sie uns aus ihren Waffen. Die Leute meines Bataillons waren unbewaffnet. Wir hatten lediglich in Abständen von zweihundert bis dreihundert Metern Sicherungsposten eingesetzt. Einer dieser Sicherungsposten, der sich in unmittelbarer Nähe befand, schoss zurück, ohne jedoch jemanden zu verletzen.
Nach weiteren Feuerstößen und meiner lauten Aufforderung, das Schießen einzustellen, kamen die BGS-Beamten meiner Anordnung nach. Inzwischen waren wir in Deckung gegangen und hatten Hauptmann Arnstadt, der gleich vom ersten Schuss getroffen wurde mit in die schützende Deckung gezogen. Als ich mich ihm zuwandte, sah ich, dass er durch einen Kopfschuss tödlich getroffen worden war."

Schaut man sich die drei Berichte einmal gründlich an, so fallen einem sofort Widersprüche auf. Die Tagesmeldung stellt einen verkürzten Vorgang dar. Gleiches trifft auf den Brief an Kinkel zu. Die letzte Darstellung des Augenzeugen Elies ist wohl der umfassendste Bericht.

Was bleibt bei diesem ernsten Vorfall als Fakt?

Ob nun aus einem Haferfeld oder aus einem Roggenfeld geschossen wurde, ob der Todesschütze des BGS sich auf dem Gebiet der DDR oder auf dem Territorium der BRD befand, es bleibt: Hauptmann Rudi Arnstadt wurde Opfer eines tödlichen Schusses aus einer Waffe des Bundesgrenzschutzes. Diese Tatsache wurde auch seitens der BRD-Behörden nie abgestritten.
Der BGS-Beamte, der den Todesschuss abgab, noch der am Tatort agierende BGS-Hauptmann wurde niemals zur Verantwortung gezogen.
Damals leitete die Staatsanwaltschaft Fulda/BRD ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wurde bereits am 8. Oktober 1962 eingestellt. Die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass seitens der BGS-Beamten keine Straftat begangen worden war.
In der Einstellungsverfügung heißt es dann wörtlich: "Die Angriffshandlung des sowjetzonalen Grenztruppenoffiziers war deshalb nicht ihrerseits durch Notwehr geboten, sondern stellt sich ganz eindeutig als rechtswidriger Totschlag dar, Grenzoberjäger Plüschke war verpflichtet, den seinem Streifenführer drohenden Angriff abzuwenden... sowohl Plüschke, der den tödlichen Schuss auf Arnstadt zur Verteidigung des Hauptmanns Meißner abgegeben hat, als auch Koch, der zwei ungezielte Schüsse... abgab, konnten bzw. können sich auf Notwehr berufen."

Welche zweifelhafte und gewagte juristische Konstruktion hat sich da die Fuldaer Staatsanwaltschaft geleistet?
Hauptmann Arnstadt hatte die drei BGS-Angehörigen verbal aufgefordert das Gebiet der DDR sofort zu verlassen. Das taten sie dann auch. Bei der zweiten Provokation forderte der Grenztruppenoffizier die BGS-Leute erneut energisch auf, das Territorium der DDR zu verlassen. Der ihm begleitende Grenzsoldat Roßner gab, um der Aufforderung Nachdruck zu verleihen, einen Warnschuss in die Luft ab.
In den Augen der BRD-Staatsanwälte aus Fulda stellt sich die mündliche Aufforderung und der Warnschuss der Angehörigen der DDR-Grenztruppen als "Angriffshandlung des sowjetzonalen Grenztruppenoffiziers" und als "rechtswidrigen versuchten Totschlag dar".

Ist das nicht die sattsam bekannte Masche nach dem Motto "haltet den Dieb?"

Wer verletzte denn die Staatsgrenze der DDR? Wer befand sich widerrechtlich und bewaffnet auf dem Staatsgebiet der DDR? Wer widersetzte sich der auf gesetzlicher und auch völkerrechtlicher Basis beruhenden Aufforderung zum Verlassen der DDR? Das waren die provokatorisch, man kann auch getrost sagen, die feindlich handelnden BGS-Beamten.
Die Fuldaer Staatsanwaltschaft setzt dem noch eins drauf. Der BGS-Grenzoberjäger Plüschke "der" laut staatsanwaltlicher Auslassung "den tödlichen Schuss auf Arnstadt zur Verteidigung des Hauptmanns Meißner abgegeben hat", handelte aus Notwehr.

Gesetzt den Fall, hätten die BGS-Leute der Aufforderung von Hauptmann Arnstadt Folge geleistet und hätten sie die Staatsgrenze der DDR und die Souveränität des anderen deutschen Staates respektiert, was wäre geschehen? Eigentlich nichts. Vielleicht Protestnoten von Ost und West. In den Medien bösartige und zornige Meldungen und Kommentare, das wäre es dann auch gewesen.

1989 - Sechsunddreißig Jahre nach diesem Tötungsdelikt - nahm die Staatsanwaltschaft Fulda erneut die Ermittlungen in diesem Fall auf. Doch nach kurzer Zeit stellte man das Verfahren ein. Oberstaatsanwalt Schneider begründete das, weil sich "das Ermittlungsergebnis nicht anders darstellt, als in der seinerzeitigen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Fulda vom 08.10.1962".
Die Justizorgane des ach so freien Rechtsstaates BRD hatten und haben keinerlei Interesse an der juristischen Aufklärung des damaligen Geschehens. Warum auch?

Zu all dem kommen noch einige Fragen hinzu. Wer gab die Befehle? Das waren doch keine eigenmächtigen Handlungen der BGS-Angehörigen oder? Zumal bekannt ist, dass seit den Morgenstunden sich etliche Angehörige des BGS, schwer bewaffnet im Grenzabschnitt aufhielten. Es wurde beobachtet, bei den Uniformierten hielten sich auch Zivilpersonen auf, die wahrscheinlich den BGS-Vorgesetzten irgendwelche Weisungen erteilten. Was waren also die Motive, für das aggressive Handeln der BRD-Grenzer? Hatten die beteiligten BGS-Leute ein Unrechtsbewusstsein oder nicht? Auf diese durchaus berechtigten Fragen wird es wohl nie mehr der Aufklärung dienenden Antworten geben. Doch sie stehen im Raum.

Interessant in diesem Kontext noch zwei Meldungen.

In dem Buch "Grenzerfahrungen" Band I steht unter dem Datum 14. August 1962 folgendes: "Der Hauptmann der NVA-Grenztruppe, Rudi Arnstadt geb. 3.9.26, von der Grenzkompanie Wiesenfeld wird bei einem Grenzzwischenfall bei Setzelbach, Krs. Hünfeld, von einem BGS-Beamten erschossen, als Arnstadt versucht, einen Hauptmann des BGS als Geisel zu nehmen und in die DDR zu entführen."
Nur vier Zeilen widmen die Autoren diesem Vorkommnis. Vielleicht war es ihnen peinlich über einen Todesschützen zu berichten, der die Uniform des Bundesgrenzschutzes trug?
Um sich wahrscheinlich aus der Affäre zu ziehen veröffentlichen sie zwei Fotos. Das eine Bild zeigt die Einweihung eines Gedenksteines für Rudi Arnstadt und das andere Foto berichtet von der Einweihung des "Rudi-Arnstadt-Stadion" in Meiningen.

In der Meldung steht, dass Hauptmann Arnstadt einen Hauptmann des BGS entführen wollte und diesen als Geisel nahm. Das ist eine Lüge und vollkommen aus der Luft gegriffen. Entweder haben die Autoren schlampig recherchiert oder sind einer Zwecklüge aufgesessen.
Während über andere Vorkommnisse an der Grenze im Buch seitenlang berichtet wird, erfährt de Leser über die Tötung des Hauptmann Rudi Arnstadt nur die halbe Wahrheit garniert mit einer Lüge.

Die zweite Meldung stammt aus dem Jahre 1998. Am 18.März fanden Polizeibeamte auf einer einsamen Landstraße in der hessischen Rhön, unweit der ehemaligen Grenze, ein paar Kilometer von Hünfeld entfernt, einen toten Taxifahrer. Das Opfer war der ehemalige Grenzoberjäger im BGS Plüschke. Wilde Spekulationen geisterten durch die westlichen Medien. Man hörte von Raubmord. Der Todesschütze von einst fand nun seinen Tod nur wenige Kilometer vom damaligen Tatort entfernt. Er wurde erschossen. Zufall oder gar Rache?

Die Mutmaßungen gipfelten darin, ob etwa Plüschke gar ein Opfer von "Ex-Stasileuten" oder "DDR-Grenzern" wurde. Dümmer ging es wahrlich nimmer.
In diesem Zusammenhang ergibt sich aber noch eine ganz andere Frage: Gibt es eventuelle Personen oder auch Kreise, die vielleicht daran interessiert wären, den Täter Plüschke als unbequemen Zeugen verschwinden zu lassen?

 

"Wenn hier einer reingeht, wird geschossen"

"Zusammen mit seinem gleichaltrigen Arbeitskollegen Helmut Kulbeik hatte der Maurergeselle" Peter Fechter (18) "die Flucht geplant. Wohnhaft im Ost-Berliner Bezirk Weißensee, wollte er zu seiner in West-Berlin lebender Schwester. Fechter und sein Kollege hatten als günstiges Gelände für die Flucht einen Abschnitt in der Zimmerstraße ausgekundschaftet, nur ein paar Dutzend Meter östlich des Ausländerübergangs Checkpoint Charlie gelegen.

Um die Mittagszeit des 17. August 1962 wagten sie ihr Unternehmen. Ungesehen überkletterten sie den ersten Stacheldrahtzaun: Als sie die letzten Meter zur Mauer im Laufschritt zurücklegten, wurden sie entdeckt und nach Anruf beschossen. Während es seinem Arbeitskollegen gelang, die Mauer unverletzt zu überklettern, wurde Peter Fechter mehrfach in Bauch und Rücken getroffen. Schwer verwundet blieb er kurz vor der Mauer liegen

Binnen kurzem hatten sich Hunderte von West-Berlinern an dem Schauplatz des Dramas eingefunden. Lautstark forderten sie in Sprechchören sowohl die östlichen Grenzwächter als auch die amerikanischen Soldaten auf, dem Schwerverwundeten zu helfen. Doch nichts geschah. Die US-Soldaten durften nicht eingreifen, und die östlichen Grenzsoldaten warteten offensichtlich auf höhere Weisungen. Über die Mauer geworfene Verbandspäckchen konnte dem Verblutenden nicht helfen, der bereits im Sterben lag. Erst gegen 15,00 Uhr wurde Fechter von Grenzwächtern tot geborgen und in ein Militärkrankenhaus gebracht." So kann man es im Buch von Sikorski/Laabs "Checkpoint Charlie und die Mauer" lesen.

Der Fall Peter Fechter löste große Demonstrationen und Proteste in Westberlin aus. Von den Westberliner und Westdeutschen Zeitungen, vom westlichen Rundfunk und Fernsehen wurde tendenziös berichtet. Die DDR-Grenzsoldaten bezeichnete man als Mauerschützen und sogar Mörder. Die meisten Medien im Westen schilderten in ihren Meldungen oder Berichten so oder ähnlich - wie oben bereits zitiert - den Zwischenfall. Fakten mischte man mit Lügen, Halbwahrheiten oder ließ bestimmte Zusammenhänge einfach weg. Die politische Zielrichtung war dabei klar: Die DDR mit ihren Organen als Unrechtsstaat zu verteufeln.

Um dem entgegenzuhalten schauen wir uns doch ein amtliches Dokument der DDR an.

 

"Bericht

über das besondere Vorkommnis im Abschnitt der IV. Grenzabteilung, Charlottenstraße, am 17.08.1962, um 14,15 Uhr, mit Anwendung der Schusswaffe gegen Grenzverletzer

Am 17.08.1962 um 14,15 Uhr, erfolgte durch eine männliche Person ein Grenzdurchbruch in der Zimmerstraße/Charlottenstraße, Unterabschnitt 1, 4.Kompanie, Posten 3, der IV.Grenzabteilung aus der Hauptstadt der DDR in Richtung Westberlin.

Ein zweiter Grenzverletzer wurde dabei schwer verletzt ins VP-Krankenhaus eingeliefert, wo er gegen 15.15 Uhr verstarb.

Die eingesetzte Untersuchungsgruppe der IV.Grenzabteilung ... stellte folgenden Sachverhalt fest:

Gegen 14.15 Uhr beobachteten der Postenführer Unteroffizier Friedrich und Posten Gefreiter Schreiber Ecke Zimmerstraße, Markgrafenstraße, wie eine männliche Person aus dem Hinterland über den 1. Drahtzaun den Kontrollstreifen überwand und in Richtung Mauer lief. Im Abstand von 2-3 Metern folgte eine weitere männliche Person, Unteroffizier Friedrich eröffnete sofort das Feuer auf beide Grenzverletzer. Die Entfernung vom Postenführer zu den Grenzverletzern betrug etwa 50 m. Insgesamt gab der Postenführer 17 und der Posten 7 Schuss ab."

Die Nachbarposten... "vernahmen die Schüsse und eröffneten das Feuer
Die 1. Person befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt auf der Mauer... Dem Grenzverletzer gelang es, die Mauer zu überwinden...

Die zweite Person wurde getroffen und brach unmittelbar an der Mauer zusammen."

Die Grenzsoldaten "bezogen sofort Stellung im Graben, beobachteten das gegnerische Gelände und stellten fest:
Duepos und Zivilpersonen trugen eine Leiter an die Mauer heran, mit der vermutlichen Absicht unter Verletzung des Territoriums der DDR, den verletzten Grenzverletzer zu bergen.

Fotografen fotografierten unmittelbar an der Mauer auf der Leiter stehend den verletzten Grenzverletzer. Zur Verstärkung herangeführte Duepos und Zöllner, insgesamt etwa 50, bezogen Stellung und richteten ihre Waffen auf die im Abschnitt Charlotten-/Ecke Zimmerstraße eingesetzten Grenzposten. Vermutlich haben die Duepos kein Feuer auf unsere Grenzposten geführt. Überprüfungen ergaben, dass zwei Tränengaskörper mit Sprengsatz und 15 weitere Knallkörper von den Duepos auf unser Territorium geworfen wurden und unsere Grenzposten der Meinung waren, dass die Duepos das Feuer eröffnet hätten"

Duepos hießen die Westberliner Polizisten, benannt nach dem Westberliner Polizeipräsidenten Erich Duensing

Auch hier einige Fragen. Warum suchten sich die Grenzverletzer ausgerechnet diese Stelle an der Staatsgrenze aus? War es die Nähe der Ausländergrenzübergangsstelle Friedrichstraße? Da es hier im Grenzabschnitt stets regen Personenverkehr gab, wollte man bewusst Aufmerksamkeit erregen? In der Regel bevorzugten Personen, welche die Staatsgrenze illegal überschreiten wollten, abgelegene Orte und Abschnitte.
Wieso startete man den Grenzdurchbruch am helllichten Tage, gegen 14.15 Uhr? .
Wäre Dunkelheit und schlechte Sicht nicht vorteilhafter für die Flüchtenden gewesen?
Wo kam denn plötzlich auf Westberliner Seite die Leiter her? Lag sie schon jenseits der Mauer griffbereit? Wieso waren Fotografen sofort an der Durchbruchsstelle? Hatte man die Aktion etwa schon erwartet? Brauchten westliche Kreise Kalter Krieger solch ein dramatisches Vorkommnis um den "Volkszorn" zu entfachen? Was bezweckte das Werfen der Tränengasgranaten mit Sprengsatz und der Einsatz von Westberliner Knallkörpern auf dem Boden der DDR? Wollte men damit die Bergung des Verletzten verhindern?

Wurde also doch ein Toter gebraucht?

Diese Fragen werden sicher auch nicht mehr beantwortet werden können. Doch die in der Luft liegenden Antworten zeichnen jedoch ein ganz anderes Bild vom Geschehen am 17. August 1962, an dem Peter Fechter starb.

Lassen wir doch hier einen Tat- und Zeitzeugen noch zu Worte kommen. Am 10. August 2001 schilderte Oberstleutnant a.D. Heinz Schäfer in einer stark besuchten öffentlichen Veranstaltung in Potsdam seine persönliche Sicht zu diesem schwerwiegenden, tragischen Zwischenfall. "Die Frage nach den Geschehnissen um den Tod Peter Fechters am 17.8.1962 gibt mir Gelegenheit, einiges richtig zu stellen.
Ich war 1. Stellvertreter des Kommandeurs der Abteilung der Bereitschaftspolizei in Rummelsburg, die diesen Abschnitt zu sichern hatte. Gegen 14.00 Uhr erhielt ich die Meldung `Verhinderter Grenzdurchbruch mit Anwendung der Schusswaffe. Eine Person liegt im Grenzstreifen unmittelbar vor dem Sperrelement und ist verletzt!` Ich befahl dem Zugführer den Reserveposten einzusetzen und den Verletzten zu bergen.

Darauf meldete mir der Zugführer: `Auf der Westseite stehen auf einem Podest 4 bis 6 Angehörige der Westberliner Polizei mit ihren Waffen im Anschlag. Einer davon rief: Wenn hier einer reingeht, wird geschossen!` Daraufhin habe ich mich ins Auto gesetzt und bin zum Ereignisort gefahren, um an Ort und Stelle die Bergung zu organisieren. Zwei Soldaten der Grenzübergangsstelle wurden dazu befohlen. Diese erreichten den Ereignisort seitlich entlang des Sicherungsstreifens und hoben den Verletzten über den Hinterlandsicherungszaun. Es erfolgte sofort der Abtransport ins Krankenhaus.

Am Tage nach dem Geschehnis veröffentlichten die Westmedien ein Foto von diesem Grenzzwischenfall. Auch die Litfasssäulen beklebte man mit mannshohen Bildern, welche die Aufschrift trugen: `50 Minuten an der Mauer verblutet und der Grepo-Offizier lächelt noch.`
Von der eigentlichen Verhinderung der Hilfeleistung und Bedrohung der Grenzposten durch die Westberliner Polizei schweigt man heute noch.
In dem im Verlag Haus am Checkpoint Charlie 1992 erschienen Buch: `Es geschah an der Mauer`wird behauptet: `Ihr eigenes Leben gefährdend, versuchten Westberliner Polizisten, ihm ( Peter Fechter) Verbandspäckchen zuzuwerfen. Zu schwach war er. Sterbend wurde er schließlich fortgetragen.`

1992 wurde durch die Staatsanwaltschaft bzw. ZERV ( Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität) ein Ermittlungsverfahren `wegen unterlassener Hilfeleistung` eingeleitet. Dreimal leistete ich der Vorladung und Vernehmung Folge. Meine Schilderung zum Vorfall geschah nach den mir bekannten Tatsachen, und ich verband diese Vernehmung mit der Forderung nach einer Befragung der Westberliner Beamten. Diese Frage wiederholte ich bei jeder Vernehmung solange, bis mir bei der letzten Vorladung klar gemacht wurde, dass dies nicht in Frage käme. Daraufhin lehnte ich jede weitere Aussage ab.
Nach weiteren drei Monaten erhielt ich schriftlich davon Kenntnis, dass das Ermittlungsverfahren gegen mich eingestellt wurde."

Dazu kein Kommentar.

Der Bundesgerichtshof stellte im Jahr 2000 fest: Es war Mord

Es brauchte mehr als 36 Jahre bis die Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts in der Zeit vom 14.Dezember bis April 1999 den Prozess wegen Mordes an den Grenzsoldaten Reinhold Huhn gegen Rudolf Müller führte.

Müller, ein Republikflüchtiger aus der DDR drang am 18. Juni 1962 in die Hauptstadt der DDR Berlin ein.
Seit Mai 1962 grub eine Bande von 7 Mann - darunter Müller und seine beiden Brüder Klaus und Horst - einen 22 m langen Keller vom Keller des Axel-Springer-Verlagshauses unter der Mauer hindurch zum Haus Zimmerstraße 56. Er wollte durch diesen Tunnel seine Familie von Ost nach West schleusen.

Am frühen Abend des 18. Juni 1962 traf er sich mit seiner Familie in Ostberlin.

Müller geleitete sie in die Zimmerstraße. Dort versah der Gefreite Reinhold Huhn seinen Grenzdienst. Auf die Aufforderung des Gefreiten, die Personalpapiere zu zeigen, zog Müller eine Pistole und schoss. Er traf Huhn ins Herz. Als der Grenzsoldat auf dem Boden lag, gab Müller erneut einen Schuss ab, diesmal traf er ihn in den Rücken. Müller flüchtete mit seiner Familie durch den Tunnel nach Westberlin.
Am 8. August 1997 in der gerichtlichen Hauptverhandlung erklärte Müller bei der richterlichen Vernehmung, dass er auf den Grenzsoldaten geschossen habe, um seine Familie zu schützen.

In Westberlin angekommen, nahm ein Angehöriger des Staatsschutzes Müller die Tatwaffe ab. Es handelte sich um eine Pistole, Kaliber 7,65 mm mit der Bezeichnung "Greco" der westdeutschen Firma Gustav Genschow, Köln.

Der Beamte des Staatschutzes machte dem Täter eindringlich klar, dass er das Verbrechen leugnen müsse, weil er sonst keine ruhige Minute mehr habe. Auch bei der Vernehmung durch die US-Behörden wurde Müller aufgefordert, zu behaupten, er habe den Grenzsoldaten lediglich gestoßen.

Der Todesschütze Rudolf Müller wurde anschließend mit seiner Familie nach Westdeutschland ausgeflogen.

Der US-Geheimdienst CIA, der den mutmaßlichen Mörder eifrig bemutterte, alle Beteiligten mit einer US-Militärmaschine schnellsten aus Westberlin ausflog und sie dort in einem Militärlager einem Aussagetraining unterzog sowie dem Täter Details der Lügengeschichte suggerierte, war Hauptakteur dieser infamen Show.

Aufschlussreich ist folgendes: Der damalige Hausmeister des Springer-Verlags-Hauses schilderte am 8.Januar 1999 als Zeuge vor dem Landgericht, der Bau des Tunnels sei vom Chef Axel Springer höchstpersönlich als "Aktion für die Freiheit" genehmigt und unterstützt worden. Er bestätigte auch, dass Westberliner Senat, die Polizei und die amerikanischen Militärbehörden genauesten vorher informiert waren.
Nach dem Tode von Reinhold Huhn setzte die Springerzeitung "Die Welt" dem noch eine Krone auf. Sie schrieb: "Diese Form der Kriegführung ist jetzt die normale, vielleicht die einzige mögliche geworden... Ihre Kampfhandlungen sind weniger leicht vom Mord zu unterscheiden."

Stunden vor der Tat standen in Westberlin in diesem Grenzabschnitt Polizei- und Zollkräfte bereit. Unter ihrem bewaffneten Schutz hatte sich Presse-, Rundfunk- und Fernsehreporter sowie Aufnahmestäbe des SFB und NDR mit ihren Kameras eingefunden. Alles deutete darauf hin, hier sollte ein inszenierter, zumindest aber bestellter Grenzzwischenfall über die Bühne gehen.

Gleich nach der Tat trafen sich die Beteiligten in der Kantine des Springer Verlages. Der damalige Innensenator, der sehr ehrenwerte Pastor Heinrich Albertz und der Polizeipräsident Erich Duensing wäre ebenfalls dabei gewesen.

Flugs verbreiteten die Westberliner Behörden die Version, Reinhold Huhn sei im "Kugelhagel seiner Kollegen" getötet worden. Der damalige Pressechef des Senats, Egon Bahr, kolportierte wider besseren Wissens diese niederträchtige Lüge.

Aber es war Mord, kaltblütiger, heimtückischer Mord. Bereits 1962 ermittelte die Westberliner Staatsanwaltschaft. Doch bereits im Dezember 1962 stellte die Westberliner Justiz ihr Bemühen ein.

1991/92 gab es wieder Ermittlungen gegen Müller. Dieses Verfahren legte man1963 zu den Akten.

Sechsunddreißig Jahre dauerte es insgesamt, ehe der Täter vor den Schranken der 40. Großen Strafkammer des Landgerichtes Berlin stand.

Nach rund fünfmonatiger Verhandlung verurteilte das Gericht Rudolf Müller am 22.April 1999 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit zweijähriger Bewährung.

Eigentlich war es erst einmal das vorläufige Ende des Strafverfahrens, da das Urteil noch nicht rechtskräftig war.

In relativ kurzer Zeit revidierte aber der Bundesgerichtshof am 5.Juli 2000 das Urteil des Berliner Landgerichts und sprach den Angeklagten Müller des Mordes schuldig. Die Richter des Bundesgerichtshofes verwiesen in ihrem Spruch auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Der Täter habe nicht zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs getötet. Das "überragende Rechtsgut des menschlichen Lebens" sei höher zu bewerten, als die Gefahren für die Freiheit des Angeklagten und seiner Familie.

Im Gegensatz zu dieser juristisch wohl begründeten Rechtsauffassung führte 1999 vor dem Berliner Landgericht ein gewisser Hallenser Professor namens Linie folgende äußerst gewagte Rechtskonstruktion, wenn nicht gar Rechtsverdrehung aus:

Schuld an dem Geschehen sei Reinhold Huhn selbst gewesen. Denn mit seinem Ansinnen die Fluchtgruppe zu kontrollieren, hätte er selbst die tödliche Spirale in Gang gesetzt. Aus der Sicht dieses dubiosen Gutachters hätte der Angeklagte gar keine andere Wahl gehabt, als zu schießen.

Aber das Strafmaß - ein Jahr Freiheitsentzug - wurde leider aufrecht erhalten. Die Richter argumentierten, wegen der "äußerst ungewöhnlicher Umstände des Falles" habe man sich an der Mindeststrafe orientiert. Es handele sich um eine Reaktion des Rechtsstaates auf lange zurückliegendes Unrecht, das durch die Nachkriegssituation und die Teilung bedingt sei. Nach Meinung des höchsten Gerichtes der BRD sei es eine "Ahndung", die befriedigen soll.

Ein Jahr Freiheitsentzug auf Bewährung - ist das nicht ein Hohn auf die Rechtsprechung in diesem Rechtsstaat? Ist ein Menschenleben etwa weniger wert, wenn es sich um einen DDR-Grenzsoldaten handelt? Diese Frage wird man doch mal stellen dürfen?


Eine Bewährungsstrafe bei erwiesenem Mord ist weder juristisch noch moralisch vertretbar. Der rechtskräftig verurteilte Mörder Müller - übrigens Träger des Bundesverdienstkreuzes - ließ in der Verhandlung nicht erkennen, dass ihm Huhns Tod nahegegangen wäre. Bis heute fehlt ein Wort des Bedauerns an die Brüder von Reinhold Huhn. Müller hält sich nach wie vor für unschuldig.

Dem Westberliner Regierenden Bürgermeister, Willy Brandt, seinem Senat, der Polizei und der US-Besatzungsmacht war bereits 1962 die wahren Umstände, die Hintergründe und auch der wirkliche Sachverhalt, dieses brisanten Grenzzwischenfalls bekannt. Vieles deutete damals darauf hin. Der Senatsprecher Egon Bahr und der Innensenator Heinrich Albertz taten ein übriges, einen Schleier über das wahre Geschehen zu breiten.

Der Prozess vor dem Berliner Landgericht zeriss endgültig das schon 1962 gesponnene Lügengewebe.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes liegt die Wahrheit über den Tod von Reinhold Huhn gerichtsnotorisch auf dem Tisch. Die Offenlegung der schändlichen und unrühmlichen Rolle der offiziellen damaligen Politik in Westberlin, macht trotz aller Unzulänglichkeiten und dem durchaus kritikwürdigen Urteilsspruchs den eigentlichen Wert dieses Prozesses aus.

 

Aus amtlichen DDR-Akten

Im folgenden werden einige Fälle über die Anwendung der Schusswaffe an der Staatsgrenze genannt. Diese sind nicht chronologisch geordnet und ihre Auswahl dem Zufall überlassen. Es wird aus den Akten zitiert und zwar Fakten, Zusammenhänge und Umstände, die dem Thema entsprechen. Bei den Akten handelt es sich um Tagesmeldungen des Kommandos der Grenztruppen, Fernschreiben, Meldungen der Kommandeure an vorgesetzte Stäbe, Briefe an das Zentralkomitee der SED und anderweitige Dokumente.

Allein vom 13. August 1961 bis 30. April 1962 wurden die Grenzsicherungskräfte der DDR in 93 Fällen von Westberliner Gebiet aus beschossen, wobei in 68 Fällen die Täter Polizeiuniformen trugen.

 

 

NATIONALE VOLKSARMEE
DER STADTKOMMANDANT
DER HAUPTSTADT
DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
BERLIN


"B e r i c h t

über den verhinderten Grenzdurchbruch am
08.10.1962gegen 22.10 Uhr im Abschnitt der
4./ IV./ 1. Grenzbrigade

Am 08.10.1962 gegen 22.10 Uhr stellten der Postenführer Stabsgefreiter Orf, Arno und der Posten Soldat Deliga, Peter eingesetzt als Posten 9 im Abschnitt Mühlenstraße... fest, wie eine Person die Grenze nach Westberlin durch Überschwimmen der Spree durchbrechen wollte. Der Postenführer forderte daraufhin die Person auf, sofort zurückzukommen und gab zwei Warnschüsse ab. Da die Person nicht darauf reagierte und weiter in Richtung Westberlin schwamm, gaben der Postenführer und der Posten mehrere gezielte Schüsse ab, in deren Ergebnis der Grenzverletzer getroffen wurde und in der Spree versank.
Die Leiche wurde am 09.10.1962 gegen 08.25 Uhr aus der Spree geborgen und der IV Grenzabteilung zugeführt. Bei dem Grenzverletzer handelt es sich um:
Walzer, Anton
27.04 1902 in Weila/Ravensburg
wohnhaft: Berlin-Weißensee, Am Steinberg 104 d
Beruf: Lacksieder
DPA-Nr. XV-136 1007
zugezogen 1959 aus Offenbach/Main.

Der Grenzdurchbruch wurde während der eigenen Handlungen von Westberliner Seite durch ca. 7 gezielte Schüsse auf unsere Posten unterstützt. Durch das taktisch richtige Verhalten der Genossen hatte die Feuerführung der Westberliner Provokateure keinen Erfolg

Zur Zeit des versuchten Grenzdurchbruches sammelten sich auf Westberliner Seite ca. 150 Zivilpersonen und mehrere uniformierte Kräfte Westberlins sowie ein Fahrzeug der US-Armee an. Während der Bergungsarbeiten am 09.10.1962 wurden von Westberliner Seite Film- und Fernsehaufnahmen getätigt...

Generalmajor / Poppe /"

Fragen im Zusammenhang mit diesem tragischen Zwischenfall:

 

Wer waren die Personen die auf die Grenzsoldaten gezielt schossen?
Wieso versammelten sich 22.10 Uhr ca. 150 Personen auf der westlichen Seite der Grenze? Erwarteten sie etwa jemanden?
Warum ignorierte die schwimmende Person die abgegebenen Warnschüsse?

 

 

"Ministerium für Nationale Verteidigung
DER MINISTER

Berlin, den 2.1.1963

Mitglied des Politbüros des Zen-
tralkomitees der Sozialistischen
Einheitspartei Deutschlands
Genossen Erich Honecker

Werter Genosse Honecker!

Wie mir der Stadtkommandant der Hauptstadt der DDR, Genosse Generalmajor Poppe meldet, versuchte am 01.01.1963 gegen 06.15 Uhr eine männliche Person im Osthafen Berlins, ca. 300 m ostwärts der Oberbaumbrücke, schwimmend das westberliner Ufer zu erreichen. Bei der Verfolgung des Grenzverletzers wurde durch die Besatzung eines Bootes der Grenztruppen das Feuer aufgenommen. ... Danach tauchte der Grenzverletzer nicht mehr auf. Es ist anzunehmen, dass der Grenzverletzer tödlich verletzt wurde.
Nach Beendigung der Handlungen drehte das Grenzboot gegen 06.30 Uhr zur weiteren Beobachtung bei und wurde von Westberliner Seite mit zwei Feuerstößen aus Maschinenwaffen beschossen. Die gegnerischen Kräfte wurden dabei nicht erkannt.
Durch diesen Beschuss erhielt das Boot der Grenztruppen in den Decksaufbauten zwei Treffer. Der Bootsführer Unteroffizier Maschel, Joachim wurde durch Splitter im Genick und Gesicht leicht verletzt. Die Suche nach der Leiche wurde am gleichen Tag gegen 18.00Uhr begonnen und gegen 23.00 Uhr ergebnislos abgebrochen.

Eine Überprüfung des gefundenen Projektils durch das Kriminal-Technische-Institut ergab, dass es sich bei der Schusswaffe um ein Schnellfeuergewehr amerikanischer Herkunft handeln muss. Gegenwärtig sind mit diesen Waffen die USA-Besatzer und die Westberliner Bereitschaftspolizei ausgerüstet.
Die Bekanntgabe dieses Vorfalls habe ich in der Presse vornehmen lassen.

Armeegeneral H o f f m a n n "

 

Auch hierzu einige Fragen: was trieb den Grenzverletzer bei winterlichen Temperaturen und eiskaltem Wasser, die Spree zu durchschwimmen?
Wer waren die Kräfte die mit US-Waffen auf das Grenzboot schossen?
War der Einsatz der Schusswaffe von der Bootsbesatzung die einzige Möglichkeit, den Grenzdurchbruch zu verhindern? Warum wurde mit dem Versuch der Bergung der Leiche erst 18.00 Uhr begonnen, da war es ja schon dunkel?

 

 

"Geheime Verschlusssache

Genossen
Honecker Sicherheitsfragen Bau/L 15.01.63

Werter Genosse Honecker!
Durch die Stadtkommandantur Berlin wird gemeldet:
Am 15.01.1963 gegen 00.10 Uhr bemerkten die eingesetzten Grenzposten an der Rudower Chaussee (Stadtbezirk Treptow ) im Abschnitt der 1.Grenzbrigade, dass sich südlich der Wredebrücke zwei Personen auf dem 1o m-Kontrollstreifen in Richtung Westberlin bewegten. Den Anruf der Grenzposten beachteten sie nicht. Daraufhin gab der Postenführer einen Warnschuss ab. Nach der Abgabe des Warnschusses sprangen die Grenzverletzer auf, um die Staatsgrenze zu überwinden. Daraufhin gab der Postenführer zwei gezielte Schüsse ab, wobei einer der Grenzverletzer durch Bauchschuss tödlich verletzt wurde.
Durch den Zugführer wurden sofort Maßnahmen zum schnellen Abtransport des tödlich verletzten Grenzverletzers aus dem Grenzgebiet eingeleitet.
Bei dem tödlich verletzten Grenzverletzer handelt es sich um den
Kutscher, Horst, geb. 05.07.31
Wohnhaft: Berlin-Adlershof, Otto-Franke-Straße 74
Der K. ist bereits mehrmals vorbestraft, u.a. wegen Diebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung.
Aus seinen Papieren geht hervor, dass er am 15.10.1962 aus der Haftanstalt Berlin entlassen wurde.
Bei dem festgenommenen Grenzverletzer handelt es sich um den
Fengler, Joachim, geb. 23.04.1931
wohnhaft:Berlin-Adlershof, Büchnerweg 28

Die erste Befragung des Festgenommenen, ergab, dass beide seit den Mittagsstunden mehrere Gaststätten aufgesucht hatte und unter Alkohol die Staatsgrenze in Richtung Westberlin durchbrechen wollten....

Mit sozialistischen Gruß
Borning"
Keine Fragen.

 

 

"NATIONALE VOLKSARMEE
DER STADTKOMMANDANT
DER HAUPTSTADT DER
DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
BERLIN Berlin-Karlshorst, den 05.05.1964
Dewetallee 11


VVS-Tgb.Nr.1322/64
Vertrauliche Verschlusssache!
4. Ausfertigung = Blatt
Mitglied des Politbüros des
Zentralkomitees der SED und
Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates
Der Deutschen Demokratischen Republik
Genossen Erich Honecker...

Ich melde:
Am 05.05.1964 gegen 01.45 Uhr stellte im Abschnitt der 2./GR-34 (Staaken) die Kontrollstreife Unteroffizier Gaudes und Soldat Deckwerth auf dem 10-m-Kontrollstreifen eine Spur fest.

Bei der Überprüfung des unmittelbaren Grenzgebietes wurde an einem nicht besetzten Bunker das Postenpaar mit `Händehoch!`angerufen und mit erhobener Pistole bedroht.

Das Postenpaar wendete daraufhin die Schusswaffe an.
Der Grenzverletzer starb an den Folgen eines Brustschusses.
Eine erste Überprüfung, geführt durch den Kommandeur der 2. Grenzbrigade, hat ergeben, dass der Grenzverletzer Adolf Philipp, geb. am 13.08 1943, wohnhaft Kurfürstendamm (Westberlin), Beruf: Fernmeldetechniker, von Westberliner Gebiet aus die Drahtsperre zerschnitt und rückwärtsgehend (um die Spur in die andere Richtung zu lenken) in das Territorium der DDR eindrang.
Von Westberliner Seite wurde nach Meldung der Grenzposten und des Kommandeurs der 2. Grenzbrigade der gesamte Vorgang nicht wahrgenommen. Nach wie vor werden in diesem Abschnitt die üblichen Routinestreifen durchgeführt.
Die Pistole wurde sichergestellt....
Je eine Ausfertigung dieser Meldung habe ich dem Genossen Borning und dem Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Hoffmann, überreicht.
Mit sozialistischem Gruß

P o p p e
Generalmajor"
Zu diesem Geschehen ergeben sich für den Autor keine Fragen.

 

 

"Genossen E. Honecker Sicherheitsfragen C1/Ga 15.06.65
Werter Genosse Honecker!
Wir haben soeben von der Stadtkommandantur erfahren, dass heute um 13.55 Uhr am Teltow-Kanal im Abschnitt der 4. Kompanie des Grenzregimentes-46 in der Nähe der Grenzübergangsstelle Autobahn Drewitz ein Westberliner Paddelboot, besetzt mit einer männlichen und einer weiblichen Person, die Wassergrenze der DDR um ca. 60 m verletzte.

Die Grenzposten gaben einen Warnschuss ab, auf den die Grenzverletzer nicht reagierten. Daraufhin eröffneten unsere Grenzposten das Feuer vom B-Turm mit LMG. Dabei wurden beide Personen vermutlich verletzt. Auf Grund der Strömung trieb das Boot nach Westberlin ab und strandete gegen 14.10 Uhr am Westberliner Ufer. Die Personen wurden durch Düpo geborgen. Nach Aussagen einer Westberliner Person, die über die Grenzübergansstelle kam, soll der Mann tot und die Frau schwer verletzt sein

Eine genaue Meldung erwarten wir von der Stadtkommandantur, die Dir zugehen wird.
Wie wir außerdem von der Abteilung Agitation, Genossen Singer erfahren haben, liegt bereits eine entsprechende Westagenturmeldung vor, die über die tödliche Verletzung des Mannes und die Verletzung der Frau berichtet. ...
Wir bitten um Kenntnisnahme.
Mit sozialistischem Gruß
i.V. Wansierski"

Bei dem Getöteten handelte es sich um Hermann Döbler geboren am 18.10.1922
Zu diesem Grenzzwischenfall einige Fragen und eine Bemerkung: Warum wurde seitens des Grenzpostens die Schusswaffe - leichtes Maschinengewehr (!) - eingesetzt? Warum wurden gezielte Schüsse abgegeben, obwohl für die Grenzsoldaten ersichtlich war, dass die Grenzverletzer nicht weiter in die DDR eindringen konnten, da ihnen eine Sperre quer über den Teltow-Kanal den weiteren Weg versperrte? Hätten nicht wiederholte Warnschüsse vor den Bug des Bootes genügt, die Grenzverletzer aus dem Gewässer der DDR zu vertreiben?
Solch ein Handeln hätte zwar buchstabengemäß nicht der Schusswaffengebrauchsbestimmung entsprochen, wäre aber der gegebenen Lage entsprechend, taktisch, vor allem aber politisch klüger gewesen.

Kurz nach diesem Vorfall, hatte der Autor ein Gespräch mit dem damaligen Stellvertreter des Stadtkommandanten und Chef der Politischen Verwaltung der Stadtkommandantur, Generalmajor Walter Herkner. Auf die Frage wäre anderes Handeln nicht besser gewesen? Antwortete der General: "Wir können das Schießen an der Staatsgrenze nicht verbieten. Die Tatsache aber bleibt, die Grenze wurde verletzt. Natürlich hätte der Grenzposten auch anders handeln können."

 

In diesem Zusammenhang noch etwas: Der Autor schließt aber auch nicht aus, dass bei der Anwendung der Schusswaffe mitunter gegen die Schusswaffengebrauchsvorschrift verstoßen wurde. Es gab Exzesshandlungen und vorschriftswidriger Einsatz der Schusswaffe. Das hätte auch nach DDR-Recht geahndet werden müssen. Aus sicherheits- und allgemeinen politischen Gründen wurde das aber unterlassen.


 

Wer waren Grenzverletzer?

Es soll hier nicht vorrangig über die Grenzgänger der ersten Jahre seit dem Bestehen der Grenze gesprochen werden.

Tausende und aber Tausende passierten damals die Demarkationslinie von Ost nach West und umgekehrt. Kriegs- und Nachkriegsfolgen waren meist die Ursache über die grüne Grenze zu gehen. Die Suche nach versprengten Familienmitgliedern trieb viele durch die Lande. Heimatlose, ehemalige Kriegsgefangene und Heimkehrer, Umsiedler und Vertriebene, die eine dauerhafte Bleibe suchten, Entwurzelte, Desperados und zwielichtige Gestalten, aber auch Schieber und gewissenlose Spekulanten machten das Gros der Menschen aus, die ungeachtet der Demarkationslinie die Seiten wechselten. Dazu kamen enteignete Kriegsgewinnler und Konzernherren, Großgrundbesitzer mit ihren Familien.

Viele gingen von Ost nach West, weil die gesellschaftliche Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone nicht in ihre persönliche Lebensplanung passte.

 

Hier aber soll viel mehr die Rede von denen sein, die nach den Maßnahmen der DDR nach dem 13. August 1961 versuchten, über die gesicherte Staatsgrenze in die BRD oder nach Westberlin zu kommen.
Mit Fug und Recht bezeichnet der Autor diese Personen meist als Grenzverletzer, versuchten sie doch, die Grenze zu verletzen - und die Grenzsoldaten waren angehalten die Unantastbarkeit der Staatsgrenze zu gewährleisten - oder verletzten sie tatsächlich, in dem es ihnen gelang, die BRD oder Westberlin zu erreichen.

Im Band I der "Grenzerfahrungen" befassen sich Schätzlein/Rösch/ Albert ebenfalls mit dieser Personengruppe.

Sie schreiben:
"Wer jetzt noch den Versuch wagte, die Grenzanlagen mit dem Minengürtel zu überwinden, der musste zu drei Kategorien gehören:
"Der Fluchtwillige gehörte zur Gruppe derer, die sich auskannten, war entweder Grenzsoldat oder ehemaliger Grenzer, hatte in diesem Kreis Bekannte oder stammte aus dem direkten Grenzgebiet. Nur Menschen aus dieser Bevölkerungsgruppe konnten mit einiger Sicherheit hoffen, ungeschoren durch die Minen zu gelangen. ...

Der Fluchtwillige gehörte zur Gruppe der Verzweifelten, Gestrauchelten, Gescheiterten, im Beruf oder im Privatleben. Vieles musst bei diesen Menschen zusammenkommen, bis der Frust und die Verzweiflung stärker wurden, als die Angst. Zur Überwindung der Angst gehörte oft eine gehörige Portion Alkohol. Der Staatssicherheitsdienst notierte in vielen Fällen, dass eine Flucht oder ein Fluchtversuch nach dem Genuss von Alkohol erfolgte.

Nur - was kam zuerst? Der Alkohol, der die Persönlichkeit der Grenzverletzer so weit deformierte, dass sie sich über die vom Staat und der Gesellschaft gesetzten Normen hinwegsetzten, dass sie Einflüsterungen aus dem Westen erlagen?

Oder war es nicht oft genug das System, das mit Verboten und Gängelei und Bespitzelung Menschen ins Abseits trieb? War es also die Gesellschaft, die gerade Unangepasste so zur Verzweiflung brachte, dass diese nur mit Alkohol glaubten ertragen zu können?
Er gehörte zur Gruppe der Jungen, Unüberlegten, Unbedachten, zu denen, die sich weder vorstellen können, welche Grenzsperren zu überwinden sind, noch lange vorher geplant haben, die es auf Grund einer tatsächlichen oder eingebildeten Notlage eilig hatten, die DDR zu verlassen."

Diese Gedanken sind es wahrlich wert, sich gründlicher damit zu befassen. Doch das soll hier dem Leser überlassen werden.

Man kann auch sagen - die Autoren gehen vom Vorhandensein der Minensperren aus - diese Kategorisierung kann, wenn auch mit Vorbehalten, auch auf das gesamte Grenzregime, mit den pioniertechnischen Anlagen, den nachrichtentechnischen Systemen und vor allem auch der Existenz und der Anwendung der Schusswaffengebrauchsbestimmungen angewandt werden.

Die Grenzverletzer müssen nach Meinung des Autors sehr differenziert betrachtet werden. Wenn es heute so dargestellt wird, dass alle "Flüchtlinge" sprich Grenzverletzer, den für sie unerträglichen politischen Verhältnissen in der DDR entfliehen wollte, so wird damit wacker nur der Zeitgeist bedient und es entspricht nicht den Tatsachen. Und wer heute noch jeden ums Leben gekommenen Grenzverletzer zum politischen Märtyrer macht, verharrt hartnäckig auf den Positionen des Kalten Krieges und steht mit der historischen Wahrheit auf dem Kriegsfuß.

Genau betrachtet kommt man nicht umhin, festzustellen, dass für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Grenzverletzer aus verschiedenen Ursachen heraus, die "Flucht" oder auch der Weggang aus der DDR, der für sie wahrscheinlich bessere Weg war.

Kriminelle Vergehen oder gar Verbrechen bildeten ein Motiv. Oft wurde nach diesen Personen von den Staatsorganen gefahndet. Ein anderer Teil waren Haftentlassene, die sich aus verschiedenen Gründen nicht wieder sozial in die Gesellschaft eingliedern wollten. Manch Haltloser oder auch so genannten "Asoziale" erhoffte sich im "goldenen Westen" ein "freies" und auch bequemeres Leben. Viele entzogen sich durch die Republikflucht ihren Wiedergutmachungsleistungen oder auch ihren Unterhaltsverpflichtungen.

Im Band II der "Grenzerfahrungen" werden viele Fälle von Grenzdurchbrüchen oder Versuchen in der Zeitleiste aufgelistet. Hier nur einige Auszüge der Motive von Grenzverletzern:

"9. März 1972. Kleindiebstähle und fahrlässige Brandstiftung." "25. März 1972. Der Mann hatte vier Kinder von verschiedenen Frauen, war geschieden, mit dem Unterhalt im Rückstand und auch bei Freunden hoch verschuldet..." "14.April 1972. Beide Brüder waren mehrfach vorbestraft wegen Körperverletzung und des Versuchs der Republikflucht..." "4. Juni 1972." Der Grenzverletzer "war vorbestraft wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung..." und am "5.Dezember 1972. der Flüchtige "hatte gesessen und war erst am 31.10. 1972 wegen § 183 amnestiert worden ..." Ein Grenzverletzer hatte "Streitigkeiten im Arbeitskollektiv der LPG" und am 9. März 1973 hatte einer "Alkohol-und Familienprobleme", während am 22. März die Brüder P.,26 und W.A., 18, in "asozialen Verhältnissen" lebten, sie "gehen unregelmäßig ihrer Arbeit nach und sind stark dem Alkohol zugetan". Am 6. Mai 1973 versuchte einer "nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem Vater wegen Diebstahls von 1 700 Mark beim Nachbarn" sich nach dem Westen abzusetzen. Am 18. Juli 1973 versuchte ein " achtmal vorbestrafter Produktionsarbeiter" und eine weibliche Person über die Grenze zu gelangen. "Das Pärchen trieb sich seit dem 15.06.1973 in Erfurt, Ilmenau, Schleusingen, Hildburghausen und Römhild umher. Es verübte Einbruchsdiebstähle. ... Er war vorbestraft gemäß §§ 213, 115, 158 und 249 StGB und wurde erst im Januar 1973 amnestiert. Auch die Frau war vorbestraft. .."

Damit soll es genug sein. Solche und auch ähnliche Fälle könnten noch weiter angeführt werden.

Nicht wenige, denen es gelang, die Staatsgrenze zu überschreiten, fanden sich schließlich in der Gosse oder in Obdachlosenasylen der BRD. Davon konnten die Wohlfahrtsorganisationen und andere soziale Hilfsorganisationen ein Lied davon singen. Viele von diesen Flüchtigen fanden keine Bande, sie konnten sich nicht eingewöhnen und blieben gewollt oder auch ungewollt Außenseiter. Oft gerieten sie mit den bundesrepublikanischen Gesetzen in Konflikt und fanden sich in westdeutschen oder Westberliner Strafvollzugsanstalten wieder.
Einige Grenzverletzer waren auch bewaffnet. Sie führten Schlag-Stich- und sogar Schusswaffen mit sich. Sie hatten Pfeffer, um bei einer eventuellen Festnahme die Grenzsoldaten auszuschalten. Meist gaben sie dann bei ihrer Festnahme zu, diese Waffen auch anzuwenden.
Zum Kreis der Grenzverletzer zählten auch Abenteurer, die mit "unbändigem Freiheitsdrang" sich auf ihre Fahne geschrieben hatten, die ganze Welt kennen zu lernen und dafür auch jedes Risiko, auch für Leib und Leben eingingen.

Viele waren noch jung, mobil und agil sowie unbedacht. Sie hatten noch keine eigene Familie, waren nicht so sehr an ihre Heimatorte gebunden und vertrauten leichtfertig auf ihr Glück und liebten vielleicht auch das Risiko.

Viele mochten nicht nur ein, sondern mehrere Motive gehabt haben, um in den anderen deutschen Staat zu wechseln. Dem Republikflüchtigen dürfte es nicht immer bewusst gewesen sein, was der eigentliche und entscheidende Grund war für sein Handeln.

Manch einer der Grenzverletzer mag sich sicher nicht eingestanden haben, dass er des schnöden Mammons" wegen "rübermachte" und er deswegen lieber an politische Unterdrückung , mangelnde politische Freiheit oder einer verhinderten beruflichen Karriere als Motiv für seinen Entschluss zum Grenzdurchbruch glauben wollte.
Ein kleinerer Teil von Grenzverletzern ging von West nach Ost über die Staatsgren-ze. Auch hier gab es unterschiedliche Gründe dafür.

Da waren Provokateure, subversive Elemente und andere lichtscheue Gestalten. Aber auch Rückkehrer, Übersiedler und Leute mit ehrlichen Absichten befanden sich unter diesen.

Eine andere Gruppe von Grenzverletzern setzte sich aus Personen zusammen, die politisch motiviert waren.

Aus verschiedenen Ursachen heraus, lehnten sie das gesellschaftspolitische Modell der DDR ab. Entweder sie gehörten zu den enteigneten Besitzern von Produktionsmitteln oder waren selbst, Großgrundbesitzer oder auch deren Abkömmlinge. Das traf vor allem für die ersten Jahre zu.
Viele von ihnen hatten andere Vorstellungen von Politik, Freiheit oder Demokratie. Sie vertraten grundsätzlich andere politischen Ansichten, konnten oder wollten sich in die sozialistische Gesellschaft nicht einordnen und waren deshalb staatlichen Repressionen ausgesetzt. Mitunter flüchteten sie, um einer drohenden Festnahme, Verurteilung oder auch Einkerkerung als politischer Gegner zu entgehen. Doch dieser Personenkreis war relativ klein. Sie suchten meist andere Wege in die BRD.

Allen Gruppen der Grenzverletzer war eines gemein: Wenn sich die Fluchtgründe oder auch Übersiedlungsgründe erst einmal angestaut hatten, genügte meist schon ein an sich unbedeutendes Ereignis - so z. B. ungerechte Behandlung durch einen Vorgesetzten; missliche persönliche Lage oder auch andere Dinge - um eine Kurzschlussreaktion herbeizuführen. Das letzte Ereignis, dass unmittelbar zur Flucht und zum Verlassen des Landes führte, war dann zwar Anlass, aber nicht Ursache des Handelns.

Wie hoch eigentlich der Anteil der wirklich politisch Motivierten war, darüber gehen die Ansichten nach wie vor auseinander.
Beim größten Teil der Grenzverletzer handelte es sich - trotz der hier angeführten Motive - um es mit einem später üblich gewordenen Ausdruck zu bezeichnen, um "Wirtschaftsflüchtlinge".

 

Desertion und Fahnenflucht

Es waren da auch noch Fahnenflüchtige oder auch Deserteure.

Von Anfang an gab es Angehörige des Grenzsicherungsorgans der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR die von unterschiedlichen Motiven getrieben, die Seiten wechselten.

Anfangs bezeichnete man sie als Deserteure dann als Fahnenflüchtige.

Im "Militärlexikon", herausgegeben 1971 in der DDR, steht unter dem Stichwort Desertion siehe Fahnenflucht. Unter "Fahnenflucht (Desertion)" liest man: "eigenmächtiges Verlassen oder Fernbleiben einer Militärperson von ihrer Truppe, ihrer Dienststelle oder einem anderen für sie bestimmten Aufenthaltsort, um sich dem Militärdienst für ständig zu entziehen. ... In bewaffneten Kräften, die um die nationale Befreiung kämpfen, und in Armeen sozialistischer Staaten ist Fahnenflucht Verrat an den Interessen der Werktätigen, am Frieden und am gesellschaftlichen Fortschritt. Bricht ein Angehöriger einer sozialistischen Armee durch Fahnenflucht den Fahneneid, trifft ihn als Verräter die Härte des Gesetzes und die moralische Verurteilung des ganzen Volkes."

Einmal davon abgesehen, dass laut Militärlexikon Fahnenflucht und Desertion gleichgesetzt werden - das soll aber hier nicht untersucht werden - muss man dazu noch einiges bemerken.

In den ersten Jahren war eine schriftliche, freiwillige Dienstverpflichtung von drei Jahren - eine Art Arbeitsvertrag - die Grundlage des Dienstes an der Grenze. Dieses Schriftstück wurde von dem Dienstleistenden und einem Vertreter der Polizeibehörde unterschrieben. Genau genommen, reichte diese "Verpflichtung" oder auch der "Vertrag" nicht aus, um einen Flüchtigen in Uniform gerichtlich zu belangen. Deshalb wurden diese "Deserteure" meist wegen Geheimnisverrat oder angeblicher Spionage zur Rechenschaft gezogen.

Mit der Einführung des Fahneneides und vor allem des Wehrpflichtgesetzes, ergab sich eine grundsätzlich andere Rechtslage.
Diese Gesetzesverletzer waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zugleich auch Grenzverletzer.

 

Doch bleiben wir hier beim Begriff Fahnenflüchtiger.

Einige von ihnen schossen sich aus eigensüchtigen Gründen während des Grenzdienstes, brutal und hinterhältig den Weg in den Westen frei.

In 11 Fällen kamen die Täter aus den eigenen Reihen. Es waren die NVA- und Grenztruppenangehörigen Böhme, Bunge, Decker, Gundel, Höhne, Jablonski, Kinzel, Köpke, Körner, Trübe und Weinhold. Jablonski flüchtet, weil ihm nach seinen Aussagen vor einem westdeutschen Gericht, das Leben in der Grenzkompanie nicht behagte und das Essen schlecht war.

Dem Doppelmörder Weinhold ging es darum, sich - nach 50 Straftaten, meist Kfz-Diebstähle - einer weiteren drohenden gerichtlichen Bestrafung zu entziehen. Er wollte in der BRD endlich einmal mit einem richtigen Kfz fahren. Dem Handeln der "Kameradenmörder" lagen keineswegs politische Motive zugrunde.

Die Flucht von Angehörigen der Grenzpolizei und später dann der Grenztruppe war das ständige Damokles-Schwert über den Grenzsicherungskräften der DDR. Von 1946 bis 1989 verließen Tausende die Reihen der Grenzschutzorgane der DDR. Sie übten Verrat, wechselten die Seiten, "machten rüber", desertierten oder wurden fahnenflüchtig.

Man kann es sehen, wie man will. Aber nichts rechtfertigt die verbrecherische Tat, der Tötung ihres Kameraden oder Genossen.


Allein vom 1. Halbjahr 1962 bis zum 1. Halbjahr 1963 (einschließlich) listeten die Grenztruppen 684 flüchtige Grenzsoldaten auf. Diese Zahl sagt viel aus. 17 Fahnenfluchten (14 Westgrenze; 3 Berlin) wurden verhindert.

"Allein vom 1. September 1962 bis zum 30.November 1963" wurden "111 Angehörige der Grenztruppen... fahnenflüchtig. Dieser Zustand war nicht hinnehmbar." Das schreibt der ehemalige Chef der Grenztruppen der DDR, Generaloberst a.D. Klaus-Dieter Baumgarten, in dem Buch "Die Grenzen der DDR". Er führt weiter aus: "In den nachfolgenden Jahren gelang es, ihn erfolgreich zu überwinden."

Im Jahr 1968 flüchteten erstmals weniger als 100 Grenzsoldaten in den Westen, ein Jahr darauf 1969 waren es nur noch rund 80 Fälle. Doch bis zur Auflösung der Grenztruppen wurden immer wieder Grenzsoldaten fahnenflüchtig.

 

Alltag im Grenzdienst

Wenn man das hier schon Gesagte sich vor Augen hält, kann es vielleicht den Eindruck erwecken, dass jeden Tag an der Staatsgrenze geschossen wurde. Dem war aber nicht so.

Die Grenzsoldaten versahen ihren schweren und verantwortungsvollen Dienst, um verbrecherische Anschläge auf die Staatsgrenze und somit auf ihre Unantastbarkeit und die Souveränität der DDR abzuwehren. Sie hatten die Ausweitung von Provokationen auf das Gebiet der Republik nicht zuzulassen. Illegale Grenzübertritte mussten verhindert werden und sie mussten auch ständig bereit sein, militärische Handlungen gegen westliche Aggressoren einzuleiten.

Den Grenzsoldaten oblag es aber auch, eigene Bürger - darunter notorische politische Gegner, Irregeführte, Verblendete, kriminelle Elemente und andere mit verschiedenen Motiven - abzuhalten, unser Land zu verlassen.

In der DDR gab es eine große Zahl Bürger, die gewillt waren oder auch mit dem Gedanken spielten, den Staat zu verlassen, der ihnen eigentlich eine gesicherte Heimstatt bot. Doch die übergroße Mehrheit derer nahm letztlich von diesem Vorhaben Abstand, weil sie das ihnen wohl bekannte Risiko für Leben und Gesundheit scheuten, dass unausbleiblich mit dem ungesetzlichen, illegalen Grenzübertritt verbunden war.

Der durch DDR-Bestimmungen und dem Grenzgesetz angedrohte Schusswaffengebrauch und auch die an der Grenze installierten Minen, spielten im Grenzregime der DDR schon eine wichtige Rolle.

Doch das war keinesfalls eine Erfindung der DDR. Überall in dieser Welt - abgesehen von der Freizügigkeit in der europäischen Union und einige anderen Staaten - wo es trennende Grenzen gibt, existieren Grenzüberwachungsmaßnahmen oder je nach der politischen und mitunter auch der militärischen Lage an diesen Grenzen, herrscht ein mehr oder weniger strenges Grenzregime.

In allen sozialistischen Staaten existierten solche und ähnliche Sicherheitssysteme, vornehmlich an den Grenzen zu NATO-Staaten. An der ungarisch-östreichischen Grenze standen Stacheldrahtsperren und eine Zeitlang lagen da auch Minen. Mittels elektrischer Hochspannung war die Grenze CSSR zur BRD gesichert.

Das sowjetische Modell, Grenzgebiet, Schutzstreifen und Kontrollstreifen fand man überall. Auch die Anweisungen zum Gebrauch der Schusswaffen im Grenzdienst ähnelten sich oder waren fast identisch.
Auch die Vorschriften über die Anwendung der Schusswaffen an der Staatsgrenze der DDR, stimmten nahezu wörtlich mit der Bestimmung für den westdeutschen Bundesgrenzschutz überein.
Wie sah es und wie sieht es an der Grenzen anderer Staaten aus? Zwischen den NATO-Bündnispartnern Griechenland und Türkei lagen und liegen noch immer Minen.
Welches System herrscht an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Erst in diesen Tagen (28.Juli 2007, Junge Welt) las man darüber: "... Im Juni hat der US-Senat drei Milliarden Dollar knapp 2,2 Milliarden Euro) für die `die Sicherung der Grenzen ` genehmigt. Mit dem Geld sollen einem Beschluss der zweiten Kammer des Kongresses in Washington ... 23 000 weitere Grenzschützer eingestellt und ausgebildet werden. Zudem sollen gut 1 100 Kilometer Grenze mit einem Zaun gesichert und neue Fahrzeuge für die Grenztruppen angeschafft werden.... Allein in diesem Jahr sind bis Anfang Juli bereits 210 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, die Grenze Mexikos mit den USA illegal zu überqueren. ... Am Ende des vergangenen Jahres wurden 425 Tote gezählt."

Welches Regime herrscht an der Grenze Israels zum Libanon? Was ist mit der mehrere Meter hohen Mauer zwischen Israel und den Palästinenser Gebieten. Selbst Finnland hat seine 1 200 Kilometer lange Landesgrenze zu Russland aus Angst vor Masseneinwanderung und organisierter Kriminalität zu einem Hightech-Bollwerk ausgebaut. An der schwerbewachten Grenze zwischen der Volksdemokratischen Republik Korea und der Republik Korea kam es am 6. August 2007 zu einem Schusswechsel zwischen Soldaten aus Süd- und Nordkorea. Aus noch ungeklärtem Grund hätten Soldaten der Nordseite zehn Gewehrschüsse auf einem südkoreanischen Wachposten im östlichen Teil der entmilitarisierten Zone abgegeben.

Doch zurück zur deutsch-deutschen Grenze, der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin.

Das Grenzregime und der schwere Dienst der Grenzsoldaten gewährleisteten Ruhe, Sicherheit und Ordnung im Schutzstreifen bis an die Grenzlinie, Das war auch der Handlungsraum der Grenztruppen. Hier versahen sie Tag und Nacht und bei jedem Wetter ihren Dienst.
Der ehemalige Chef der Grenztruppen der DDR, Generaloberst a.D. Klaus-Dieter Baumgarten schreibt im Buch "Die Grenzen der DDR":
"Die Angehörigen der Grenztruppen wurden dazu erzogen und ausgebildet, das wird durch die Praxis des Grenzdienstes bewiesen, mit Besonnenheit und Verantwortung entsprechend den Forderungen des Grenzgesetzes die Schusswaffe nur als letztes Mittel und unter strenger Beachtung der fixierten Einschränkungen einzusetzen.

Die Anwendung der Schusswaffe war daher die absolute Ausnahme. Die Angehörigen der Grenztruppen hielten sich an die Forderungen des Grenzgesetzes, wie die Untersuchungen beim Einsatz der Schusswaffe bestätigten. Von 1979 bis 1990 - in der Zeit als ich in der Funktion des Chefs der Grenztruppen tätig war, also in mehr als elf Jahren - erfolgte durch die Grenztruppe die Festnahme von 2 905 Personen, die versuchten, die Staatsgrenze zu verletzen bzw. zu durchbrechen...
Bei diesen fast dreitauend Festnahmen wurde nur 148 mal die Schusswaffe eingesetzt, also in 5,1 Prozent der Fälle, und davon waren 107 Fälle nur Warnschüsse. Leider gab es auch Verletzte und Tote. Das war aber weder gewollt noch beabsichtigt. Zwischen 1979 und 1990 wurden bedauerlicherweise 24 Personen verletzt und 17 getötet. Allen Betroffenen gilt mein aufrichtiges, tiefes Mitgefühl.

Die hohe Anzahl von Festnahmen ohne Anwendung der Schusswaffe belegt, dass der Einsatz der Schusswaffe die absolute Ausnahme und das allerletzte Mittel dar-stellte. Sie beweist zudem auch, dass es einen Befehl zum Schießen nicht gegeben hat, wie das in verantwortungsloser Weise immer wieder durch die Medien und sogar durch die Staatsanwaltschaft der BRD behauptet wurde."

Fast täglich war die Staatsgrenze "Gefechtsfeld" der Systemauseinandersetzung im Kalten Krieg zwischen Ost und West. Beide Seiten sprachen von der Frontlinie. Auf beiden Seiten der Berliner Mauer galt, Berlin das war eben die Front. Die USA-Behörden zeichneten ihre "GIs" die in Westberlin stationiert waren für ihren Dienst an der Grenze mit militärischen Kampforden aus. So war das Militärpersonal der US-Berlin-Brigade" handverlesen. Viele von ihnen hatten sich schon an anderen Brennpunkten des Kalten Krieges bewährt.
Der Autor dieses Beitrages hatte während seiner Dienstzeit bei den Grenztruppen oft die Gelegenheit, im Grenzabschnitt Teltow - Osdorf, im Bezirk Potsdam, zu beobachten - dieser Abschnitt gehörte zu seinem Dienstbereich - wie US-Soldaten in voller Kriegsausrüstung und voller Kriegsbemalung, mit geschwärzten Gesichtern entlang unserer Staatsgrenze zu Westberlin provokatorische Handlungen in Szene setzte. In voller Fahrten fuhren sie mit ihren Kfz und Schützenpanzern auf die Staatsgrenze, auf unsere Grenzposten zu, bedrohten sie dabei mit ihren Schnell-feuergewehren und den auf den Fahrzeugen montierten Maschinengewehren. Unsere Soldaten standen diesen militärischen Demonstrationen, dieser aggressiven Drohkulisse einfach machtlos gegenüber.
In diesem Grenzabschnitt übten Angehörige der in der Westberlin-Lichterfelder "Mc-Namarra-Barracks" stationierten "US-Berlin-Brigade" schon Ende der fünfziger Jahre den Straßen- und Häuserkampf. Eigens für diesen Zweck errichtete die US-Besatzungsmacht Westberlins unmittelbar an der Staatsgrenze dieses Häuserkampfprojekt auf ihrem militärischen Übungsgelände. Auch diese militärischen Übungen waren oft von gefährlichen Provokationen gegen unsere Grenzsoldaten begleitet.

Wahrlich - es fällt einem schwer zu vergessen oder zu verdrängen, wie damals sich die tatsächliche Lage an unserer Staatsgrenze darstellte. Es flogen Steine über die Grenze, mitunter auch Brandflaschen. Grenzsäulen wurden unflätig beschmiert, beschädigt oder gar gesprengt.. Die andere Seite drohte mit Waffen und es wurde auch über die Grenze geschossen. Die Statistik weist Zehntausende Zwischenfälle aus. Viele Male galten auch scharfe Schüsse den Grenzsoldaten.

Man kann es drehen und wenden wie man will, der Fakt bleibt: Diese Gefahr kam immer aus dem Westen. Das ist verbürgt, protokolliert und oft auch fotografisch dokumentiert.

Was blieb also dem Grenzsoldaten? Bei Provokationen und Zwischenfällen aller Art konnte er nur in Deckung gehen, Beobachten und das Vorkommnis zu melden. Die damals geltenden Befehle und Dienstvorschriften untersagten es strikt, sich provozieren zu lassen oder etwa gar in Erwiderung in die Richtung der anderen Seite zu drohen, in Anschlag zu gehen, zu zielen und erst recht zu schießen.

Nicht wenige dieser feindlichen Aktionen - das kann man getrost sagen - fanden unter den Augen und mit wohlgefälliger Billigung offizieller Behörden der BRD und Westberlins statt. Uniformierte Kräfte der westlichen Seite unterstützten oft diese Aktionen, leisteten materielle und auch Schützenhilfe.
Die andere Seite kannte durchaus, die Machtlosigkeit oder die Ohnmacht unserer Seite gegenüber solchen Provokationen und feindlichen Anschläge, deren Auswirkungen und Konsequenzen nicht vorhersehbar waren. Natürlich wusste man dass und nutzte es auch weidlich aus.

Da gab es aber auch noch eine andere ernste Gefahr für die diensttuenden Soldaten.

Sie drohte aus dem eigenen Hinterland. Es waren nämlich Personen unseres Landes - aus welchen Motiven auch immer - die versuchten, ungesetzlich unter wissentlicher Ignorierung bestehender gesetzlicher Vorschriften schwarz über die Grenze zu gelangen.

Die Grenzsoldaten waren durch die Verfassung, durch Gesetz, Fahneneid und Befehle gezwungen, diesem gesetzwidrigen Handeln Paroli zu bieten, auch unter Einsatz der Schusswaffe. Der § 213 des Strafgesetzbuches der DDR stellte diese Handlung unter Strafe. Der illegale Grenzübertritt über die grüne Grenze ist nach keiner Rechtsordnung - auch nicht nach dem Völkerrecht - erlaubt. Das gilt gleichermaßen für das ungesetzliche Verlassen des Landes, wie auch für das illegale Eindringen in das betreffende Land.

Viele Länder stellen derartiges Tun zumindest als Ordnungswidrigkeit unter Strafe.

Das Strafgesetzbuch der DDR qualifizierte das widerrechtliche Passieren der Staatsgrenze als eine Straftat und drohte dafür Freiheitsstrafen an. In schweren Fällen (Tat mit besonderer Intensität, Tat durch mehrere Personen u.a.) waren mehrjährige Haftstrafen vorgesehen.
Also musste der Grenzsoldat seine damaligen Handlungen an der Staatsgrenze in dieser Hinsicht als juristisch korrekt und gesetzlich abgesichert ansehen. Heute werten bundesdeutsche Medien und auch die BRD-Justiz das als Totschlag oder gar als Mord.
Von 1946 bis 1990 dienten fast eine halbe Million Bürger in den Reihen der Deutschen Grenzpolizei und der Grenztruppen. Sie alle erfüllten ihre dienstlichen Obliegenheiten - von einer verschwindenden kleinen Minderheit einmal abgesehen - treu, gewissenhaft und ehrlich. Das war der Alltag im Grenzdienst.

 

Von der Verantwortung der anderen Seite

 

Es ist heute unbestritten, dass die Republikfluchten nicht allein auf die gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüche im Osten Deutschlands oder das Ergebnis einer zum Teil verfehlten Politik der SED und des Staates waren.

Nicht zuletzt muss man die Ursachen und Gründe für dieses Verlassen unseres Landes auch in der gezielten, planmäßig betriebenen und mit großen finanziellen Mitteln ausgerüsteten Politik der Bundesrepublik Deutschland suchen. Die in bunt schillernden Farben und mit den lieblichsten Tönen daher kommende Verlockung des "goldenen Westens taten ein übriges. In ihrer Politik legte die andere Seite großen Wert darauf und scheute wahrlich keine Anstrengungen und Mittel, mit einer zielgerichteten, systematischen und suggestiven Abwerbung, Bürger aus dem anderen deutschen Staat zu verleiten, sich nach dem Westen abzusetzen.

Getreu der von der BRD jahrzehntelang verfolgten Politik der "Alleinvertretung" wonach alle Deutsche Bürger der Bundesrepublik waren, verfolgten sie die Absicht, die DDR zu schädigen, wo sie nur konnten.

Keiner der aus dem Osten kam, wurde abgewiesen. Ob nun mit der Berliner S-Bahn, über dritte Länder und erst recht nicht die Grenzverletzer oder "Sperrbrecher" - wie sie in den westlichen Medien bezeichnet wurden - alle waren willkommen. Selbst Verbrecher und andere Kriminelle nahm man herzlich auf. Was zählte, war die Flucht. Je dramatischer diese erfolgte, um so mehr wurde sie von den Medien - allein voran die "Boulevard-Presse" um nicht sagen zu müssen, die "Revolverpresse" - von Rundfunk- und den vielen Fernsehstationen weidlich ausgeschlachtet. Je blutiger die Detail, um so besser. Damit konnte man den Bürgern das Gruseln lehren, konnte den "Volkszorn" wecken und letztlich die DDR verteufeln.

Jede Grenzverletzung, vor allem wenn es dabei Tote gab, wurde im Kalten Krieg zur "Heldentat" hochstilisiert, wenn nicht gar mystifiziert. Die "Sperrbrecher" waren die hehren Helden der westlichen Welt. Wenn es auch hier und da zu dieser verwerflichen Praxis, zu dieser infamen, der Sachlichkeit entbehrenden Hetze und Verleumdung in der BRD und im westlichen Ausland warnenden Stimmen gab, gingen diese im Wutgeschrei der johlenden Pressemeute unter. Das ist alles hier zwar sehr drastisch ausgedrückt, trifft aber im Kern der Aussage, den Nagel auf den Kopf.

Bis in kleinste Detail gehend, mit Akribie und aber auch oft mit viel Fantasie sowie mitunter mit der Wahrheit auf dem Kriegsfuß stehend, schilderten in Wort und Schrift und mit Bildern, die meisten westlichen Medien Grenzdurchbrüche, Fahnenfluchten, Minenexplosionen. Gab es dabei leider auch Verletzte und Tote, spielte man schamlos mit den Gefühlen der Angehörigen. Viele Journalisten schilderten wahre Horrorszenarien und logen hemmungslos. Hier zählte die Auflage oder die Einschaltquote.

Warum die Personen die Grenze verletzten oder die Sperre durchbrachen spielten dabei keine Rolle. Da stellte man den Flüchtenden, der aus rein persönlichen, aus politischen oder auch repressiven Motive heraus, die Republik verließ in eine Reihe mit dem Abenteurer, dem skrupellosen Glücksritter und dem Kriminellen, der sich durch Flucht der Verantwortung entziehen wollte.

Viele Medien, vor allem die in Massenauflage erscheinenden, übermittelten bei ihrer Berichterstattung detailgetreue Anleitung zur Flucht. Sie zeigten auf, wie man Sperren überwinden konnte und wo sich Schwachstellen in der Grenzsicherung befanden. Sie nannten Mittel und Tricks beim Namen, schilderten genau, wie man Grenzsoldaten ausschalten konnte. Alles legte man haargenau dar und empfahl so unterschwellig, mehr oder auch weniger, die Gelegenheit zu nutzen und es eventuell nachzuahmen.
Dabei spielte überhaupt keine Rolle, welches Risiko für Leib und Leben für den Flüchtenden bestand. Das Gegenteil war da wohl eher der Fall. Jeder Geflohene, jeder Verletzte und Tote ließ sich eben trefflich vermarkten. Wenn das auch hart klingt, das war so und bleibt Fakt.

Die Berichte von der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin waren unseriös, oftmals wahrheitswidrig und hysterisch. Mancher ungesetzliche Grenzübertritt oder auch Grenzdurchbruch war von westlicher Seite bestellt und inszeniert. Dubiose Organisationen und auch westliche Uniformierte gaben Unterstützung. Zum Zeitpunkt des Geschehens befanden sich Presse, Funk und Fernsehen bereits vor Ort, um möglichst authentisch berichten zu können. Und das geschah nicht nur einmal.

Wer fragt heute noch nach der politischen und moralischen Verantwortung derjenigen, die mit ihrer Politik der "offenen Arme" und des Anstiftens, die Staatsgrenze gesetzwidrig zu überschreiten, Unsägliches bei den Betroffenen anrichtete?

Kaum einer der damaligen Politiker und Machtausübenden nahm jemals dazu Stellung. Heute erscheint die Politik des Westens im Glorienschein des Kampfes um "Einheit und Freiheit". Im Osten waren eben die "Bösen" und im Westen die "Guten".

 

Geben wir zum Schluss dieses Abschnittes einen Kronzeugen das Wort. Der ewige Kalte Krieger, Dr. Rainer Hildebrandt seines Zeichens Chef der ehemaligen KgU, der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" und spätere Chef der ominösen "Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V., antwortete auf die Frage, ob er persönlich an spektakulären Fluchtversuchen in jenen Tagen beteiligt war? : "Natürlich! Wir hatten zu allen wichtigen Fluchthelfern Kontakt. Am Anfang halfen Hunderte Idealisten, später bekamen die Aktionen immer mehr einen kommerziellen Charakter. Man konnte ganz gut daran verdienen. Um eine erfolgreiche Flucht zu organisieren waren damals 30 000 DM meiner Meinung nach nicht zu viel."

Da kann man nur sagen "Pecunia non olet" - Geld stinkt nicht!
Heute nennen es die Medien der BRD: Menschenschleusung gepaart mit viel krimineller Energie. .

Eine Menschenschleusung damals von der DDR in die BRD war eben rechtens, Sie strahlte im Glanz von "Freizügigkeit" und "westlicher Freiheit", während heute solches Handeln als kriminell bewertet und strafrechtlich von der bundesdeutschen Justiz verfolgt wird.

Wenn zwei dasselbe tun, ist es eben nicht dasselbe.

 

Vom Gesetz des Handelns

 

Wie schon gesagt, an der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin wurde auch geschossen und dabei kamen auch Menschen zu Schaden. Es gab bedauerlicher Weise Verletzte und Tote.

Wie kam es zu solchen tragischen Vorfällen?

Im Vorhergesagten wurden auch schon diesbezügliche Vorkommnisse benannt. Aus welcher Situation heraus entwickelte sich eine Handlung, wo es letzten Endes zum Einsatz der Schusswaffe kam?
Im Grenzabschnitt waren Posten eingesetzt, deren Aufgabe darin bestand, die Grenze zu sichern. Im "Handbuch für den Grenzdienst" vom Jahre 1978 heißt es dazu:

"1.6.4. Allgemeine Tätigkeit der Grenzposten.

Die Grenzposten verwirklichen die Aufgaben im Grenzdienst in erster Linie durch Beobachtung; Bewegung; Kontrolle; Anwendung der Waffe bei Notwendigkeit; Einsatz und Nutzung von Mitteln zur Grenzsicherung; standhaftes und aktives Verteidigen des Grenzabschnittes im Falle eine bewaffneten Überfalls; Vernichtung bzw. Gefangennehmen der eingedrungenen gegnerischen Kräfte."

Das heißt, der Grenzposten führte überwiegend passive Handlungen durch. Ständige Beobachtung des Abschnittes, Bewegung im Gelände, zu Fuß oder per Fahrzeug, Kontrolle und Überprüfung auf Spuren oder andere Anzeichen die auf Grenzverletzer hindeuten, das alles diente dazu, zu prüfen ob sich unberechtigt Personen im Handlungsstreifen aufhielten.

Auch der Einsatz und Nutzung von Mitteln zur Grenzsicherung, wie Signalgeräte und Spurenstreifen diente diesem Zweck.
Tauchte eine Person im Handlungsstreifen auf, konnten es sich nur um einen Grenzverletzer handeln. Denn ein unbeabsichtigtes Betreten des Schutzstreifens bzw. des Handlungsraumes war durch das Vorhandensein von pionier-und nachrichtentechnischen Anlagen nicht möglich.

Um in den Handlungsraum der Grenzposten zu gelangen, musste erst einmal der Hinterlandssicherungszaun bzw. der Grenzsignalzaun überwunden werden.
Erfolgte das Eindringen von westlicher Seite aus, musste von dem Eindringling der mehrere Meter von der Grenzlinie befindliche Streckmetallzaun oder die Grenzmauer überstiegen oder unterkrochen werden. Auch das Vorhandensein von Stolperdraht, Minensperren und Hundelaufanlagen sowie Panzerhöcker sperrte bestimmte gefährdete Richtungen für den Grenzverletzer.

Meist waren die Versuche, die Staatsgrenze illegal zu überschreiten langfristig vorbereitet worden. Die Grenzposten wurden beobachtet. Von seitens der Gesetzesverletzer versuchte man das System der Grenzsicherung aufzuklären. Die Flüchtlinge erkundeten An- und Abmarschwege der Grenzposten und versuchten durch Kontaktaufnahme mit Bewohnern des Grenzgebietes oder mit Grenzsoldaten die Ablösezeiten ausfindig zu machen. Mitunter erhielten die Grenzverletzer Unterstützung durch eigene oder auch westliche Kräfte. Spontane Versuche, die Grenze zu durchbrechen waren in der Minderzahl.

Viele Flüchtlinge waren technisch vorbereitet und ausgerüstet. Sie versahen sich mit Leitern, Seilen Wurfhaken und anderen Gerät. Sie trugen Tarnkleidung der jeweiligen Witterung angepasst. Die Motive der Grenzverletzer waren sicher sehr unterschiedlich, und unterschiedlich waren auch ihre Methoden der ungesetzlichen Überwindung der Staatsgrenze. Nicht wenige benutzten gut präparierte LKW, Traktoren und auch Planierraupen, Ballons und Unterwasserfahrzeuge wendete man an. Und schließlich gab es einige, die bereit waren sich den weg freizuschießen.
Für die Grenzsoldaten war nicht erkennbar - die meisten Versuche erfolgten nachts - ob es sich um Bürger der DDR handelte, die sich vom Leben im Westen mehr versprachen als in der DDR? Waren es vielleicht Straftäter, die zur Fahndung standen und wegen krimineller Delikte von den Behörden gesucht wurden? War der Flüchtende etwa gar ein bewaffneter fahnenflüchtiger Sowjetsoldat?

Das alles wusste der Grenzsoldat nicht.

Für ihn waren diese Personen Gesetzesverletzer, die bereit waren und aktiv daran gingen, die Grenze zu durchbrechen.

Wenn ein Grenzverletzer im Handlungsstreifen beobachtet wurde, begann der Grenzposten eine Reihe von aktiven Handlungen. Dazu zwang ihn die Lage und sein Auftrag. Er versuchte, dem Flüchtling den Weg zur Grenze abzuschneiden, den Überraschungsmoment zu nutzen oder mit anderen grenztaktischen Mitteln der Person habhaft zu werden. Gelang ihm das nicht, blieb ihm nur noch als letztes Mittel, die Schusswaffe anzuwenden und das immer unter der Prämisse den Schusswaffengebrauchsbestimmungen unter allen Bedingungen gerecht zu werden.

Das hieß nichts anderes, Halteruf; Warnschuss und dann erst gezielter Schuss. Dabei war der Schütze strikt angehalten, das Leben des Grenzverletzers zu schonen. Ein gezielter Schuss, um den Flüchtenden zu töten, war nie und nimmer vorgesehen. Der Grenzsoldat hatte - wie es immer wieder von bestimmten Kreisen behauptet wird - keine Lizenz zum Töten. Und der "finale Todesschuss", wie er in einigen deutschen Bundesländern gesetzlich möglich ist, existierte auch nicht.

Genau und auch logisch gesehen zwang die Person, die versuchte illegal die Grenze zu überschreiten, den Grenzsoldaten zu solch einem Handeln, mit mitunter tragischem Ausgang.

Es lag eigentlich immer beim Grenzverletzer, dieses verhängnisvolle Tun jederzeit abzubrechen. Er brauchte nur den Forderungen und Weisungen des Grenzpostens Folge leisten. Also, den Halteruf beachten, den Warnschuss respektieren und durch stehen bleiben, Händehoch und den deutlichen Abbruch seines Handelns Schaden für Leib und Leben abzuwenden.

 

Der renommierte Prof. Dr. jur. habil. Erich Buchholz - langjähriger Direktor der Sektion Rechtswissenschaft der Berliner Humboldt-Universität, ab 1990 Rechtsanwalt - sieht das im 2007 erschienen Buch "Rechtsbetrachtungen von Links" so:

"Regelmäßig bleibt in den Anklagen von BRD Staatsanwälten und in den Urteilen der BRD-Gerichte außer Betracht, dass es die Grenzverletzer waren, die die Grenzsoldaten zum Handeln nach den Schusswaffengebrauchsbestimmungen veranlassten, dass die Grenzverletzer die Ursache für die Anwendung der Schusswaffe gesetzt hatten, dass sie sich selbst leichtfertig in Lebensgefahr gebracht hatten.
Die spezifische Interaktion zwischen Grenzverletzer und Grenzsoldaten wurde niemals aufgeklärt. ...In all den Fällen, in denen Grenzverletzer der Aufforderung der Grenzsoldaten folgten, darunter einige erst, nachdem die Schusswaffe eingesetzt wurde, haben sie ihre Gesundheit und ihr Leben gerettet. Gerade diese Tatsache bestätigt, dass die Grenzverletzer und ihre Gesundheit selbstgefährdeten.
In einzelnen Fällen war die Hartnäckigkeit des Fluchtversuches der Grenzverletzer so stark, dass man davon sprechen muss, dass sie buchstäblich `ins Feuer rannten` und auf diese Weise sich nicht nur selbst in Lebensgefahr brachten, sondern auch selbst getötet hatten."

Noch etwas wichtiges hebt Prof. Buchholz hervor: " Als solches war das Handeln der Grenzsoldaten nicht nur durch die Schusswaffengebrauchsbestimmungen, sondern auch als Handeln in Notwehr ( gem. § 17 StGB/DDR ) gerechtfertigt.

Nun ist es ganz allgemein bei der Beurteilung von in Notwehr vorgenommenen Handlungen außerordentlich wichtig, ja ausschlaggebend, dass die Notwehrsituation, die Notwehrlage aufgeklärt, festgestellt und genügend berücksichtigt wird. Anderenfalls würde dem rechtmäßigen Verteidigungshandeln seine Rechtsgrundlage genommen. Wenn die Notwehrsituation, die Notwehrlage ausgeblendet, nicht berücksichtigt wird, wird dem in Notwehr Handelnden die Rechtsgrundlage genommen, wird aus einer rechtmäßigen gerechtfertigten Handlung eine rechtswidrige, eine Straftat gemacht."

Diese fahrlässige, risikovolle Gefährdung der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens in denen die Flüchtenden mit offenen Augen in ein abgesperrtes, durch Warnschilder und Zäune sowie anderen Hindernissen gekennzeichnetes Territorium widerrechtlich eindrangen, ist eigentlich durch nichts zu rechtfertigen und schwer zu verstehen.

Das strenge und auch repressive Grenzregime stellte für jeden - der nicht mit ordentlichen, amtlichen Papieren versehen war - der unlautere Absichten verfolgte, eine ständige allgemeine Gefahr dar.

Erst durch das aktive Handeln der Grenzverletzer wurde diese allgemeine latente Gefahr aktuell. Durch das bewusste Betreten, durch das absichtsvolle Eindringen in gesperrtes Gebiet und das wissentliche Ignorieren aller diesbezüglicher Warnungen haben diese Personen sich selbst Unglück, Verletzung oder auch Tod bereitet.
Dazu kommt und die weltweite Praxis an den Grenzen beweist, beim Anwenden der Schusswaffe kann auch eine ungewollt lebensgefährliche Verwundung nie ganz ausgeschlossenen werden. Es kann dabei durchaus passieren, das unbeabsichtigt, lebenswichtige Organe beschädigt werden, die in kurzer Zeit durch Verbluten den Tod herbei führen können. Das kann es bei jedem Schusswaffeneinsatz geben.

Ein kleiner Einschub sie hier einmal gestattet. Bundesdeutsche Staatsanwälte und auch Richter nennen das in den Prozessen gegen DDR-Grenzsoldaten, "den Tod billigend in Kauf nehmen". Großartig diese Feststellung. Wenn das nämlich so ist, muss das auch für alle Fälle auf beiden Seiten gelten. Oder, die Exekutivorgane dürfen die Schusswaffen nur zur Selbstverteidigung benutzen.

 

Schüsse auf der anderen Seite


Solche unbeabsichtigten Verletzungen, die den Tod herbei führen, können bei jedem gezielten Schuss auftreten. Das war an der Staatsgrenze der DDR so und sicher auch beim Einsatz der Schusswaffen des Bundesgrenzschutzes, des Zollgrenzdienstes und der westdeutschen und Westberliner Polizei.

Äußere Umstände und tatsächliche Bedingungen sowie Verhalten der Gesetzesbrecher beim Schießen an der Staatsgrenze der DDR waren gewiss ähnlich und kompliziert, wie bei den 250 Todesfällen, die Angehörige der bundesdeutschen Exekutivorgane von 1971 bis 1985 in der BRD und in Westberlin durch Schießen an der Grenze herbeigeführt haben

Die Polizei der BRD steht diesem Verhalten im Gebrauch der Schusswaffen an der Grenze nicht nach. So wurden allein im Jahr 1977 in 1 827 Fällen die Schusswaffe angewendet in 180 Fällen schossen die Polizisten gezielt, verletzten 80 Personen und töteten 17 Personen.
Im "Stern" der großen Hamburger Zeitschrift konnte man am 10.11.1994 lesen: "Nach interner Statistik hat die Polizei von 1976 bis 1991 in 1 341 Fällen gezielt auf Menschen geschossen, 185 getötet und 837 verletzt - oft in tatsächlicher, manchmal nur in vermeintlicher Notwehr, in einigen Fällen auch aus tragischem Versehen oder sträflicher Leichtfertigkeit.

Nur schätzungsweise zehn Prozent der tödlichen Kugeln wurden als `finaler Todesschuss` abgefeuert."
In diesem Kontext eine Meldung aus der Tagespresse des Jahres 1991.

"BGS feuerte auf flüchtenden PKW: Beim Durchbruch einer Straßenkontrolle nahe Forst hat ein Angehöriger des Bundesgrenzschutzes auf einen PKW Wartburg geschossen. Das Fahrzeug hatte Stoppsignale nicht beachtet. Der Beamte musste zur Seite springen, um nicht überfahren zu werden. Nach dem der Fahrer zwei Warnschüsse ignoriert hatte, feuerte der Grenzschützer auf den rechten Hinterreifen. Dabei wurden vier Insassen leicht und der 18 jährige Fahrer schwer verletzt."
Dieser Vorfall zwei Jahre früher an der Grenze der DDR zur BRD geschehen, hätte die ganze westliche Pressemeute auf den Plan gebracht. Die Worte "Mauermörder" und "Todesschützen" wären mehr oder weniger strapaziert worden.

Genau betrachtet war dieser Vorfall ein Ereignis, wie er sicher oft bei Grenzkontrollen an den Grenzen in allen Staaten der Welt auftreten kann.

Der BGS-Schütze hat gewiss nicht mit dem Vorsatz geschossen, die Fahrzeuginsassen zu verletzen oder gar zu töten. Er zielte auf den rechten Hinterreifen. Aber wie das so ist. Jede Waffe hat eine bestimmte Streuung. Der Beamte war in diesem Moment seines Handelns sicher sehr aufgeregt und nervös. Er stand unter Stress. In Bruchteilen von Sekunden musste er sich entscheiden, Schießen oder nicht. Es war eben kein Schulschießen auf dem Schießstand. Dort konnte man ruhig und gelassen das Ziel anvisieren und gezielt seinen Schuss abfeuern. Außerdem, das Kfz bewegte sich in hoher Geschwindigkeit. Da zählte jede Sekunde. Das Ergebnis?

Der Autor ist fest davon überzeugt, dass der Bundesgrenzschutz, der Zollgrenzdienst und die Polizei flüchtige Personen, die sich einer Festnahme entziehen wollten, mit der Anwendung ihrer Dienstwaffe sicher nicht den Tod herbeiführen wollten. Doch es wurden dabei immerhin von 1971 bis 1985 von diesen staatlichen Exekutivorganen 250 Personen in der BRD erschossen.

Eines bewegt den Autor in diesem Kontext ganz besonders. Diesen Beamten der Exekutive der BRD, die durch das "Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes" besonders der §§ 9-12 befugt waren und in Ausübung ihrer Dienstpflicht, berechtigt von der Schusswaffe Gebrauch gemacht haben, wurde und wird stets von amtlicher und juristischer Seite zugestanden, dass sie nicht töten wollten.

Hier sei nur daran erinnert, dass vor wenigen Jahren Polizisten einen unschuldigen Touristen durch Schüsse töteten, weil sie diesen für einen geflüchteten Verbrecher hielten. Wie war das mit dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg in Westberlin? Ohne ersichtlichen Grund erschoss ihn der Angehörige der Westberliner Kriminalpolizei Polizeimeister Kurass. In beiden Fällen wurden die Schützen nicht zur Verantwortung gezogen. Sie haben irrtümlich gehandelt oder Kurras befand sich in einer Zwangssituation und habe unter starken Stress gestanden.
Um das abzurunden noch zwei Meldungen aus dem Jahr 1996. "Das Ermittlungsverfahren gegen einen Justizvollzugsbeamten, der am 8. Februar auf einem U-Bahnhof in Berlin -Wedding einen flüchtenden Strafgefangenen erschossen hatte, ist eingestellt worden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat der Beschuldigte nicht rechtswidrig gehandelt, wie Justizsprecher Rüdiger Reiff erklärte. Der Schusswaffengebrauch sei gerechtfertigt gewesen, da der Mann in Ausübung seines Dienstes als Justizvollzugsbeamter gehandelt habe."
Und ADN meldete am 2.März 1996: "Bei einer Personenkontrolle in einem Waldstück bei Guben (Spree-Neiße) hat ein BGS-Beamter in der Nacht zum Donnerstag einen Polen durch einen Schuss an der Schulter verletzt. Eine BGS-Streife hatte in einem grenznahen Waldstück eine zehn- bis fünfzehnköpfige Gruppe mit Nachtsichtgeräten beobachtet. Als die Grenzschützer die Personen kontrollieren wollten, flüchteten diese. Ein Beamter zog seine Waffe und schoss."

Doch im krassen Gegensatz dazu wird allen Grenzsoldaten der DDR - die rechtens gemäß Schusswaffengebrauchsbestimmungen und später des § 27 des Grenzgesetzes der DDR geschossen haben - im Prinzip von vornherein, immer und beharrlich Tötungsabsicht unterstellt.

Unvoreingenommen und genau besehen, grenzt das nicht an widerliche Heuchelei und legt es einem nicht gar den Gedanken nahe, was Recht oder Unrecht ist, bestimmen wir, die Sieger?

Lassen wir doch zu diesem Komplex noch einmal Prof. Dr. Erich Buchholz zu Wort kommen. Es geht dabei um die juristische Beurteilung der Vorgänge des 13. August 1961.

Nach der Sicht von Erich Buchholz ist diese Beurteilung "nicht weniger komplex und gegensätzlich". Der Professor führt weiter aus:

"Es bewahrheitet sich, dass es - namentlich auf diesem Gebiet - kein Recht jenseits der Politik gibt. Und Juristen haben sowohl für die eine wie für die andere Sichtweise ihre Argumente. Unterhalb der Verfassungswidrigkeit ist bekanntlich jede Auslegung erlaubt. Ich sehe mich daher - auch als Jurist - nicht in der Lage, diesen Gegenstand unparteiisch zu erörtern - ganz so, wie ich es bei den bundesdeutschen Strafgerichten erlebte, deren Richter sich aufgrund ihres durch ihre Biografie bedingten Vorverständnisses in diesbezüglichen Strafverfahren keineswegs als unparteiisch erwiesen.

Ich darf das an folgendem persönlichen Erlebnis als Strafverteidiger in dem ersten gegen einen jungen Grenzsoldaten der DDR in Berlin geführten Strafverfahren illustrieren:
In den Verhandlungen war von der Verteidigung, insbesondere auch von Kollegen aus München, selbstverständlich auf ähnliche Vorgänge des Schusswaffengebrauchs mit Todesfolge an der Westgrenze der Bundesrepublik verwiesen worden. Wir hatten also zwei recht gleichartige Fälle vor Augen, die unter strafrechtlicher Sicht, das heißt im Hinblick auf die individuelle persönliche strafrechtliche Verantwortung und Schuld von Individuen zu beurteilen waren.

Der bundesdeutsche Beamte und der Grenzsoldat der DDR hatten beide ohne Tötungsabsicht in dienstlicher Eigenschaft nach ihren durchaus ähnlich lautenden Rechtsvorschriften von der Schusswaffe mit dem Ergebnis des Todes eines Menschen Gebrauch gemacht.

Nach den Maßstäben des Strafrechts lagen die Fälle gleich.

Die juristische Beurteilung durch bundesrepublikanische Gerichte war jedoch diametral entgegengesetzt. In der mündlichen Begründung des Urteils erklärte der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer die unterschiedliche Beurteilung, namentlich die Verurteilung des DDR-Grenzsoldaten in diesem Verfahren, wie folgt:

Der bundesdeutsche Beamte hatte einem Rechtsstaat gedient. Der Grenzsoldat der DDR hatte einem Unrechtsstaat gedient.
Nie zuvor hatte ich eine derart eindeutig politische Begründung einer gerichtlichen Entscheidung vernommen! Dass der dann verurteilte Grenzsoldat der DDR dieses Urteil nicht verstehen konnte, darf nicht überraschen. Woher sollte er als einfacher, in der DDR in den siebziger und achtziger Jahren aufgewachsener junger Mann gewusst haben, dass er einem Unrechtsstaat gedient hatte? Hatte doch überdies kurz zuvor im Jahre 1987 der Kanzler des Rechtsstaates den Repräsentanten des Unrechtsstaates in aller Form in Bonn empfangen und begrüßt."

 

Und da sage einer, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es keine politischen Strafverfahren.

Die Mehrheit der bundesdeutschen Staatsanwälte, Richter und auch viele Politiker bestreiten nach wie vor, dass es in der BRD eine politische Strafverfolgung gäbe.
In den weiteren Prozessen gegen Grenzsoldaten, höhere Militärs und Politiker vor den Gerichten der BRD trifft man allenthalben diesen vom Vorsitzenden der Berliner Schwurgerichtskammer eindeutig formulierten Unterschied bei strafrechtlich gleichen Vorgängen immer wieder. Auch das Bundesverfassungsgericht machte sich das zu eigen. Später wurde das natürlich juristisch viel feinsinniger, wortreicher, aber auch verklausuliert ausgedrückt.

 

Was ist mit dem "Schießbefehl?

 

Klären wir erst einmal den Begriff Befehl.

Laut Militärlexikon der DDR: "Befehl: in einer Armee und anderen bewaffneten Kräften eines Staates Anweisung, die ein bestimmtes Verhalten von einem exakt festgelegten Personenkreis fordert, von einem Vorgesetzten mündlich, schriftlich oder auf andere Weise erteilt wird und unbedingt durchgeführt werden muss. Der Befehl ist Instrument zur Durchsetzung des Prinzips der militärischen Einzelleitung."
In andere Lexika heißt es, "Anordnung des Vorgesetzten an Unterstellte" oder auch "Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter einem Untergebenen mit Anspruch auf Gehorsam gibt".
Ein Schießbefehl ist also ein Befehl zum Schießen. So weit, so gut. Nun wird aber seit Jahrzehnten von bestimmten Kreisen der BRD - aus politisch durchsichtigen Gründen, durch bewusst falsche Berichterstattung der Medien und Stellungnahmen führender Persönlichkeiten - suggeriert und auch manipuliert, für die Grenztruppen der DDR hätte es einen Schießbefehl gegeben der die Grenzsoldaten anwies, auf Grenzflüchtlinge zu schießen, um sie zu töten. Leider glaubt das ein großer Teil unserer Bürger.

Hier wird noch einmal explizit konstatiert: Ein Schießbefehl existierte in der DDR nicht!

Die Grenztruppen der DDR hatten weder "eine Lizenz zum Töten" - wie es immer wieder böswillig behauptet wird - noch wurde ihnen befohlen, tödliche Schüsse abzugeben.
Bundesdeutsche Staatsanwälte und Richter sowie die meisten Medien gingen und gehen von dem Bild des "Mauerschützen" aus, dass der sattsam bekannte ARD-Kommentator Lothar Loewe bereits am 22.12.1976 zeichnete, als er formulierte, dass die DDR-Grenzsoldaten auf Flüchtlinge "wie auf Hasen" schössen.
Es gab Schusswaffengebrauchsbestimmungen von Anfang an. Nichts anderes. Das waren die alleinigen Rechtsvorschriften für die Anwendung der Schusswaffe durch die Grenzsoldaten der DDR wie sie seit 1982 im Grenzgesetz der DDR im § 27 und substantiell vorher in den entsprechenden Rechtsvorschriften und Dienstanweisungen eindeutig festgelegt waren.
Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 24.10.1996 fest: Es sei richtig, "dass die gesetzlichen Vorschriften der DDR, soweit sie den Schuss-waffengebrauch an der innerdeutschen Grenze regelten, den Vorschriften der Bun-desrepublik über die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Wortlaut entsprachen."

Gesetz über die Staatsgrenze der DDR (Grenzgesetz)

"§ 27 Anwendung von Schusswaffen:
(1) Die Anwendung der Schusswaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen.
Die Schusswaffe darf nur in solchen Fällen angewendet werden, wenn die körperli-che Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Die Anwendung von Schusswaffen gegen Personen ist erst dann zulässig, wenn durch Waffenwirkung gegen Sachen oder Tiere der Zweck nicht erreicht wird.
(2) Die Anwendung der Schusswaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorste-hende Ausführung oder die Fortführung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt zur Ergrei-fung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.
(3) Die Anwendung der Schusswaffe ist grundsätzlich durch Zuruf oder Abgabe eines Warnschusses anzukündigen, sofern nicht eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nur durch die gezielte Anwendung der Schusswaffe verhindert oder beseitigt werden kann.
(4) Die Schusswaffe ist nicht anzuwenden, wenn
a) das Leben oder die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden können,
b) die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind oder
c) das Hoheitsgebiet eines benachbarten Staates beschossen würde.
Gegen Jugendliche und weibliche Personen sind nach Möglichkeit Schusswaffen nicht anzuwenden.
(5) Bei der Anwendung der Schusswaffe ist das Leben von Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen."

Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UzwG) (BRD)

"§ 11 Schusswaffengebrauch im Grenzdienst
(1) Die... genannten Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen, ist anzunehmen, dass die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuss ersetzt werden.
§12 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Der Zweck des Schusswaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten, zu schießen, wenn durch den Schusswaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§10 Abs.2) nicht vermeiden lässt.
(3) Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schusswaffen nicht gebraucht werden."

Wie man sieht, die Bestimmungen über die Anwendung von Schusswaffen an der Grenze waren in beiden deutschen Staaten übereinstimmend. Auch vor dem Erlass des Grenzgesetzes der DDR waren substantiell vom Inhalt her die Schusswaffengebrauchsbestimmungen für die Deutsche Grenzpolizei und die Grenztruppen der Nationalen Volksarmee gleich den Festlegungen im Grenzgesetz. Die Anwendung der Schusswaffe war immer die Ultima Ratio, das letzte Mittel.
In der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR war es verboten, das Territorium des benachbarten Staates zu beschießen. Die damals geltenden Schusswaffengebrauchsbestimmungen wurden nach dem 13. August 1961 so-wohl in der DDR als auch in Westberlin ergänzt.

Am 20.8.1961 erfolgte durch das DDR-Ministerium des Inneren die Weisung: "Es darf unter keinen Umständen über die Grenze geschossen werden."

Im Februar 1962 enthielten die Schusswaffengebrauchsbestimmungen in Westberlin den Passus: "Der Polizei-und Zollbeamte ist berechtigt, im Falle der Notwehr (Fluchthilfe) auch über die Grenze zu schießen."
1967 wurden diese Westberliner Bestimmungen noch einmal verschärft. Anstelle von "berechtigt" wurde jetzt "angehalten" gesetzt.
Was für ein gravierender Unterschied.

Im Weser-Kurier vom 26.6.1962 konnte man dazu lesen: "Die bisherigen einschränkenden Waffengebrauchsbestimmungen haben sich nach Ansicht der Polizeireferenten des Innensenators an der Sektorengrenze nicht bewährt... Die Polizei... sei dazu da, so argumentieren die Westberliner Polizeireferenten, Verbrechen zu verhindern, selbst wenn diese sich jenseits der Grenze abspielten... Die Westberliner Polizei habe infolgedessen das Recht, auch jenseits der Sektorengrenze zu intervenieren, nämlich zu schießen."

Nach Lesart der Westberliner Polizeireferenten war die Verhinderung eines Fluchtversuches durch DDR-Organe also ein "Verbrechen". Das war der blanke Hohn. Wider dem Völkerrecht und internationaler Vereinbarungen waren die Westberliner Polizeibeamten "angehalten" über die Grenze zu schießen. Ähnliche Festlegungen existierten auch für den Bundesgrenzschutz und dem Zollgrenzdienst.

Zu den gesetzlichen Grundlagen des Handelns der Grenztruppen an der Staatsgrenze der DDR und zu Westberlin gehörte auch das Strafgesetzbuch der DDR

Aus dem Strafgesetzbuch der DDR

"§ 213 Ungesetzlicher Grenzübertritt
(1) Wer widerrechtlich die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik passiert oder Bestimmungen des zeitweiligen Aufenthalts in der Deutschen Demo-kratischen Republik sowie des Transits durch die Deutsche Demokratische Republik verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik rechtswidrig nicht oder nicht fristgerecht in die Deutsche Demokratische Republik zurückkehrt oder staatliche Festlegungen über seinen Auslandsaufenthalt verletzt.
(3) In schweren Fällen wird der Täter mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu acht Jahren bestraft. Ein schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn:
1. die Tat Leben oder Gesundheit von Menschen gefährdet;
2. die Tat unter Mitführung von Waffen oder unter Anwendung gefährlicher Mittel und Methoden erfolgt;
3. die Tat mit besonderer Intensität durchgeführt wird;
4. die Tat durch Urkundenfälschung (§ 240), Falschbeurkundung (§242) oder durch Missbrauch von Urkunden oder unter Ausnutzung eines Versteckes erfolgt;
5. die Tat zusammen mit anderen begangen wird;
6. der Täter wegen ungesetzlichen Grenzübertritts bereits bestraftbist.
(4) Vorbreitung und Versuch sind strafbar.
Soweit zu den gesetzlichen Grundlagen.

Es muss hier konstatiert werden, trotz krampfhafter Suche der polizeilichen Ermittlungsbehörden der BRD und der Staatsanwaltschaft, trotz umfassender Sichtung der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit durch die Gauck- und dann der Birthler-Behörde, trotz langjähriger Pusselarbeit und dem Zusammensuchen und Zusammenkleben von Papierschnitzeln und der intensiven Durchforstung anderer staatlicher Archive oder des SED-Parteiarchivs und anderer Unterlagen, ein Schießbefehl wurde nicht gefunden, weil es ihn nie gegeben hat.
Hendrik Thos befasst sich in seinem Buch "Gesichert in den Untergang" ebenfalls mit der Frage nach dem Schießbefehl. "In der Vergangenheit wurde im Zusammenhang mit dem Schusswaffengebrauch an der deutsch-deutschen Grenze oft die Frage eines schriftlich niedergelegten `Schießbefehls` diskutiert... Wenn bis heute in den hinterlassenen Akten und Dokumenten der DDR ein Papier gefunden werden konnte, auf das dieser Terminus zutreffen könnte, dann handelt es sich um das Protokoll der 45. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 0.05.1974."
Was fällt einem da auf? Der Verfasser stellt fest, es wurde bis jetzt kein Schießbefehl gefunden. Und ob es so ist, weiß er nicht, denn er stellt das Protokoll der Sitzung des NVR, ob es denn nun wirklich der Schießbefehl sei, in die Möglichkeitsform.
Zur Anwendung der Schusswaffe geben Auszüge aus dem Protokoll der 45. Sitzung des NVR detailliert Auskunft. Thos hält fest: "Dieses Dokument ist insofern von einiger politischer und juristischer Bedeutung, als hier eines der wenigen in Stichpunkten niedergelegten Protokolle vorliegt, in dem der Sitzungsverlauf exakt dokumentiert wurde und die Redner mit den Schwerpunkten ihrer Ausführungen Erwähnung fanden. Das Protokoll verfasste und unterzeichnete der damalige Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes und Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates der DDR Generalleutnant, Fritz Streletz."
Thos zitiert Honecker, "nach wie vor muss bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden... an den jetzigen Bestimmungen wird sich diesbezüglich weder heute noch in Zukunft etwas ändern".
Wenn der Buchautor diesen Ausspruch als Befehl zum Mord interpretiert, so muss man dem entschieden widersprechen. Denn solch eine Deutung widerspricht eindeutig der damaligen in der DDR geltenden gesetzlichen und somit auch der juristischen Grundlage. Honecker sagte, "an den jetzigen Bestimmungen wird sich diesbezüglich weder heute noch in Zukunft etwas ändern". Und damals hieß es eben in den Schusswaffengebrauchsbestimmungen, das Schießen ist die Ultima ratio, die letzte Möglichkeit. Einen Befehl zum Töten hat es nie gegeben.
Da nun aber kein Schießbefehl aufzutreiben war, war guter Rat teuer. Professor Buchholz - oft als Verteidiger der Angeklagten in den Prozessen gegen Grenzsolda-ten tätig - sieht das so. "Da es also keinen Schießbefehl gab, in dem man die Grundlage für die Strafbarkeit der Angeklagten sehen wollte, beschritt die bundesdeutsche Strafjustiz, um zu einer Verurteilung zu gelangen, besondere Wege.
Bereits in dem ersten Verfahren gegen einen ehemaligen DDR-Grenzsoldaten wurde eine solche `Beweisaufnahme` praktiziert." Der Tatrichter konstruierte ohne Hemmungen und Skrupel die Existenz "unterschwelliger" Befehle, "er erfand solche, die im Widerspruch zu den gesetzlichen Schusswaffengebrauchsbestimmungen gestanden haben sollen. Aber diese Schwurgerichtskammer hatte keine derartigen, den Schusswaffengebrauchsbestimmungen widersprechenden Befehle gefunden oder in die Beweisaufnahme einführen können. Sie hat deshalb aus subjektiven Deutungen einzelner als Zeugen vernommener Soldaten solche `abgeleitet`, herausgelesen, konstruiert und erfunden."
Später findet man beim Bundesgerichtshof und dann auch beim Bundesverfassungsgericht die Wendung, "dass die an sich nicht zu beanstandend Rechts-und Befehlslage in Gestalt der Regelungen des Schusswaffengebrauchs angeblich `von Befehlen überlagert war`, die eine Tötung von Personen gefordert haben sollen.
Um es zu wiederholen: Derartige, die Rechtslage überlagernde Befehle wurden nicht gefunden und konnten auch nicht gefunden und vorgelegt werden. Es gab sie nicht".

Es gab keinen Nachweis für diese angebliche Praxis der "Überlagerung" der Bestimmungen durch anderslautende Befehle zum Gebrauch der Schusswaffe noch etwa "unterschwellige" Befehle und Anweisungen.
Man kann es aber nicht ganz ausschließen, dass hier und da in Einzelfällen die Bestimmungen über den Einsatz der Schusswaffen eigenwillig und den Festlegungen zuwider von einzelnen Vorgesetzten, zum Beispiel Zugführer oder auch Kompaniechefs, interpretiert wurden.
Doch ganz sicher ist auszuschließen, dass es jemals einen Angehörigen der Grenztruppe im Vorgesetztenverhältnis gegeben hat, der den Befehl gab, zu töten.

Es galt immer: Halteruf, Warnschuss und dann erst und eventuell gezielter Schuss, als letzte Möglichkeit. Letzterer mit der unbedingten Maßgabe, das Leben zu schonen.

Gewiss ist eins: Die Zahl der Todesfälle durch den gezielten Einsatz der Schusswaffe durch Grenzposten der DDR geht sicher in die Hunderte. Eine genaue Zahl ist bis heute nicht zu ermitteln. Eine Zusammenfassung und ein endgültiges Ergebnis auf der Grundlage von Archivmaterialien der DDR existiert nicht.
Die Zahlen der "Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität" (ZERV) nennt 421 Todesopfer. Diese Fälle haben zur Grundlage, dass angenommen wird, es liegt hier "Fremdverschulden" vor.
Die "Staatsanwaltschaft II" geht von einer noch niedrigeren Zahl von 272 Todesfällen aus. Durch diese staatliche Behörde wurden nur die Fälle erfasst, die nachweislich auf einem Gewaltakt beruhen.
Beide Behörden sind inzwischen aufgelöst.
Die Angaben der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter sind unvollständig, beruhen neben dokumentarischen Nachweisen, oft aus Angaben aus "Hörensagen", aus zweckbestimmten subjektiv gefärbten Aussagen von Fahnenflüchtigen der DDR-Grenztruppen und anderen unsicheren Quellen. Seriöse Historiker ziehen diese Aussagen erst gar nicht in Betracht.
Im Jahre 2005 vereinbarten das "Zentrum für Zeithistorische Forschung e.V. Pots-dam und das "Dokumentationszentrum Berliner Mauer" in der Berliner Bernauer Straße ein Kooperationsprojekt "Todesopfer an der Berliner Mauer". Hier soll die Zahl der Toten auf wissenschaftlicher Basis festgestellt werden. Während dieses Projekt von 133 Todesopfern an der Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989 ausgeht, nennt das obskure Mauermuseum der Frau Alexandra Hildebrandt 231 Todesfälle.
Die "Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V." - in der obig genannte Frau Hildebrandt im Vorstand agiert - veröffentlicht seit Jahren in einer makabren Todesliste Zahlen, deren Richtigkeit stark angezweifelt werden müssen. Im Jahr 2005 taucht die Zahl von 1 135 Todesopfern auf und stieg im Jahr 2006 auf 1 201 Tote. Und "last but not least" dieses Jahr 2007 sind es gar sage und schreibe 2 147 Todesfälle für die Zeit von 1945 bis 1989 auf. Das Potsdamer Institut zweifelt diese Zahlen an, weil diese Liste der "AG 13. August" zum großen Teil auf Hörensagen beruht und auch nicht vollständig, wissenschaftlich belegt sei.
Die unterschiedlichen Zahlenangaben ergeben sich aus unterschiedlichen Quellen und Dokumenten, sind aber auch "frei erfunden" sowie auch unseriösen Materialien.
Manches entwickelte sich aber auch aus dem unsäglichen Meinungs-Mainstream der allgegenwärtigen Medien und viele Aussagen sind regelrecht zum Klischee ver-kommen. Schießbefehl, Minenexplosionen, Mauerschützen und Tode an der Grenze sind daher feste Größen. Keiner, besser gesagt viele Menschen, denken nicht darüber nach. Sie hinterfragen es nicht und nehmen es eben hin.
Umfassenderes zum "Ominösen Zahlenspiel der `Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V." mit Opfern deutscher Teilung" kann man in der im Dezember 2006 erschienen Schrift der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V. GRH nachlesen.
Uns liegt es beileibe fern die Toten an der Staatsgrenze der DDR zu leugnen. Doch wir wenden uns aber entschieden gegen bewusste Verdrehung von historisch belegten Fakten, gegen Lügen, infamen Unterstellungen und Diffamierungen.

Es geht uns um die faire, sachlich richtige, wissenschaftlich fundierte Beschreibung des damaligen tragischen Geschehens.