"Live Oak" und die "Berliner Operation"

Pläne zur militärischen Einnahme von Westberlin durch Streitkräfte des Warschauer Vertrages

von Horst Liebig

Tag X Ende des vorigen Jahrhunderts:


Im Dunkel der Nacht steigen Fallschirmjäger des 1. Bataillons des Luftsturmregimentes der NVA aus Lehnin/DDR in ihre Hubschrauber und fliegen in Richtung Westberlin.
Zur gleichen Zeit greifen Maschinen des Jagdbombergeschwaders 8 die Gefechtsstände der drei Alliierten Brigaden in Westberlin an.

Die Luftattacke dauert ganze neun Minuten.

Schwere Artillerie eröffnet das Feuer auf die Kasernen und Stützpunkte der Westmächte. So u. a. auf die US-Kasernen - Mc Nair Barracks, Andrews Barracks, Roosevelt Barracks in Berlin Lichterfelde sowie die Turner Barracks in Berlin Dahlem - das US-Munitionsdepot im Grunewald. Die französischen Kasernen im Quartier Napoleon und die britischen Kasernen Alexander Barracks in Hakenfelde, die Brooke Baracks in Wilhelmsstadt und die Mongomery Barracks in Gatow waren neben anderen militärischen Objekten Ziele der Artillerie der NVA , der Berliner Grenztruppen und der Sowjetarmee.

Elf Minuten dauert der erste Artillerieschlag, der zweite folgt nach einer kurzen Pause acht Minuten lang und der dritte mit 16 Minuten.
Mittlerweile landen zwei Kompanien des Luftsturmregimentes in Tegel und in Tempelhof, besetzen die Flugplätze und igeln sich dort ein.
Zur selben Zeit durchbrechen Sturmpioniere der NVA die Mauer an 59 Stellen. Panzer der sowjetischen Armee und der NVA greifen ein.
Truppen der 1. mot.-Schützendivison der NVA rücken flankiert von Teilen der Berliner Grenztruppen und besetzen strategisch wichtige Punkte in Westberlin.
Am Kaiserdamm vereinen sich die Angreifer. Diese Autobahnbrücke ist der allergische Punkt, ist der erst einmal in Besitz genommen, wären die Westalliierten in ihren Sektoren isoliert.

So oder ähnlich berichteten Westmedien wie die Zeitungen, "Die Welt", "Der Tagesspiegel" und andere sowie in einer Filmdokumention der TV-Sender RBB. Dieser Tag X fand nie statt. Aus welchen Quellen die Schreiberlinge und die Regisseure ihr Wissen schöpften, sei einmal dahingestellt.

 

Die Lage in und um Westberlin


Die Spaltung Berlins durch die einseitige Währungsreform der Westmächte im Sommer 1948, denn zwei Währungen in einer Stadt spaltete mehr als Stacheldraht und Mauer.

Westberlin entwickelte sich zum vorgeschobenen Brückenkopf der NATO. Obwohl Westberlin offiziell nicht zur NATO gehörte, waren hier doch beträchtliche militärische Kräfte der NATO-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich mit nicht zu unterschätzender militärischer Ausrüstung und Bewaffnung stationiert.

Die westliche Politik sah Westberlin als "Pfahl im Fleisch der DDR, Westberlin "die billigste Atombombe" oder "Tor zum Osten" Diese Stadt mauserte sich zum wohl weltweit größten Spionage- Sabotage- und Suberversionszentrum.

 

Bekanntlich lag Westberlin auf dem Territorium der DDR. Die kürzeste Entfernung zwischen der BRD und Westberlin betrug 167 Kilometer. Dieses politische Gebilde umfasste 481 Quadratkilometer und hatte rund 2,1 Millionen Einwohner.
Westberlin war zu keiner Zeit Bundesland der BRD, obwohl es so im Grundgesetz festgeschrieben war. Die Westmächte lehnten das im Interesse ihrer eigenen Berlinpolitik strikt ab, obwohl auf der anderen Seite, sie die Bundespolitiker wohlwollend agieren ließen. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung war hier fest etabliert.

Die USA hatten in Westberlin ein Truppenkontingent von 6 200 Mann stationiert. Zu dessen Hauptbewaffnung gehörten 32 Panzer vom Typ M 60, des weiteren Selbstfahrlafetten, Schützenpanzer, Granatwerfer, Panzerabwehrraketen, rückstoßfreie Geschütze, Fliegerabwehrsysteme und Flammenwerfer.
Die Gesamtstärke der Truppe Großbritanniens in Westberlin betrug: 3 500 Mann. Ihre Hauptbewaffnung bestand aus 16 Panzern, Granatwerfer verschiedenen Kalibers, Panzerabwehrlenkraketen, rückstoßfreie Geschütze und Panzerbüchsen.
Frankreich unterhielt in Westberlin ein Truppenkontingent in Stärke von 2 700 Mann. Diese waren mit 42 Panzern AMX, Granatwerfern, Flammenwerfer auf Selbstfahrlafetten und Panzerbüchsen ausgerüstet.

Insgesamt 12 400 bewaffneter NATO-Soldaten stellten in Westberlin einen nicht zu unterschätzenden militärischen Machtfaktor dar.
Alle drei NATO-Staaten hatten in Westberlin Aufklärungs- und Kampfhubschrauber stationiert. Diese flogen ständig in Tages- und Nachteinsätzen an der Grenze zur DDR.

Des weiteren gehörten elektronische Stationen zum Abhören des gesamten Funkverkehrs der DDR und der sich anschließenden sozialistischen Staaten. Die größte US-Basis befand sich auf dem Teufelsberg, In Berlin Marienfelde unmittelbar an der Grenze zur DDR und in Tempelhof waren weiter US-Stationen installiert. Großbritannien hatte eine derartige Anlage in Berlin Gatow und Frankreich in Tegel in Betrieb. Rund um die Uhr wurde hier Funkspionage betrieben.

Erinnert sei in diesem Kontext an den Mitte der fünfziger Jahre aufgedeckten Spionagetunnel in Altglienicke, wo die USA sowjetische Telefonleitungen auf dem Gebiet der DDR angezapft hatten.

Rund 80 Spionage- und Sabotageinstitutionen westlicher staatlicher Geheimdienste und andere dubiose Organisationen wie, die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" der "Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen", Ostbüros der SPD und der CDU und nicht zuletzt das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, stellten ein DDR-feindliches Potential dar, das sich auf die Fahnen geschrieben hatte, den ersten deutsche Arbeiter- und Bauern-Staat zu bekämpfen und zu schädigen, wo sie es immer nur konnten.

 

In den militärischen Einheiten der Westmächte nahm vor allem der Straßen-und Häuserkampf eine dominierende Rolle ein.
In Berlin Lichterfelde an der Osdorfer Straße richteten die US-Streitkräfte Ende der fünfziger Jahre ein Straßen-und Häuserkampfobjekt (Park Range) ein.

Dieses lag unmittelbar an der Grenze zur DDR.
Der Autor hatte die Gelegenheit des öfteren diese Ausbildung zu beobachten, da dieser US-Ausbildungsplatz sich in dem Grenzabschnitt befand, der zu seinem Dienstbereich gehörte. Er sah dabei US-Soldaten beim Häuserkampf. Auch die gewaltsame Auflösung friedlicher Demonstrationen Westberliner Bürger gehörte dazu.

 

1990 sprach der Autor mit einem ehemaligen GI der US-Army, der in den Mc Nair Barracks in Berlin-Lichterfelde, Görtz Allee stationiert war.

Er arbeitete an seiner Dissertation über die US-Army in Westberlin und bestätigte, dass im "Park Rang" an der Osdorfer Straße derartige Übungen stattfanden und er selbst, da er perfekt Deutsch sprach, oftmals die Störer - sprich Demonstranten - anführen musste und sie in deutscher Sprache aufforderte, gegen die Besatzungsmacht zu demonstrieren. Er berichtete auch von häufigen Provokationen der US-Soldaten gegen die Grenzer der DDR, in dem sie mit ihren gepanzerten Fahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit auf die Staatsgrenze losfuhren und erst kurz vor der Grenzlinie stoppten. Dabei richteten sie ihre Waffen - Schnellfeuergewehre und Maschinengewehre - auf die Grenzposten. Er sagte klipp und klar, das lag im Kalkül seiner Vorgesetzten und auch so gewollt, um unsere Soldaten einzuschüchtern.
Ähnliche Übungsplätze mit Ortskampfanlagen hatten die Briten in Ruhleben.

Wie man sieht, in Westberlin war ein nicht zu unterschätzendes Potential der drei Westmächte stationiert, das sich auf kriegerische Konflikte ernsthaft vorbereitete.
Für bestimmte dienstliche Leistungen wurden die militärischen Angehörige der Besatzungstruppen in Westberlin mit Kriegsorden und Medaillen ausgezeichnet.

Der französische Offizier Oberstleutnant Burgier erklärte damals den in Westberlin neu angekommenen Soldaten: "Ich schlage ihnen nicht die Arbeit, sondern den Kampf vor. Ich schlage ihnen nicht den Frieden sondern den Krieg vor." Und weiter, "eure Aufgabe ist es, bis zur Ankunft der Verstärkung auszuhalten".

Die US-amerikanische Soldatenzeitung "Star and Stripes" schrieb: "Die Russen können die Garnison in einer kurzen Zeitspanne zwischen Sonnenaufgang- und untergang vernichten. Kein Offizier, Unteroffizier oder Soldat in Westberlin hat in dieser Hinsicht Illusionen. Alle wissen, dass sie in kurzer Zeit vernichtet werden können."

 

Hier liegt doch klar auf der Hand, dass dies alles vom östlichen Militärbündnis weder unterschätzt oder gar ignoriert werden konnte.

Deshalb war Westberlin ein sehr wichtiges Thema der operativen Planungen vor allem im Generalstab der UdSSR und in Straußberg in der DDR.
Wie sagte doch Oberstleutnat Burgier? "Eure Aufgabe ist es,, bis zur Ankunft der Verstärkung auszuhalten." Wie sollte das Geschehen?

 

Die geheime Organisation "Live Oak"


Unter dem Namen "Live Oak" (Lebende Eiche) verbarg sich eine streng geheime Organisation der drei westlichen Alliierten, USA, Großbritannien und Frankreich. Ihre einzige Aufgabe war, die Sicherheit Westberlins bzw. die Wiederherstellung der Sicherheit unter allen Lagebedingungen zu gewährleisten.

Sie war eine Reaktion auf die Westberlin- Blockade 1948/49 durch die Sowjetunion und vor allem auf die Berlinkrise vom November 1958.
Live Oak bestand von 1959 bis 1990. Sie war zunächst beim United States European Command in Saint-Germeain-en Laye bei Paris angebunden.

1961 verlegte der Stab dieser Organisation auf das Gelände des europäischen Hauptquartier der NATO -, SHAPE. Das war erst im französischen Fontainbleau und ab 1967 bis 1990 im belgischen Mons stationiert.
In diesem Kontext ist zu beachten, dass die Regierung Adenauers in ihren Gesprächen mit den Westmächten über einen deutschen Verteidigungsbeitrag von Anfang an klarstellte, dass sie zu solch einem Beitrag nur unter der Voraussetzung westlicher Sicherheitsgarantien für die BRD und Westberlin bereit sei.

Bei ihrem Gipfeltreffen im September 1950 in New York akzeptierte die NATO dieses Verlangen und erklärte, dass sie einen Angriff auf die BRD oder Westberlin als einen Angriff auf die NATO betrachte.

Das war eine Sicherheitsgarantie der NATO für Westberlin, dass aber zu keiner Zeit der Westteil der Stadt Berlin zur NATO gehörte.

Obwohl in den folgenden Jahren nie klar war und die drei Westmächte noch die NATO sich darüber einigen konnten, wie diese Sicherheitsgarantien realisiert werden könnten.
In Anbetracht der konkreten militärischen Lage in Mitteleuropa und angesichts des Kräfteverhältnisses bei den konventionelle Streitkräften - das Übergewicht lag bei der UdSSR - war eine etwaige gewaltsame Umsetzung des Zugangs nach Westberlin von vorn herein nahezu aussichtslos.
Den 12 400 Soldaten und 90 Panzern der Westalliierten in Westberlin standen vier sowjetische Divisionen und eine der NVA gegenüber. Dazu kamen rund 12 000 Mann der Berliner Grenztruppen. Auch die Berliner Kampfgruppen der Arbeiterklasse hatten dabei wichtige Sicherheitsaufgaben zu lösen.

Außerdem barg jede militärische Berlin-Konfrontation das latente Risiko, in einem nuklearen Konflikt zu eskalieren.

Die Transitstrecken von Westberlin nach der BRD durch die DDR boten für beide Seiten viele Möglichkeiten, von Nadelstichen angefangen bis hin zu größeren Provokationen, zu testen was sich die jeweils andere Seite bieten lässt.

Das illustriert eine Episode aus dem Frühjahr 1952 auf dem damaligen Kontrollpassierpunkt (KPP) Drewitz. Der Autor war damals auf dem KPP als Leiter der Grenzkriminalpolizeizweigstelle tätig. Die Zweigstelle bestand aus der Fahndungssachbearbeiterin/weibliche Durchsuchungskraft Hauptwachtmeisterin Inge Echtermeyer und dem Autor.

Die Fahndungskartei befand sich in einer kleinen Baracke direkt an der Autobahn.

Auf dem KPP kontrollierte die Deutsche Grenzpolizei den Personenverkehr und die Kontrolle des Güterverkehrs oblag dem Amt für Kontrolle des Warenkehrs - dem Vorläufer der Zollorgane der DDR.

Sowjetische Soldaten unter der Leitung eines Offiziers übten die Kontrolle über den Verkehr der Westalliierten von und nach Westberlin aus. Von Kontrolle konnte dabei eigentlich kaum eine Rede sein. Die sowjetischen Soldaten zählten nur die Fahrzeuge und die dazu gehörendem Personen. Diese mussten zwecks Zählung neben ihren Fahrzeugen antreten.

Abhängig von der politischen Wetterlage in Deutschland und den jeweils aktuellen Beziehungen zwischen der sowjetischen Besatzungsmacht und den westlichen Besatzungsmächten entwickelten sich bei bei diesen Zählprozeduren mit unter sehr kuriose Spielchen mit mehr oder weniger politisch erstem Hintergrund.
So kam der Autor eines Tages dazu, wie der sowjetische Major einen US-Konvoi an der Weiterfahrt nach Westberlin hinderte, weil angeblich die Zahl der Personen nicht mit der aus Marienborn übermittelten übereinstimmte. Immer wieder ließ der sowjetische Offizier die "GI" an den Fahrzeugen antreten und zählte. Jedes mal kam eine andere Zahl heraus. Das wurde schließlich den Amis zu bunt. Sie bestiegen ihre LKW und weigerten sich, diesem für sie schmählichen Prozedere zu unterziehen. Der Schlagbaum blieb zu. Ein Sowjetsoldat mit Maschinenpistole im Anschlag stand vor dem ersten US-amerikanischen Fahrzeug. Der Major bewahrte stoische Ruhe, zog sich in seine Postenbude zurück, setzte sich demonstrativ ans offenen Fenster und widmete sich, für jedermann sichtbar, der Lektüre eines Buches.

Da die US-Soldaten auf dem Kontrollterritorium keinerlei Bewegungsfreiheit genossen, blieb ihnen nichts weiter übrig, als geduldig auf ihren Fahrzeugen zu sitzen. Das dauerte Stunden.

Hin und wieder erschien der Dolmetscher der Amis am Wachhäuschen der Sowjets, klopfte mit der Frage zaghaft an, wann es denn nun weiter gehe? Der Major wies den Dolmetscher darauf hin, er sei beschäftigt und habe keine Zeit für die Zählung.

Mittlerweile verlief der Verkehr der anderen Fahrzeuge ungestört und den meisten Passanten fiel gar nicht auf, was sich hier im Geiste des Kalten Krieges abspielte.

Der sowjetische Major handelte nicht etwa aus eigenem Antrieb. Er stand ständig mit seinen Vorgesetzten in Berlin-Karlshorst, dem damaligen Sitz der sowjetischen Kontrollkommission, telefonisch in Verbindung.

Während dieser Zeit passierte eine französische Militärkolonne den Kontrollpunkt. Der sowjetische Offizier begrüßte den verantwortlichen französischen Offizier übertrieben freundlich, zählte kurz und winkte dann lässig die Franzosen durch den geöffneten Schlagbaum. Einige der Franzosen schauten mitleidig auf die seit Stunden ausharrenden amerikanischen Kampfgefährten und der eine oder auch andere von ihnen konnte dabei ein hämisches Grinsen nicht unterdrücken.

Dieses Spielchen zwischen der US-Kolonne und den sowjetischen Soldaten dauerte noch eine geraume Weile. Wer weiß denn, was damals der sowjetischen Kontrollkommission in Karlshorst für eine "politische" Laus über die Leber gelaufen war, um ab und zu solche Kontrollschikanen zu inszenieren? Handelte diese dabei etwa auf Weisung Moskaus? Der Gedanken liegt durchaus nahe.

Mitunter löste solch eine Aktion großes politisches Echo aus, und die Tagespresse berichtete darüber. Die sowjetische Seite bewies damit ein mal mehr, dass sie in diesem konkreten Falle am längeren Hebel saß.
Auf einmal ließ der Major den Dolmetscher rufen, sprach kurz und barsch mit ihm. Die US-LKW starteten, der Schlagbaum öffnete sich und die Amis fuhren ohne nochmaliges Zählen in Richtung Westberlin.

Da solche Aktionen gewissermaßen zur Tagesordnung auf dem KKP gehörten, hatten wir Grenzer uns an diese Situation gewöhnt und machten uns auch keinerlei Gedanken darüber, weil es hieß, da seien höhere Interessen im Spiel, die wir nicht übersehen konnten.

Diese Kontroversen konnten aber auch ganz anders ausgehen.
Wieder einmal kam im Sommer 1952 ein US-Konvoi aus Westberlin. Er bestand aus mehreren Fahrzeugen, darunter ein Tieflader, auf dem ein Panzer stand. Aus einem mir nicht bekannten Grunde scherte der Tieflader aus der Kolonne heraus und blockierte die gesamte Fahrbahn. Dadurch kam der gesamte Verkehr aus Westberlin in Richtung Westdeutschland ins Stocken.

Eine wirklich vertrackte Situation, waren wir und auch die sowjetischen Kontrollorgane doch strikt angehalten, dass der zivile Verkehr reibungslos verlaufen sollte.

Zu dem Zeitpunkt befand sich der Autor in der kleinen Baracke, in der die Fahndungskartei untergebracht war. Der Autor wurde durch lautes Geschrei und Rufe in russischer Sprache aufmerksam und folgerte, auf der Autobahn stimmte etwas nicht.

Auf der Autobahn sah er dann das Dilemma: Der US-Tieflader mit Panzer, der die Richtungsfahrbahn sperrte. Daneben der sowjetische Kontrolloffizier in heller Aufregung, der seine Soldaten anblaffte, auf einen US-amerikanischen Offizier und dessen Dolmetscher heftig einredete und mit Händen und Füßen gestikulierte und Zeichen gab, die Fahrbahn endlich freizumachen. Dabei ging sein Blick immer öfter zu seiner Armbanduhr und mit Fortschreiten der Zeit zeigte er sich immer nervöser.

Dazu muss man wissen, dass der Chef der sowjetischen Kontrollkommission seinen Amtssitz in Berlin-Karlshorst hatte und sich in Potsdam-Babelsberg sein Wohnquartier befand. Dieses Quartier lag in einem Areal von hochherrschaftlichen Villen der Vorkriegszeit und war mit einem kilometerlangen Bretterzaun umgrenzt. Die Potsdamer nannten den von der übrigen Stadt abgespaltenen Teil respektlos einfach "Quadrat". In diesem Viertel residierten auch die Chefs der Siegermächte während der Potsdamer Konferenz im Jahr 1945.
Chef der Sowjetischen Kontrollkommission war 1952 der Marschall der Sowjetunion Tschuikow, ehemals Befehlshaber der 8. Gardearmee, die Berlin mit erstürmten hatte.

Fast täglich führt ihn sein Weg von Babelsberg nach Karlshorst über den KPP Autobahn Drewitz. Da ganz Berlin den Viermächtestatus unterlag, konnte der Marschall ungehindert über West- nach Ostberlin fahren.
Sein Konvoi bestand meist aus drei PKW. Vorneweg ein PKW Marke "Popjeda" als Funkwagen mit Blaulicht, dann eine große schwarze Staatskarosse die Luxuslimousine Typ "SIS" und zum Schluss wieder ein "Popjeda!" mit Funk und Blaulicht.

Die sowjetischen Posten auf der Autobahn hatten strengsten Befehl, beim Annähern des Marschalls bei offenem Schlagbaum stramm zu stehen und der Offizier salutierte. Unter jeder Bedingung "Freie Fahrt dem Chef". Meist war Tschuikow auf die Minute genau telefonisch avisiert. So dass die Sowjetischen Soldaten genügend Zeit hatten, für freie Fahrt auf der Autobahn zu sorgen.
An diesem Tag musste der Marschall schon angemeldet gewesen sein, nur so erklärte sich dem Autor die Aufgeregtheit des sowjetischen Majors.
Tatsache, als sich der Tieflader gerade anschickte zu rangieren, um die Bahn freizumachen, näherte sich auf der linken Spur aus Westberlin kommend mit hoher Geschwindigkeit der Popjeda, das Blaulicht blinkte und sein Martinshorn war weithin zu hören. Die rechte Spur war mit haltenden Fahrzeugen des zivilen Verkehrs besetzt, und auf der Spur war noch der Tieflader.

Das heißt Stopp für den Konvoi des Marschalls. Der verflixte Tieflader rangierte noch immer herum. Aus dem ersten Wagen sprang schnell ein Oberst, ging schnellen Schrittes auf den Major zu, zischte den zur Salzsäure erstarrten Kontrolloffizier an und begab sich zum "SIS" des Chefs.
Offensichtlich berichtete er, was er erfahren hatte.

Tschuikow saß mit unbewegtem Gesicht im Fond der Limousine, der Autor stand stand nur ein paar Meter davon entfernt. Der Marschall starrte auf einen imaginären Punkt vor sich hin. Einige quälende Minuten vergingen. Der Tieflader machte endlich den Weg frei.

Die US-Soldaten grüßten militärisch exakt den hohen sowjetischen Militär, der mit etwas erhobener rechter Hand dankte. Tschuikow winkte seinem Oberst, dieser ging dann zum Kontrolloffizier der noch immer unbeweglich an seinem Ort stand, zischte ihn wiederum etwas zu, stieg schnell in den Popjeda und mit aufheulender Sirene und Blaulicht fuhren die drei Fahrzeuge der SKK in Richtung Quadrat,

Kurze Zeit später war der Major abgelöst. Spätere sickerte auf dem kleinen Dienstweg durch, dass der Major einige tausend Kilometer entfernt jenseits des Polarkreises an die nördliche Grenze der UdSSR versetzt worden war.
Man konnte eben nicht einen sowjetischen Marschall auch nur einige, wenige Minuten warten lassen.
Die Uhrzeit und viele andere Umstände dieses Zwischenfalls zeigten, das alles war kein Zufall sondern stabsmäßig von den US-Behörden exakt organisiert.
Dem Autor kam später der Verdacht auf, ob sich die Amis mit diesem gelungenen Streich nicht etwa für eine ihnen zugefügte Schikane revanchiert hatten.
Das war Kalter Krieg auf unterer Ebene.

 

Die Berlin-Krise begann am 27. November 1958.

Der sowjetische Partei- und Regierungschef Chruschtschow kündigte den Viermächtestatus für Berlin auf und forderte im Interesse der Erhaltung des Friedens die Entmilitarisierung Westberlins.

Hier den gesamten Umfang der Berlin-Krise dazulegen würde zu weit führen.

Um den Forderungen der UdSSR Nachdruck zu verleihen, organisierten sowjetische Dienststellen an der Transitstrecke Westberlin /BRD Behinderungen von US-amerikanischen Militärfahrzeugen. Daraufhin befuhren bewaffnetet westalliierte Militärkonvois die Transitstrecken um die sowjetische Haltung und Reaktion zu testen.

Anfang 1959 ließ die sowjetische Seite erkennen, dass sie keinen allgemeinen Krieg wollte und unterließ ihre Störmaßnahmen.

Als Schlussfolgerung und Reaktion auf die Störungen des westalliierten Militärverkehrs von und nach Westberlin schufen die drei Westmächte eine Organisation die künftig Gegenmaßnahmen in etwaigen Krisen vorbereiten und koordinieren sollte.

 

Welche Funktion hatte "Live Oak"?


Zur besseren Handhabung westlicher Reaktionen im Falle künftiger Berlinkrisen installierte man ein Vierergremium aus den drei westalliierten und dem deutschen NATO-Botschafter.

Eingedenk des realen militärischen Kräfteverhältnisses wollte man vor allem sicherstellen, das bei entsprechender Lage ein Signal westlichen Zusammengehens an die UdSSR gerichtet werden konnte.

Während sich USA und Frankreich in dieser Frage einig waren zeigte sich Großbritannien als eine Schwachstelle, weil die Briten wenig Bereitschaft aufwiesen, für Westberlin ein Risiko einzugehen. Auch Bonn traute man hier wenig zu. Was die übrigen NATO-Mitglieder betraf , informierte man sie spärlich, da sich andeutete, dass diese ebenfalls Konsquenzen hinsichtlich militärischer Maßnahmen gegenüber der UdSSR vermeiden wollten. 

Als Vorwand diente ein weiterer Zwischenfall auf der Transitstrecke. Die US-Seite verabredeten daraufhin im März 1959 mit ihren britischen und französischen Partnern die Schaffung eines eigenen Stabes für Westberlin unter dem Namen "Live Oak".

Nur im Falle eines Bedarfes sollten auch deutsche Fachleute hinzugezogen werden. In den Stab wurden diese aber nicht eingebunden. Die Festlegung wurde am 4. April 1959 getroffen.  

Diese Planung wurde bis 1991 streng geheim gehalten. Auf der anderen Seite sorgte man aber auch dafür, dem sowjetischen Geheimdienst über Dritte von diesem Stab zu informieren, um die westliche Entschlossenheit zu bekunden.

 

Die Rolle der NATO


"Live Oak" war keine Institution der NATO.

Sie wurde als eine Organisation der drei Westalliierten geschaffen. Die BRD nur begrenzt einbezogen.

Die NATO sollte wichtige Maßnahmen, die entsprechend der Planung von "Live Oak" getroffen wurden, mit ihrer Kommandostruktur realisieren.

In den drei obersten NATO-Kommandobehörden Supreme Allied Command Atlantic, Supreme Command Allied Europe und Allied Command Channel waren Einsatzpläne für die militärische Sicherheit Westberlins hinterlegt. Sie beinhalteten im Falle einer Berlinkrise oder eines anderweitigen militärischen Konfliktes der mit Westberlin in Verbindung stand, den Einsatz erheblicher Kräfte aller NATO-Staaten.

Dabei wurden die nicht an "Live Oak" eingebunden NATO-Mitglieder nur sehr beschränkt informiert. Das traf auch auf den westdeutschen Verbindungsoffizier zu. Er erhielt zunächst keinerlei Einblick in die "Live Oak"-Dokumente. Erst nach dem 13. August 1961 ließ man einen deutschen Beobachter im "Live Oak"-Stab zu. Die NATO Einsatzpläne bezüglich Berlin sind inzwischen veröffentlicht, während man sich mit den "Live Oak"-Plänen bedeckt hält.
Chef von "Live Oak" war der Supreme Allied Commander Europe (SACREUR). Der erste in dieser Dienststellung war US-General Lauris Norstad.

Der Autor hatte Gelegenheit, bei einem Besuch als Gast der "Atlantischen Gesellschaft" mit Militärhistorikern der DDR und ihm als Militärjournalisten 1992 das "SHAPE" zu besuchen.

Dabei zeigte ihnen der Betreuer der Oberstleutnant der Bundeswehr Riecke, ein etwas abseits gelegenes Objekt. Es fiel auf, dass dieser Gebäudekomplex - obwohl auf dem gut abgeschirmten Terrain des SHAPE plaziert - noch zusätzlich scharf gesichert wurde. Wir konnten es nur auf ca. einhundert Meter Entfernung sehen.

Oberstleutnant Riecke erklärte uns, dieses sei das "Berlin-Kommando". Bis zum Abschluss des 2 plus 4 - Vertrages war hier ein militärischer Stab etabliert, "mit ständigem heißen Draht" von Westberlin zum SHAPE. Hier war man auf alle Eventualitäten betreffs Westberlin vorbereitet. Es existierte eine Luftbrücke in Reserve , mit ständig startbereiten Flugzeugen auf Flugplätzen und auch Feldflugplätzen. Notwendige Truppen waren eingeplant. Den Begriff "Live Oak" nannte der Oberstleutnant aber nicht.

 

Konkrete Maßnahmen von "Live Oak"


Die Aktionen - bei einer neuen Blockade von Westberlin seitens der Sowjetunion - die realisiert werden sollten, sahen Folgendes vor:

Es sollte mit leichten Kräften begonnen werden und mit dem eventuelle Einsatz von Kernwaffen enden.

Es waren Maßnahmen entlang der Transitwege nach Westberlin geplant und eine Truppenverstärkung durch die NATO-Staaten in Europa.

Des weiteren sollten maritime Druckmittel gegen die UdSSR eingesetzt werden bis zum äußersten Fall ein allgemeiner Krieg vom Zaune gebrochen werden.
Beim Stoppen alliierter Militärfahrzeuge auf der Transitstrecke Helmstedt/BRD nach Westberlin, wollte man einen Militärkonvoi auf den Weg schicken, der die Aufgabe hatte, sich durchzusetzen, bis es zum Schusswaffengebrauch der Sowjetarmee käme.

Der erste Testkonvoi sollte unbewaffnet sein. Aufklärungsfahrzeuge sollten einen weiteren begleiten, aber ohne Panzer. Man wollte nicht unnötig provozieren. Daran sollten nur Militärs der drei Westalliierten beteiligt sein. Die Westalliierten behielten sich dabei den Entschluss für solch eine folgenschwere aber noch begrenzte Aktion vor.

Des weiteren sollte eine zeitweilige Luftbrücke installiert werden und eine Seeblockade für den Verkehr auf der Ostsee in Betracht gezogen werden.
Die US-Seite kalkulierte, diese Maßnahmen würden die sowjetischen Streitkräfte zwingen, ihrerseits das Feuer zu eröffnen. Es wäre dabei ein Wagnis einer nicht vorhersehbaren Eskalation verbunden. Die US-Militärs spekulierten, dass es die sowjetische Seite nicht darauf ankommen lassen wollte. Die Briten konnten sich dieser Auffassung nicht anschließen.

In diesem Punkt kam es zu einer dauerhaften Meinungsverschiedenheit zwischen den Westalliierten.

Es gab auch Streit darüber, wie schnell man im Falle des Scheiterns der militärischen Aktionen Nuklearwaffen einsetzen würde. US-Präsident Kennedy war für ein langsames Vorgehen, während die US-Militärs für eine schnelle Eskalation waren.

Man sieht, es war wahrlich ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, welches aller Wahrscheinlichkeit nach auch für die Brandstifter verheerende Folgen gehabt hätte.

 

Neben den Plänen von "Live Oak" existierten aber auch noch Pläne der drei oberen Komandostäbe der NATO. SACEUR verfasste 1962 einen Plan Bercon (Berlin Contigency Planing). Er beinhaltete verschiedene Pläne der Land- Luft- und Seekriegsführung bis hin zum demonstrativen Einsatz von Atomwaffen. Doch bei dem "demonstrativen Einsatz" von Kernwaffen wäre es sicherlich nicht geblieben. Auch die Gegenseite hätte dann Nuklearwaffen eingesetzt.

Welche Abenteuerlichkeit und Gefährlichkeit steckten in den Plänen von SACEUR und "Live Oak"?

 

Auf etwas Gegensätzliches sei in diesem Kontext noch hin gewiesen: Die NATO-Pläne sahen den Einsatz der Bundeswehr vor, in der Aktion von "Live Oak" war solch ein Einsatz nicht geplant.

Bundeswehroffiziere waren zunächst nur begrenzt informiert und erhielten keine schriftlichen Unterlagen. Später lockerte man diese Restriktionen. Interessant ist: Die Westalliierten sahen in einer direkten Beteiligung der Bundeswehr an den Operationen von "Live Oak" ein politisches Risiko.
Welche Pläne im Falle eines Konfliktes um Westberlin oder bei einer direkten Aggression der NATO gegenüber des Warschauer Vertrages zum tragen gekommen wären, bleibt hier einmal dahingestellt. Nicht alle Dokumente dazu liegen offen auf den Tisch. Die reale Lage beim Ausbruch eines Krieges zwischen NATO und Warschauer Vertrag hätten noch ein übriges getan.

 

Die Berliner-Operation (Berliner Gruppierung) des Warschauer Vertrages


Man muss davon ausgehen, dass sich der sowjetische Generalstab schon vor 1950 mit der militärischen Rolle Westberlin befasste. Darüber ist der Öffentlichkeit bisher nichts bekannt oder es wurde einfach noch nicht untersucht.

Generaloberst a. D. Fritz Streletz, ehemals Chef des Hauptstabes der NVA (1979 -1989) und Stellvertreter des Ministers und Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates (1971 - 1989) schrieb: "Dass es seit Anfang der 50er Jahre keine Zonengrenze mehr gab, (sondern) ein nach sowjetischem Muster tief gestaffeltes Grenzsicherungssystem ist unbestritten." (Für die Grenze der DDR zu Westberlin am Außenring galt in Vielem bis 1961 auch dieses Modell der sowjetischen Grenzsicherung.)

Dafür waren zwei Gründe ausschlaggebend: "1. die Verschärfung des Kaltes Krieges, 2. die veränderten strategische Ansichten der Sowjetunion, die zur Verlagerung der ersten strategischen Verteidigungslinie auf die Elbe-Werra-Linie Anfang der 50er Jahre führte."

Vorher galt als erste strategische Verteidigungslinie die Oder-Neiße-Linie.

Wenn zu der Zeit Westberlin im Vorfeld des ersten Verteidigungsstreifen lag und schon damals als Spionage- Sabotage- und Subversionszentrum gegen den Warschauer Vertrag fungierte und sich immer mehr zum militärischen Brückenkopf der NATO entwickelte, änderte diese Entscheidung der UdSSR die strategische militärische Rolle Westberlins.
Nun lag dieses besondere politische Gebilde im Herzen und auf dem Territorium der DDR rund 160 Kilometer hinter der Staatsgrenze der DDR zur BRD, also hinter dem ersten strategischen Verteidigungsstreifen.

 

In der westlichen Propaganda galt Westberlin als "Pfahl im Fleisch der DDR", Westberlin die "billigste Atombombe oder "Tor zum Osten".

In der Praxis sah das so aus: Das militärische Potential der drei Westalliierten samt ihren deutschen Hilfskräften erwies sich als ein in das militärische Kalkül einzubeziehender Faktor in der militärischen Planung des sowjetischen Generalstabes.

Im Kriegsfall - bei einer Aggression der NATO - hätte ein von drei militärischen Brigaden verteidigtes Westberlin tief im Rücken der Vereinigten Streitkräfte, in der Nähe vieler Nachschub- und Marschstraßen ein nicht akzeptables Risiko dargestellt. Dazu kam: Eine wirksame Blockade Westberlins hätte auch starke militärische Kräfte und Mittel der Vereinten Streitkräfte gebunden, die eigentlich an der 160 Kilometer weit entfernte Westfront benötigt wurden.

Es lag also klar auf der Hand, solche Mittel und Wege zu finden das beträchtliche militärische Potential - bestehend aus rund 12 000 Berufssoldaten der westlichen Allierten, die auf vielen Kriegsschauplätzen nach 1945 Kampferfahrungen sammelten - umgehend auszuschalten. Diese Kräfte waren modern ausgerüstet und gut ausgebildet im Straßen- und Häuserkampf, entsprechend dem eventuellen künftigen Kriegsschauplatz Westberlin.

Die Eliminierung dieser Kräfte im Kriegsfalle hätte die Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages in die Lage versetzt, die dann verfügbaren Kräfte in der entscheidenden Westrichtung einsetzen zu können.

Hier sei dem Autor ein Einschub gestattet: Heute gibt es noch ehemalige verantwortliche hohe Offiziere des Grenzkommandos Mitte und des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR - die vertraut mit den Plänen der Berliner Operation sind. Ob sie mit dem gesamten Umfang dieser Operation oder nur mit Details dazu bekannt gemacht wurden oder nur mögliche Varianten zur Einsicht bekamen, sei hier einmal dahingestellt.
Diese hohen Militärs der NVA und der Grenztruppen der DDR hüllen sich in Schweigen, weil sie sich nach wie vor zur Geheimhaltung verpflichtet fühlen.

Ihr Argument, mit der Veröffentlichung dem politischen Gegner Wasser auf seine Mühlen zu geben ist, haltlos.

Das ist bedauerlich, weil damit die Meinung verstärkt wird, die heutige russische Militärführung habe Grund ihre damaligen Absichten und Pläne zu verschweigen. So wird beigetragen, dass sich alte noch im Westen vorhandene Abneigungen und Vorbehaltungen weiter bestehen bleiben und der Außenpolitik Russlands nach wie vor ein latentes Misstrauen entgegenschlägt.

Markus/Rudolph meinem dazu in ihrem Buch "Schlachtfeld Deutschland" (S.34): "Solange die damaligen realen Planungen aus Geheimhaltungsroutine oder Angst vor politischer Bloßstellung unter Verschluss gehalten werden, kann der Verdacht der Unaufrichtigkeit nicht ausgeräumt werden."
Der Gegner macht - aus teilweise dubiosen Quellen schöpfend, aber auch auf Dokumente gestützt - sowieso das, was er will. Eigentlich brauchte uns das auch gar nicht interessieren. Wir müssen dagegen unser Wissen darlegen, mit historischen Fakten belegen und Zeitzeugen nützen.

 

Das Festhalten an der Geheimhaltungsverpflichtung ist mit Verlaub gesagt, horrender Nonsens!

Die DDR existiert seit 25 Jahren nicht mehr!
Die Parteiführung und Regierung der UdSSR unter Führung des Generalsekretärs der KPdSU und Präsidenten der Sowjetunion Gorbatschow, hat 1990 die DDR wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen.

Bündnisse, Verträge und alle "brüderlichen" Treueschwüre zählten nicht mehr. Auch hohe sowjetischen Militärs - ob sie es nun subjektiv wollten oder nicht - erwiesen sich als willfährige Handlanger diese schmählichen Verrats.
Wie schon gesagt vieles liegt aus verschiedenen Gründen wohl verwahrt noch in den Geheimarchiven in Ost wie West.

 

Der Verfasser will sich nicht an Spekulationen beteiligen oder gar vage Vermutungen verbreiten. Hier soll an Hand schon jetzt vorliegender Fakten Zusammenhänge und Hintergründe aufgezeigt werden, die die Berliner Operation betreffen.

So wurde vom 8. bis 17. Juni 1966 ein operativ- strategisches Kriegsspiel oder auch Kommandostabsübung, der Vereinten Streitkräfte unter Leitung des Marschalls der Sowjetunion Malinowski - seinerzeit Verteidigungsminister der UdSSR - durchgeführt. Das entsprach den zwischen den Vertragsstaaten vereinbarten "Plan der gemeinsamen Maßnahmen".
Daran waren beteiligt: Ein operativer Stab der NVA der DDR. Diese Teilnahme an einer Ausbildungsmaßnahme dieser Größenordnung war für die DDR erstmalig. Dem operativen Stab der NVA gehörten operative Gruppen des Kommandos der Luftstreitkräfte/Luftver- teidigung und  der Volksmarine an.

Die Landstreitkräfte der NVA wurde damals bis Ende 1972 noch direkt vom Ministerium für Nationale Verteidigung geführt.

Der NVA wurden in dieser Übung folgende Forderungen gestellt: Entschlussfassung für die gemeinsamen Handlungen zur Eliminierung der drei Westalliierten Berliner Brigaden und die Berliner Operation der Vereinten Streitkräfte zu planen. Daran waren beteiligt operative Stäbe aller Teilstreitkräfte der Sowjetarmee, der Polnischen Armee, der Tschechoslowakischen Volksarmee und der operative Stab der NVA.

"Das Ziel des Kriegsspiels bestand darin, den Platz, die Rolle und die Aufgaben der Vereinten Streitkräfte und ihrer nationalen Kontingente anschaulich darzustellen."

Dieses Kriegsspiel ließ eines vermissen: Der Minister für Nationale Verteidigung Hoffmann, konnte es nicht durchsetzen, dass neben den anderen Teilstreitkräften der NVA, auch eine operative Gruppe des Kommandos der Grenztruppen der NVA beteiligt wurde.

Doch der Auftrag an die Berliner Grenztruppen , die Teilnahme an der militärischen Besetzung Westberlins zu üben, stand nun fest. Denn im Jahresbefehl des Ministers für das Jahr 1969 für die Grenztruppen Berlin 101/69 war unmissverständlich festgelegt: Die Fähigkeiten der militärischen Kräfte der Stadtkommandantur Berlin, zu der die Berliner Grenztruppen damals zählten, im Straßen- und Häuserkampf zu verbessern. Die Ausbildung der Truppen " ist systematisch fortzuführen".
Im Befehl 101/71 forderte der Minister Ähnliches und wandte sich vor allem an die Artilleriekräfte sowie an die Pioniere sich beim "Forcieren von Wasserhindernissen mit Steilufern sowie von Kanälen" weiter zu qualifizieren.

Da ein Alleingang der Berliner Grenztruppen im Falle Westberlins niemals in Frage gekommen wäre und dazu auch gar nicht in der Lage war, muss man schlussfolgern, im Bedarfsfall hätten die Berliner Grenztruppen als Teil der "Berlin-Gruppierung" der Vereinten Streitkräfte zu handeln.

Diese militärische Einsatzvariante sah vor, die Truppenteile der Berliner Stadtkommandantur und später des Grenzkommandos Mitte Im Zusammenwirken mit der NVA und sowjetischen Streitkräften handeln zu lassen.

Anfang der achtziger Jahre wäre folgende Variante möglich gewesen: Die 1.Mot-Schützendivision der NVA - stationiert in Potsdam und Umgebung, Stahnsdorf, Oranienburg und Brandenburg Lehnitz und Panzerregiment- 1, Ausbildungsbasis Beelitz - alles in Berlin-Nähe.

Das Grenzkommando Mitte mit sechs Grenzregimenter und zwei Grenzausbildungsregimenter, ein Ausbildungsbataillon des Grenzausbildungsregiment 5 vom Grenzkommando Nord, welches in Potsdam stationiert war. Dazu kamen zu der Zeit die dem Grenzkommando Mitte unterstellten Truppenteile und Einheiten: Artillerieregiment 26, Geschosswerferabteilung 26, Nachrichtenbataillon 26 eine amphibische Pionierkompanie mit Übersetzmitteln.
Auch Teile des Luftsturmregimentes 40 - Lehnin, die Artilleriebrigade 40 (NVA), Teile des Transpothubschraubergeschwaders 34, Teile der Pionierbrigade 2 (NVA) und andere bewaffnete Kräfte wie Bereitschaftspolizei und Kampfgruppen waren vorgesehen.

Wie gesagt das war eine Möglichkeit. Ob sie jemals so realisiert worden wäre, sei einmal dahingestellt.

1985 wurden das Artillerieregiment, die Geschosswerferabteilung, das Nachrichtenbataillon von den Berliner Grenztruppen zu den Landstreitkräften der NVA um unterstellt. Auf den ersten Blick konnte man schlussfolgern : Die Grenztruppen verloren damit einen wichtigen Teil ihrer Feuerkraft und ihrer Führungsfähigkeit.

Genau besehen verhielt es sich aber anders. Diese betreffenden Kräfte standen nun unter Führung des Kommandos der Landstreitkräfte der NVA weiter der Berliner Gruppierung zur Verfügung. Für diese Kräfte verbesserte sich die logistische Versorgung und auch die waffentechnische Sicherstellung.
Die Truppen des Grenzkommandos Mitte behielten noch genügend schwere Waffen und Ausrüstungen, um an der Berliner Operation mitzuwirken.

Es ergab sich auch noch ein weiterer Vorteil. Nach erfolgreicher Besetzung Westberlins waren diese Einheiten im Verbund mit den Landstreitkräften der NVA beweglicher einzusetzen, als es im Bestand der Grenztruppen möglich gewesen wäre. Sie standen danach voll und ganz der Westfront im Rahmen der 5. Armee der NVA zur vollen Verfügung.

In die Berliner Operation waren auch sowjetische Truppenteile einbezogen. So unter anderen die 6. selbstständige Garde-Mot-Schützenbrigade, modern ausgerüstet, mit gepanzerten Fahrzeugen der Typen BTR und BMP und modernen Panzern, stationiert in Berlin-Karlshorst.

Zu dem bisher behandelten Komplex sind einige nachdenkenswerte Bemerkungen hinzuzufügen.

Die Bezeichnung "Berliner Gruppierung" wurde im Rahmen des MfNV der DDR gebraucht. Damit wurden die Truppenteile der NVA , der Grenztruppen der DDR (Berlin) und dem Ministerium direkt unterstellten Truppenteile (z.B. das Luftsturmregiment 40 in Lehnin, die Artilleriebrigade 40 u. a.) sowie sowjetische Streitkräfte bezeichnet.
Beispiel: Die in Potsdam stationierte 1. Motorisierte Schützendivision die eigentlich Strukturelement der 5. Armee der NVA war, gehörte nur im Frieden und nach der militärischen Besetzung von Westberlin zu dieser Armee. Im militärischen Konfliktfall um Westberlin stand sie voll und ganz nur der Berliner Gruppierung zur Verfügung.

 

Interessant in diesem Kontext ist auch die Streitkräfteplanung im Rahmen des Warschauer Vertrages.

Bereits in den 1960er Jahren war zu erkennen, dass bei den Berliner Grenzsicherungskräfte sich eine Entwicklung abzeichnetet, die sich deutlich von der Entwicklung der Grenztruppen an der Staatsgrenze West unterschied.

Die Berliner Grenztruppen behielten ihre schwere Waffen - diese wurden sogar bis in die 1980er Jahre modernisiert - während von der Westgrenze die schweren Waffen Anfang der 1960er Jahre abgezogen wurden. Keiner konnte das bis heute erklären!

Die Grenztruppen an der Staatsgrenze West wurden so gewissermaßen zu einer Art "leichter Infanterie" modifiziert.

Diese prägnante Entwicklung der Berliner Grenztruppen kann als deutlicher Hinweis darauf gewertete werden, dass diese Truppenteile fest in der militärischen Planung der sowjetischen wie der DDR-Führung verankert waren.
Das Oberkommando der Vereinten Streitkräfte plante und kontrollierte alle kriegsrelevanten Kräfte des Warschauer Vertrages. In bilateralen Verhandlungen zwischen dem Oberkommando der Vereinten Streitkräfte und dem jeweiligen Verteidigungsministerium wurden diese Zahlen festgelegt.

So heißt es im zweiseitigen Protokoll (DDR/UdSSR) für die Planungsperiode 1971 bis 1975: "Die Grenztruppen sind mit Ausnahme von neun Regimentern der Stadtkommandantur Berlin (12 000 Mann) in dieser Stärke (d.h. der im Protokoll vereinbarten Kräfte der den VSK durch die DDR zur Verfügung stellenden) nicht enthalten."

In Hinsicht auf die "militärische Grenzsicherung" an der Staatsgrenze West lässt das schon einige Fragen offen.
Das Oberkommando der Vereinten Streitkräfte plante unter Anleitung des sowjetischen Generalstabes Struktur, Ausrüstung und Ausbildung von bis zu zwei Millionen Soldaten.

Was waren da schon 12 000 Mann der Berliner Grenztruppen? Diese Truppenteile wurden jedoch im Protokoll des OKVSK und dem MfNV fest eingeplant. Diese ca. 12 000 Mann umfassende Truppe waren an einem entscheidendem Brennpunkt schon vor Ort - rund um den NATO-Brückenkopf Westberlin.

 

Was mit den mehreren Zehntausende Mann umfassende Grenztruppen an der Staatsgrenze West im militärischen Konfliktfalle geschehen sollte, geht aus diesen Protokollen nicht hervor.

Darüber zu spekulieren, lehnt der der Autor ab.

Hing das etwa damit zusammen, dass seit Anfang der siebziger Jahre die Grenztruppen der NVA in Grenztruppen der DDR umbenannt wurden?

Sie aus gewichtigen politischen Gründen gemäß den Verhandlungen über Abrüstung nicht mehr zur NVA zählten?

Oder wollte man mit dem neuen Status bei einer eventuellen militärischen Auseinandersetzung mit der BRD und damit der NATO von vornherein die Schwelle niedrig halten, um nicht gleich die NVA und GSSD da hinein zuziehen?

Das sind nur einige Fragen die offen im Raum stehen und von unserer Seite aus noch nicht gründlich erforscht wurden.

Überhaupt wäre es interessant für Historiker und andere daran Interessierte zu erfahren, welche konkreten Aufgaben den Grenztruppen im Kriege an der Staatsgrenze West zugedacht waren.
Verteidigung in Stützpunkten und Entfaltung aus den Objekten heraus. Doch damit soll es zu diesen Fragen genug sein.

 

Wenden wir uns wieder der Berliner Operation zu.

Nicht nur Militärs in Moskau und Straußberg befassten sich mit der Operativen Planung bezüglich Westberlins.

Auch NATO-Stäbe (siehe Operation Live Oak) und das Bundesverteidigungsministerium auf der Hardthöhe in Bonn waren damit beschäftigt.
Das wird von Texten belegt, die 1996 bis 1998 in der BRD erschienen. So: Sean M. Maloney, Zeitschrift "Militärgeschichte" 1/97, Titel -,"Notfallplanung Berlin..."), und Oberst i.G. Jeschonnek, Zeitschrift "Barrett" 4/96, 1/97 und 1/98, Titel; "militärische Krisen und Kriegsplanungen für Berlin...".

Papiere und Dokumente der NATO hatten durchaus Einfluss auf die Operative Planung. So u.a. der Beschluss von Montebello vom Oktober 1983, der die Modernisierung der taktischen und operativ-taktischen Kernwaffen der NATO, das Luft-Land-Kriegsführungssystem der NATO zum Inhalt hatte.

Das und die Aufklärungsergebnisse der DDR sowie viele grenznahe Manöver der Bundeswehr mit NATO-Partnern führte zwangsläufig zur Bildung einer "Besonderen Gruppierung" unter der Führung des Chefs des Stabes des Kommandos der Landstreitkräfte.

In der Autobiografie des damaligen Kommandeurs der 1. MSD, Generalmajor Hans-Georg Löffler kann man dazu folgendes erfahren: "Im Frühjahr 1984 meldete ich mich... zur Einweisung in eine 'besondere Aufgabe' im Hauptstab der NVA. "Dort wurden wir über die Einhaltung der Wahrung militärischer Geheimnissen belehrt, was in einem besondere Protokollbuch schriftlich quittiert wurde.
"Es ging um die Erarbeitung der Operativen Planung "Stoß" und die Formierung der dafür benötigten Kräfte und Mittel, eben als 'Besondere Gruppierung' bezeichnet."

In einem kleineren Gebäude, das sogenannte Weiße Haus "erhielten" wir "an einem etwa 12 mal 12 Meter großen Modell mit dem Westteil Berlins eine spezielle Einweisung.
Ausgerüstet mit einem Stadtplan von Berlin und einem Handbuch mit den 'Angaben über die bewaffneten Kräfte in Westberlin' fuhren wir in unsere Standorte zurück." Zum Schluss wurden wir noch einmal auf die strikte Geheimhaltung hingewiesen.

In nächster Zeit erfolgte nach dieser Einweisung "Erkundungsfahrten (Rekognoszierung) entlang der Grenze zu Westberlin. Kommandeure der einzelnen Grenzregimenter machten uns mit den Besonderheiten diesseits und jenseits der Grenze bekannt....

Bis zum Herbst 1984 erarbeiteten wir in Kleinen Weißen Haus in Strausberg gut abgesichert, die Operative Planung für die 'Besondere Gruppierung'".
"Die 1. MSD gehörte in Friedenszeiten zum Bestand des Militärbezirkes V. Jedoch mit Auslösung der Alarmstufe 'Gefechtsbereitschaft bei Kriegsgefahr' oder auf besondere Weisung endete dieses Unterstellungsverhältnis, und die 1. MSD gehörte zum Bestandteil der 'Besonderen Gruppierung'."
Zur Überprüfung der Ausarbeitungen wurde am 17. November 1984 gegen 19.00 Uhr... Alarm ausgelöst. Stäbe, Verbände und Truppenteile der 'Besonderen Gruppierung', ausgenommen die Einheiten der Polizeibereitschaften und Kampfgruppen, wurden durch den Chef des Hauptstabes der NVA mobilisiert." Der Zeitpunkt war ungewöhnlich, ein Novum in der Geschichte 'Alarmierung der Verbände'. Wir wurden überrascht. Es blieb beim Alarm."

Löffler erwähnt die Grenztruppen Berlin nicht. Entweder waren sie nicht einbezogen oder er macht es bewusst.

"Erst im Sommer 1985 und 1986 erfolgten entsprechende Übungen mit der Tarnbezeichnung 'Bordkante 85' und 'Bordkante 86', an denen ich als Kommandeur der 1. MSD teilnahm. Die Kommandostabsübungen erfolgten im Raum Magdeburg.
Seit Anfang der 70er Jahre nutzten die Mot.-Schützenregimenter der 1. MSD für die Ausbildung im Orts- und Häuserkampf die gut ausgebauten Anlagen auf dem Truppenübungsplatz der Grenztruppen Streganz und auf dem Übungsplatz des Ministeriums des Inneren in Belzig.
Nunmehr wurde jedoch angewiesen, dass die Landstreitkräfte und somit die 1.MSD ein eigenes Orts- und Häuserkampfobjekt haben müssen....

Auf dem Truppenübungsplatz Lehnin bei Potsdam wurde ein 'Häuserkampfobjekt' errichtet... "
"Nach meiner Kenntnis hätte unsere 'Besondere Gruppierung' zwar Westberlin im Krisenfall blockiert, aber im Falle einer Aggression der NATO hätten es die 35. MSD (Krampnitz), Teile der 90. Garde-Panzerdivision (Bernau) und die 6. selbständige Mot.-Schützenbrigade (Berlin-Karlshorst), also ausschließlich sowjetische Truppen besetzt." Soweit Löffler.

 

Von dem Beitrag der Berliner Grenztruppen an der Berlin Operation kein Wort.

Die noch lebenden Zeitzeugen aus den Grenztruppen schweigen nach wie vor. Schade!

Spekulationen und Mutmaßungen zum Thema bringen die Sache nicht weiter.

 

Es besteht Gesprächsbedarf. Auch ehemalige Angehörige des MfNV vor allem der Generalität könnten hier zur Aufklärung beitragen.

Auch im Buch "Schlachtfeld Deutschland" von Markus/Rudolph werden die Grenztruppen im Hinblick auf Westberlin nur mit einem Satz behandelt.
Siegfried Lautsch, Leiter der Operativen Abteilung im Militärbezirk V - von 1983 bis 1986 an der Ausarbeitung der streng geheimen Einsatzoptionen beteiligt - behandelt in der Planung der 5. Armee der NVA die Aufgaben der Grenztruppen Berlin und den an der Westgrenze stationierten Grenztruppen nur marginal.

 

Man sieht, vieles Wissen über die Berliner Operation besteht nur aus Fragmenten. Alles andere wäre Spekulation. Es gibt solche Deutungen aber auch andere Meinungen und Standpunkte.

Erst wenn alle Dokumente auf beiden Seiten zur Berlin Operation öffentlich zugänglich sind, wird es Klarheit geben. Doch diese dann vorhandene historische Sicht wird einen großen Mangel haben: Es fehlen die Zeitzeugen. Die Gedanken und Erfahrungen der Planer und Macher, die daran persönlich beteiligt waren. Das wird ein nicht zu ersetzendes Manko in der Geschichtsschreibung ergeben.

 

Immer wieder wird in Diskussionen die Frage gestellt. warum waren die Grenztruppen an der Grenze zu Westberlin spezifisch, militärisch ausgerüstet und bewaffnet?
Das ergab sich aus der Doppelfunktion:

Einmal der zuverlässigen Sicherung der Grenze und zum anderen aus den Aufgaben die sie im Falle eines militärischen Konfliktes um Westberlin oder bei Ausbruch einer NATO-Aggression zu erfüllen hatten.

Dem entsprechend waren die Berliner Grenztruppen gegenüber den an der Staatsgrenze West dislozierten Grenztruppen anders strukturiert, ausgerüstet und bewaffnet.
Ab 1963 wurden hier im Bereich der Stadtkommandantur Berlin Grenzregimenter mit je fünf Grenzkompanien und Stabseinheiten gebildet, zuzüglich einer schweren Grenzkompanie. Die Grenzkompanien unterstanden direkt ohne zwischen geschaltete Bataillonsstäbe,dem Kommandeur des Grenzregimentes.
Die schweren Grenzkompanien waren mit 6 Granatwerfer 82 mm, 3 Panzerabwehrkanonen 57mm und 3 rückstoßfreie Geschütze 106 mm bewaffnet. In den beiden Grenzausbildungsregimenter (GAR) befanden sich jeweils im 18 Granatwerfer 120mm, 18 Feldkanonen k-42 mit 76 mm, 1970 abgelöst durch Haubitzen H-38 122 mm.
Ab 1971 bis 1990 - Grenzkommando Mitte - waren dann in jedem Grenzregiment jeweils 6 Granatwerfer 120 mm und 6 Divisionskanonen D44- 85 mm vorhanden.Die zwei GAR waren ebenfalls mit 6 Granatwerfer 120 mm und 6 Kanonen 85 mm bewaffnet.
Die Grenzkompanien waren durchgängig mit der Maschinenpistole AK47, ( verschiedene Versionen), dem leichten Maschinengewehr K, Pistole Makarow, Panzerbüchse RPG 2, später RPG 7 bewaffnet. Dazu kamen Handgranaten, Leuchtpistolen sowie Handsignal- und Handleuchtzeichen. Außerdem existierten in den Grenzregimentern Flammenwerfergruppen, ausgerüstet mit dem Tornisterflammenwerfer LPO-50.
Zum Artillerieregiment und anderen Einheiten wurde schon oben das notwendige gesagt.
Die Grenzregimenter waren voll motorisiert und hatten als Gefechtsführungs- und Aufklärungsfahrzeuge den schwimmfähigen Schützenpanzerwagen ungarischer Produktion PSH seit 1970 ( ca. 570 ) im Bestand.
Auch diverse Pioniertechnik, wie Übersetzmittel, Begleitbrücken und anderes dienten zur Sicherstellung der militärischen Aufgaben.
Regelmäßig wurden in den Straßen- und Häuserkampfkomplexen auf denTruppenübungsplätzen die Grenzsoldaten in dieser schwierigen Kampfart ausgebildet.

 

Mit dieser Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung und einer Personalstärke von rund 12 000 Mann, war das Grenzkommando Mitte durchaus in der Lage, an der militärischen Einnahme von Westberlin (Berlin-Operation) - im engen Zusammenwirken mit der sowjetischen Armee und der NVA - aktiv teilzunehmen.

Vom 10. - 14. Dezember 1973 fand eine Kommandostabsübung unter der Bezeichnung "Turnier" mit dem Thema, "die Organisation und Führung von Gefechtshandlungen zur Einnahme einer Stadt in der Grenzzone durch eine gemischte Gruppe ohne Einsatz von Kernwaffen, die Herauslösung der MSD nach Einnahme der Stadt zur Erfüllung weiterer Aufgaben und die Organisation und Besetzung der Stadt durch Kräfte und Mittel der Grenztruppen statt".

Erst 1985/1986 erfolgten erste Truppenübungen mit der Tarnbezeichnung "Bordkante 85" und "Bordkante 86". Nach Löffler waren das aber nur Kommandostabsübungen.

Aber schon vorher wurden in der militärischen Ausbildung und in Kommandostabsübungen mit den Stabsoffizieren der Stadtkommandantur Berlin solche oder auch ähnliche Themen in verschiedenen Varianten durchgespielt.
Der Autor erinnert sich an eine Übung, in der die Aufgaben der Grenztruppen geteilt dargestellt wurden. Zum einen, ein bestimmter Teil der Grenztruppen nahm an der militärischen Besetzung Westberlins teil, und zum anderen sicherten Einheiten der Grenztruppen nach wie vor die Grenze zu Westberlin, auch nach dem Überschreiten dieser Grenze durch Kräfte der Sowjetarmee, der NVA und der Grenztruppen.

Die Begründung dazu hieß:

Westberlin als NATO-Brückenkopf und gefährlicher Störfaktor mit einem großen Potenzial an feindlichen Kräften, konzentriert in den Westberliner Dienstellen der Geheimdienste und zahlreichen anderen subversiven Institutionen, muss nach wie vor - auch nach der Eliminierung der westlichen militärischen Kräfte - isoliert bleiben. Ein Einsickern feindlicher Elemente musste unbedingt verhindert werden.
Dafür gab es Pläne und vorbereitete Maßnahmen.

 

Heute noch werden diese Sicherungsmaßnahmen der östlichen Seite zum Anlass genommen, gegen die DDR zu hetzen.

Man wirft ihr Aggressivität und Verstöße gegen das Völkerrecht vor. In TV-Sendungen und in den Printmedien geistern nach wie vor solche infamen Unterstellungen umher nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

 

Vor einiger Zeit flimmerte über die Bildschirme eine Ausstrahlung des RBB, mit dem Titel, "Der Fall X. Wie die DDR Westberlin erobern wollte", die solche Ungereimtheiten zum Inhalt hatte.

Verzerrt und tendenziös zog man über die militärische Aufklärung seitens der DDR gegenüber Westberlin her. (Diese Sendung wurde mehrmals in dritten Programm wiederholt).

Die RBB-Macher prangerten unter anderen an, dass Spione der Ostseite mit Kameragruppen eventuelle Schauplätze von militärischen Kämpfen in Westberlin aufnahmen. Das ginge denn doch zu weit, was da die DDR veranstaltete.

Der Text enthielt die sattsam bekannten Klischees des Kalten Krieges.

Was ist nun die Wahrheit?

Natürlich haben von der DDR-Seite her Kräfte den möglichen Kriegsschauplatz Westberlin gründlich aufgeklärt. Ob es nun Aufklärer des MfS oder Militäraufklärer der NVA waren.
Wir wären doch von Blindheit geschlagen und wahrlich schlecht beraten gewesen, wenn wir von den legalen Möglichkeiten, die sich in Westberlin boten nicht Gebrauch gemacht hätten.
Viele Touristen der westlichen Welt besuchten zu dieser Zeit die "Frontstadt" Westberlin. Sie filmten und fotografierten alles, was ihnen vor der Kamera kam, um es schwarz auf weiß oder auch farbig mit nach Hause zu nehmen. Nichts anderes machten die Aufklärer der DDR. Was ist daran zu tadeln?

Was dem einem recht ist, ist dem anderen billig!

 

Ein oft wiederholtes Thema bei den "Aufarbeitern der Geschichte!" ist die Verunglimpfung der DDR wegen politischer Zwangsmaßnahmen nach der Einnahme von Westberlin.

Da wird aufgelistet: Festnahme von Westberlinern und ihre Unterbringung in Internierungslagern, die Errichtung einer staatlichen Zwangsverwaltung und anderes.

In ihrem Buch "Schlachtfeld Deutschland" äußern sich die Verfasser Markus/Rudolph auf der Seite 166 wie folgt:

"Die Militärs hatten offenkundig auch keine Szenarien, wie nach dem Vorrücken eigener Truppen auf gegnerisches Territorium mit der Zivilbevölkerung ...zu verfahren sei. Es ist zwar bekannt, dass für die Einnahme Westberlins durch die Berliner Gruppierung der 1. Front/Westfront solche Detailplanungen existierten, doch Westberlin stellte durch seine Insellage inmitten der DDR ein Sonderfall dar.
Es finden sich kaum Hinweise, dass etwa die politische und militärische Führung der DDR ähnlich ambitionierte Überlegungen auch für den Fall einer Besetzung von BRD-Staatsgebiet im Verlaufe eines Krieges angestellt hätte."

Was war in Bezug auf Westberlin geplant?

Vorangestellt sei hier die historischen Tatsachen, dass während des 2. Weltkrieges in den USA 116 00 US-Bürger japanischer Nationalität festgenommen und bis zum Kriegsende in Lagern festgehalten wurden. Auch in Großbritannien nahm man deutsche Staatsbürger meist Antifaschisten fest, sperrte sie in Internierungslager und verfrachtete viele von ihnen nach Australien. Einziger Grund? Angehöriger einer Feindmacht.

Wie schon festgestellt, wimmelte es in Westberlin von notorischen Feinden der DDR.
Was lag da näher auf der Hand, als diese nach Möglichkeit festzunehmen und zu internieren. Das hätte jeder andere Staat auch getan.

Was bei anderen Recht ist, ist bei der DDR Unrecht. - Feine Logik.

Heute wird die Berliner-Operation und alle nachfolgenden Maßnahmen von bestimmten politischen Kreisen der BRD als aggressive Pläne des Warschauer Vertrages vor allem der DDR und UdSSR gebrandmarkt. Das dient den Aufarbeitern dazu, den östlichen Militärpakt in Verruch zu bringen.

Es war unser verbrieftes Recht, alles für die Verteidigung der DDR und damit der Sowjetunion und der anderen Vertragsstaaten zu tun. Dazu gehörte eben auch die Berliner-Operation.

Um unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden, gibt es nichts mehr geheim zu halten.

Viel Zeit bleibt nicht!

 

Horst Liebig