Rezension zum Buch

"Damit hatten wir die Initiative verloren"

Zur Rolle der bewaffneten Kräfte in der DDR 1989/90

 

Bereits im September 2014 legte der Christoph Links Verlag ein Buch mit oben genannten Titel vor.
Im Vorwort kann man dazu lesen:"Im Herbst 1989 vollzogen sich für die Geschichte der Deutschen bedeutsame historische Ereignisse. In der DDR wurde in einem friedlichen revolutionären Prozess das SED-Regime hinweggefegt und die Grenze zwischen Ost und West geöffnet. Dabei war auch der Weg zur Wiederherstellung der deutschen Einheit geebnet. Der 25. Jahrestag dieser denkwürdigen Ereignisse bildet den Anlass zu dieser Publikation."

Schon in diesen drei Sätzen wird ein historischer Standpunkt vertreten, dem der Autor dieser Rezension grundsätzlich widersprechen muss. Es ist die Rede von einem friedlichen "revolutionären Prozess".
Gewiss ist es heutzutage Mode geworden, verschiedene politische Ereignisse wie Staatsstreiche, Putsche und auch andere Arten von politischem Machtwechsel als Revolutionen oder "revolutionäre Prozesse" zu titulieren. Versierte Journalisten, Werbefachleute und Psychlogen waren flugs dabei, diesen Bewegungen gängige Namen zu verpassen.

So hört man von Orange-, Rosen-, Zedern-, Tulpen-, Safran- und Jasminrevolutionen. Das macht sich gut, geht ins Ohr und verschleiert aber die tatsächlichen Hintergründe und Zusammenhänge.
Warum man den Ereignissen in der DDR nicht schon längst einen Namen gegeben hat, ist nicht bekannt.

Alle diese Vorgänge haben eines gemeinsam: Sie sind und waren keine Revolutionen.

 

Wenn sie auch hier und da gewisse Fortschritte im Verhältnis zum vorhergegangenen System aufweisen, so bleibt doch die alte politische Machtstruktur erhalten und vor allem, die ökonomischen Eigentumsverhältnisse blieben im Wesentlichen unangetastet. Nur die Figuren wechselte man aus.
In der DDR von 1989 war doch kennzeichnend: Die Proteste kamen ursprünglich aus dem Volk heraus. Von Anfang an ging es um Veränderungen der DDR-Gesellschaft und nicht um die Abschaffung derselben. Auch auf der historischen Demonstration von Hunderttausenden Bürgern am 4. November in Berlin forderte keiner der vielen Redner die Liquidierung der DDR. Selbst die meisten der "Bürgerrechtler" wollten keine Abschaffung der DDR. Dafür gibt es viele Zeugnisse. Und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands stand nicht auf der Tagesordnung. Es ging um Reformen und Veränderungen.
Die einheitliche Losung war. "Wir sind das Volk!". Erst später erfolgte, vom Westen initiiert die veränderte Losung: "Wir sind ein Volk".

Was sich wirklich abspielte war, die Restauration - in der DDR seit über vierzig Jahre liquidiert - der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Genau besehen, war es kein Schritt vorwärts, sondern ein Schritt in die kapitalistische Vergangenheit.

Also kein revolutionärer Prozess, sondern eine konterrevolutionäre Entwicklung.

Doch bei den Autoren des Buches ist das nicht angekommen und kann es auch nicht, weil sie der bürgerlichen Geschichtsschreibung fest verhaftet sind.

Schon ein Blick in die Viten der Autoren ist sehr aufschlussreich.

Da ist der Herausgeber und Autor Rüdiger Wenzke: Jahrgang 1955. Dr. phil. studiert und promoviert in der DDR. 1981 bis 1990 wissenschaftlicher Assistent bzw. Oberassistent am Militärgeschichtlichen Institut der DDR.

Dann erfolgte die Wandlung: Seit 1990 wissenschafticher Mitarbeiter. Schnell kletterte er die Karriereleiter hinauf und bereits 2008 bestallte man ihn zum Wissenschaftlichen Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

Kein Kommentar. Nur so viel: "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe!"


Da ist der Autor Heinz Bröckermann: Jahrgang 1966, M.A.,Dr. phil. Oberstleutnant der Bundeswehr. Von seiner Sozialisation und Bildung her ein lupenreiner Bundesbürger. Der deshalb besonders prädestiniert ist, sich mit dem Thema "Zur Militär- und Sicherheitspolitik der SED am Ende der DDR" zu beschäftigen.

Über Matthias Uhl erfährt man: Jahrgang 1970, von 1990 bis 1995 Studium Geschichte und Politikwissenschaft in Halle und Moskau. 2000 Promotion zum Thema "Stalins V-2. Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die Sowjetunion und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945 bis 1959."

Hier ist sie die versteckte, unterschwellige Russenfeindlichkeit.

Schon der Titel der Doktorarbeit verrät, ohne deutsche "Fernlenkwaffentechnik", sprich ohne deutsche Techniker und Spezialisten keine sowjetischen Raketen. Dazu kommen weitere Publikationen zur sowjetischen Militär- und Sicherheitspolitik bis hin zu Geheim- und Nachrichtendiensten im Kalten Krieg. Auch hier von der Bildung her reine westliche Provenienz.

Der vierte Autor Daniel Niemetz: Jahrgang 1968, Dr. phil. Von 1988 bis 1990 Grundwehrdienst in der NVA , 1993 bis 1999 Studium der Geschichte, Journalistik und Ethnologie in Leipzig. Veröffentlichungen zur deutschen Militärgeschichte , unter anderem "Das feldgraue Erbe. Die Wehrmachteinflüsse im Militär der SBZ/DDR 1948/49 bis 1989".

Alle Vier - mit einer Ausnahme- kommen von der Bildung her aus einem Stall.

Die Ausnahme Wenzke befleißigte sich, ab 1990, diese Wissenslücke schnell und erfolgreich zu schließen.

 

Nun zum Buch: 160 Seiten Text, der sich wie folgt aufteilt: Bröckermann 25 Seiten; Wenzke 61 Seiten; Niemetz 45 Seiten und schließlich Uhl 25 Seiten.
Dazu kommen 49 Seiten Anhang mit Originaldokumenten und 25 Seiten mit Angaben zur Literatur, Personenregister u.a..
Der Schwerpunkt liegt eindeutig bei Wenzke. Als Quellen werden Zeitzeugen der NVA, der Grenz- und der Kampfgruppen angegeben. Auch hohe Offiziere des MdI werden zitiert. Das alles ist so weit auch begrüßenswert. Die Fakten und Zitate stimmen.

Viele Angaben zur Sache erfolgen aber auch von ausgewiesenen kalten Kriegern, wie Hubertus Knabe und andere.

Hervorheben muss man, dass die meisten Quellen Dokumente, Berichte, Lagefilme und andere Materialien der zuständigen Machtorgane der DDR sind. So des ZK der SED, des Nationalen Verteidigungsrates, Dokumente aus dem MfNV und MfS sowie dem MdI, den Bezirksleitungen der SED und den Bezirksbehörden der Deutschen Volkspolizei.

Angehörige der bewaffneten Organe der DDR kommen zu Wort und berichten über die Tage ihres Einsatzes. Das wird im Großen und Ganzen sachlich vorgebracht.

 

Doch die Interpretation ist in der Regel sehr einseitig und wird mitunter aus der Sicht des Kalten Krieges geprägt. Man bekommt den Verdacht nicht los, die Autoren setzten sich ein vorgegebenes Ziel, dessen Richtigkeit auf jeden Fall bewiesen werden muss.

Einige Kostproben im Beitrag Bröckermanns: Seite 17. "Die militärischen Strukturen waren durch eine umfassende Militarisierung der Gesellschaft ergänzt worden. Die sogenannte Vervollkommnung des Systems der sozialistischen Landesverteidigung avancierte nun zum Thema des letzten Jahrzehntes der DDR. Dabei nutzte der militarisierte Sozialismus mehr der Partei als dem Militär selbst. Die Landes- und Bündnisverteidigung war nämlich untrennbar mit der Herrschaftssicherung der SED verbunden."

 

Natürlich dienten die "militärischen Strukturen" nicht der "umfassenden Militarisierung der Gesellschaft" sondern, sie dienten dem Schutze des Staates, und dieser Staat war eben mehr als nur die Herrschaft der SED. Er war Heimstatt der Bürger, ohne Arbeitslosigkeit, ohne Obdachlose, ohne Drogenszene und organisierte Kriminalität das Recht auf Arbeit war verfassungsgemäß garantiert, ein kostenloses Gesundheitssystem diente allen. Die Bildungswege standen für alle offen und die soziale Sicherheit war für alle gegeben. Das mag hier wie Propagandafloskeln erscheinen, aber es stimmt.

 

Die DDR auf eine SED-Herrschaft zu reduzieren, stimmt historisch nicht und grenzt an Böswilligkeit.
Natürlich war die führende Rolle der der SED in der vom Volke gewählten Verfassung festgeschrieben. Doch diese "führende Rolle der Partei" war eben nicht Selbstzweck!

Dass die Partei ihrer führenden Rolle nicht mehr gerecht wurde und ihr die Politik aus dem Ruder lief, ist eine andere Sache.

Noch auf Seite 17: "Dazu gehörte auch der Ausbau des auf die innere Sicherheit gerichteten Unterdrückungsapparats der SED." Das hört sich an, als ob das was Neues war.

Jeder Staat hat Exekutivorgane, dazu gehört eben nun einmal die Polizei, die Armee und vor allem auch die Justiz. Die Volkspolizei existierte seit 1946, dazu gehörten Polizeibereitschaften. 1953/54 kamen die Kampfgruppen dazu. Seit 1951 existierte das MfS. Die NVA seit 1956 existent und die Grenzpolizei/Grenztruppen seit 1946. Das waren die wichtigsten bewaffneten Organe der DDR. Und im Sinne ihrer Zwecke sind es repressive Instrumente in den Händen des Staates.
Jeder Staat in der Welt hat dergleichen. Auch die BRD. Was war denn der BGS? Bei den Länderpolizeien und heute der Bundespolizei sitzt der Knüppel wirklich locker, mit diesen, zuzüglich Reizgas, werden seit Jahrzehnten in der BRD Demonstrationen brutal zerschlagen und ohne Rücksicht auf Verluste niedergeknüppelt. Das ist eben rechtens, handelt es sich doch um einen Rechtsstaat.

Und die DDR? Hatte sie nicht auch das Recht, Vorsorge für ihre Sicherheit zu treffen? Im Übrigen ist auch die Bundeswehr an der Niederhaltung von Protesten beteiligt.Siehe G 20-Gipfel.

Seite 18. Was soll die Formulierung "sogenannte Friedenspolitik der DDR"?

Hat die DDR etwa keine Friedenspolitik verfolgt? Ihre Vorschläge zum Frieden, zur Verminderung der Kriegsgefahr und andere Initiativen sind immens. Es heißt weiter:"Die DDR war Teil der sozialistischen ´Friedensmacht´ des Ostblocks. Dieser starrte vor Waffen und trat Freiheits- und Menschenrechte mit Füßen." Was soll das?

So dargestellt, muss der Leser herauslesen, dass nur der Osten vor "Waffen starrte". Was war mit dem Westen? Gab es dort keine riesigen Waffenarsenale?

Es herrschte ein relatives Gleichgewicht zwischen Ost und West - auch Gleichgewicht des Schreckens genannt. Dieses vor allem atomare Patt garantierte, dass über Jahrzehnte der Frieden in Europa gesichert war und kein globales Kriegsgemetzel stattfand.

Ähnliches wäre zur "staatlich gelenkten Friedensbewegung der DDR zu bemerken( S. 25)
Es entbehrt jeder Sachlichkeit wenn Bröckermann schreibt: "Der Staat der Staatssicherheit (Stasi), der Todesschützen an der Mauer, aber auch der Staat einer hemmungslosen Umweltverschmutzung war in keinem Feld so human, wie er gesehen werden sollte."
Hier bedient er sich eifrig der Klischees des Kalten Krieges.

 

Was für "aggressive Werbung für militärische Berufe" (S. 30) meint er? Hier ist doch wohl die Phantasie mit Herrn Bröckermann durchgegangen? Sechsmal gibt er sich selber als Quelle an.

Am 25. November 1989 ist der Hauptinspekteur der NVA Hans Süß Generaloberst (S.33). Auf S. 39 ist Süß aber am 30. November 1989 auf einmal wieder Generalleutnant. Schlecht recherchiert? Solches darf einfach nicht passieren.Und immer wieder strapaziert er die "Friedliche Revolution".

Zum Beitrag von Rüdiger Wenzke: Hier sind erst einmal ein paar Bemerkungen zur Person von Rüdiger Wenzke angebracht. Jahrgang 1955, Dr. phil..; 1976 bis 1981 Studium der Geschichte an der Universität Leipzig (DDR) , von 1981 bis 1990 wissenschaftlicher Assistent bzw. Oberassistent am Militärgeschichtlichen Institut der DDR; seit 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 2008 Wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichern Forschungsamt in Potsdam. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Militärgeschichte der DDR.
Seine Berufung zum Wissenschaftlichen Direktor zeigt eindeutig, dass er voll und ganz in der BRD angekommen ist. Schön und gut.

Neun Jahre hat er "brav, treu und redlich" seine Erkenntnisse über die Militärgeschichte der DDR ganz im Sinne der führenden Partei in der DDR der SED erarbeitet und publiziert. Von Widerstand gegen das bestehende System und seine Militärpolitik ist nichts bekannt. Es kann auch angenommen werden, dass Wenzke Mitglied der SED war.
1990 erkannte er seine Chance für eine Karriere in der Bundeswehr und flugs wechselte er die Seite. Ironisch könnte man sagen, "wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".
In rund ein Dutzend Büchern, vielen Aufsätzen und Beiträgen (rund 40) in Sammelbänden und ca. zehn Beiträgen in Zeitschriften nach 1990 in der BRD zeigt er seinen kompletten Sinneswandel. Darüber hinaus leistete er in vielen Film-, Fernseh-, Hörfunkbeiträgen und im Internet, den von seinen Brötchengebern erwarteten Beitrag zur Diffamierung der DDR, dem Staat, den er seine wissenschaftliche Ausbildung verdankte.
Um das abzurunden. In rund zehn Staaten - Italien, Kanada, Österreich, Russland, Ungarn, USA und andere - hielt er Vorträge zur Militärgeschichte der DDR.
Natürlich bleibt es jedem überlassen, wie er sein Leben gestaltet. Die hier dargelegten Fakten sollen nur illustrieren wessen Geistes Kind Rüdiger Wenzke ist.

Nun zu seinem Beitrag im vorliegenden Sammelband, den er titelte: "Von der Parteiarmee zur Volksarmee? Die NVA und die Grenztruppen der DDR in Krise und Umbruch"

Wenzke setzt auf alle Fälle erst einmal ein Fragezeichen. Was stellt er eigentlich damit in Frage? Die Parteiarmee oder die Volksarmee?

Den Begriff "Parteiarmee" haben westliche Publizisten, Historiker oder auch andere obskure Schreiberlinge in die Welt gesetzt und er wurde durch den stereotypen Gebrauch zum Klischee des Kalten Krieges.

Eine Parteiarmee suggeriert doch, es handelt sich um eine Armee die sich eine Partei - für welchen Zweck auch immer - geschaffen hat. Und das stimmt eben nicht.

Die Nationale Volksarmee wurde verfassungsgemäß durch ein Gesetz der Volkskammer gebildet. Sie rekrutierte sich vor allem aus Arbeitern und Bauern und anderen sozialen Schichten. Ihre Offiziere und Generale gehörten nicht mehr dem Adel oder der privilegierten Offizierskaste an. Sondern sie kamen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf, kämpften in Spanien, waren Angehörige der Roten Armee, oder waren in faschistischen Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert.
Natürlich hatte auch in der Volksarmee die SED die führende Rolle inne - wie überhaupt in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen. Aber sprach man denn da von Parteikombinaten, Parteitheatern, Parteigenossenschaften oder anderen Parteiinstitutionen? Es gab auch keine Parteipolizei sondern die Deutsche Volkspolizei. Die Armee war aber nach westlicher Lesart eine "Parteiarmee!" Was für ein Nonsens.

 

Natürlich diente sie dem Schutz und der Verteidigung des Staates dazu gehörte ebenfalls auch die Partei SED. Die NVA wurde geschaffen als ein Exekutivorgan zur Verteidigung des ersten Deutschen Arbeiter-und Bauern-Staates. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Die permanente Bedrohung durch die NATO und die imperialistische, feindliche Politik der BRD machte das notwendig. Wenn auch heute einige es nicht wahr haben wollen, die Fakten militärischer Bedrohung existierten.

Die Gründe für die Entwicklung "vor allem durch weitere Anstrengungen zur Erhöhung der Gefechtsbereitschaft und Kampfkraft", so Wenzke, "lieferte die 'zunehmende bedrohliche Entwicklung auf dem westlichen Kriegsschauplatz', die nach Ansicht der SED ausschließlich durch die 'Machenschaften der NATO' verursacht wurde".

Im Abschnitt "Zwischen Umstrukturierung und Vertrauensverlust" zeichnet Wenzke eine Situation in der NVA - der man von Abstrichen einmal abgesehen - durchaus folgen kann.

Nachdenkens wert ist die Aussage: "Der konservative Keßler war weder reformwillig noch reformfähig. Er leitete nur die notwendigsten Schritte ein. Es war Erich Honecker selbst, der Anfang 1989 ein deutliches Zeichen für Veränderungen in der NVA setzte.

 

Doch im Abschnitt "Grenzsicherung und die Grenztruppen der DDR in den 1980er Jahren", unterlaufen Wenzke einige gravierende Fehler, die von wenig Sachkenntnis zeugen.

Richtig benennt er die Hauptaufgabe der Grenztruppen die seit ihrer Gründung darin bestand, "zuverlässig" die Staatsgrenze zu sichern. Im Verständnis der DDR-Führung verband sich damit eine Doppelfunktion. Einerseits mussten die Grenztruppen in der Lage sein, militärische Aufgaben im Rahmen der Landesverteidigung zur Verteidigung der DDR gegen äußere Feinde zu übernehmen. Andererseits hatten sie die Grenze so abzuriegeln, dass die eigenen Bürger nicht 'illegal' in die Bundesrepublik und nach Westberlin gelangen konnten."

Doch nicht nur das. Ungezählte Provokationen verbunden mit illegalen Grenzübertritten, Zerstörung von Grenzsicherungsanlagen bis hin zur Sprengung von Grenzpfählen galt es abzuwehren oder die Ausdehnung von Provokationen auf das Territorium der DDR zu verhindern. Das und auch andere Vorkommnisse bedingten die Errichtung von Grenzsicherungsanlagen. Das alles unterschlägt aber der Autor.

Wenzke führt an: "Grenzfragen maß die politische und militärische Führung der DDR stets eine erstrangige politische Bedeutung bei." Und das zu Recht. Eine sichere Staatsgrenze, Ruhe und Ordnung im Grenzgebiet waren eine unablässige Forderung und Voraussetzung für die Sicherung des Friedens.

Die Geschichte zeigt Beispiele, dass Grenzverletzungen und Grenzkonflikte größere militärische Aktionen oder auch Kriege auslösen können. Siehe Beginn des 2. Weltkrieges

 

Falsch ist die Darstellung der Grenzsicherung und einiger Strukturfragen.

Wenzke schreibt (Seite 57): "Die Sicherung der Grenze erfolgte nach dem Konzept der Regimentssicherung, die Anfang der 1970er Jahre eingeführt worden war."

Erst einmal gab es Unterschiede zwischen der Grenzsicherung an der Staatsgrenze zur BRD und an der Grenze zu Westberlin.
Bereits in den sechziger Jahren, wurde im Bereich der damals zuständigen Stadtkommandantur Berlin (später Grenzkommando Mitte) die Regimentssicherung eingeführt. Das hieß, die Sicherung des Abschnitts eines Grenzregimentes im Berliner Raum wurde im Wechsel von jeweils einer Grenzkompanie durchgeführt. Das Strukturelement Bataillon existierte hier nicht.

An der Staatsgrenze West waren die Grenztruppen in Grenzregimenter, Grenzbataillone und Grenzkompanien gegliedert. Es erfolgte bis in die 1970er Jahre die Kompaniesicherung, Das hieß hier, eine Grenzkompanie sicherte jeweils den ihr zugewiesenen Kompanieabschnitt. Anfang der 1970er Jahre führte man an der Staatsgrenze zur BRD die Bataillonssicherung ein. Eine Regimentssicherung gab es hier nie. In der Bataillonssicherung sicherte  jeweils  eine Grenzkompanie den Abschnitt eines Grenzbataillons. Später wurde die Bataillonssicherung durch eine modifizierte Grenzsicherung abgelöst.

Der Nationale Verteidigungsrat beschloss im Juni 1989 "Maßnahmen der Vervollkommnung des Schutzes der Staatsgrenze der DDR zur BRD und der dazu erforderlichen Entwicklung der Grenztruppen der DDR ". Danach wurden die Struktur und die Dislozierung der Grenztruppen weitgehend der territorialen politischen Struktur angepasst.Es wurden u.a. Grenzausbildungszentren und Grenzkreiskommandos eingerichtet.

Die rasante Entwicklung 1989 führte dazu, dass diese Strukturveränderungen nicht mehr voll zum Zuge kamen.
Wenzke schreibt fälschlicherweise (Seite 57): "Danach befanden sich entlang der Grenze zur Bundesrepublik drei Grenzkommandos (Nord, Mitte, Süd) sowie die Grenzbrigade 'Küste' im Ostseeraum." Wie gesagt, das Grenzkommando Mitte sicherte innerhalb und außerhalb der Stadt Berlin die Grenze zu Westberlin. Schlecht recherchiert oder?

Ein weiterer Abschnitt bei Wenzke trägt die Überschrift: "NVA und Grenztruppen im Vorfeld des 40. Jahrestages der DDR".

Auf Seite 61 heißt es: "Offenbar war Keßler inzwischen auch nicht entgangen, dass es in der Armee bis hinein in die Kreise der Berufssoldaten und SED-Mitglieder erheblich rumorte."
In seinem Referat auf einer Kommandeurstagung am 22.9.1989 sagte der Minister: "Ich halte es für ein ernstes Signal, wenn heute dieser oder jener Genosse seine Zustimmung zur Friedenspolitik unseres Staates nicht mehr im gleichen starke Maße wie früher mit persönlichen Konsequenzen verbindet und wenn wir in der militärischen Disziplin keine entscheidenden Fortschritte erreichen, ja wenn sich die politische Brisanz einiger Vergehen und Straftaten erhöht hat. (...) Es gibt auch Angehörige der NVA, der Grenztruppen und der Zivilverteidigung, die zu Grundfragen der Parteipolitik schwankende Positionen beziehen, unsere Gesellschaftsstrategie ablehnen und die Partei- und Staatsführung angreifen."
Zur Lage an der Staatsgrenze führte der Minister aus: Sie sei zudem durch "anhaltende gegnerische Provokationen" und "zunehmende Versuche zur Verletzung der Staatsgrenze gekennzeichnet". Im Ausbildungsjahr 1988/89 seien bisher 8 382 Fälle aufgetreten, in denen das Territorium der DDR von der Bundesrepublik aus verletzt worden sei. Gewaltsame und spektakuläre Vorkommnisse an der Grenze hätten zugenommen. Insgesamt habe sich der Druck auf die Staatsgrenze verstärkt.
Daraus ergibt sich die prekäre Frage (Seite 62): Warum "war Keßler nicht bereit, sich mit der veränderten Situation im Lande und in der Armee ernsthaft und offen auseinanderzusetzen, nach Ursachen zu forschen und die Realitäten anzuerkennen. Die brennenden Probleme in der Armee und Grenztruppen wurden nicht benannt und erst recht keine Lösungsvorschläge angeboten. Gespräche mit Andersdenkenden und Kritikern innerhalb und außerhalb der Streitkräfte gab es nicht".
Hierzu muss bemerkt werden, aus der Sicht des Verfassers dieser Rezension gab es zumindest einige "Andersdenkende" und "Kritiker" in den Grenztruppen. Einzelne Kommandeure und Stellvertreter von Kommandeuren in der Truppe und Offiziere der Politischen Verwaltung der Grenztruppen kritisierten durchaus das bestehende System der Grenzsicherung in Dissertationen und machten Vorschläge zur Veränderung. Diese wurden wohl oder übel zur Kenntnis genommen. Dabei blieb es. Nur einzelne punktuelle Vorschläge realisierte die Führung.
Im Vorfeld des 40. Jahrestages der DDR spitzte sich die innenpolitische Lage im Lande außerordentlich zu. Honecker setzte dem zu entgegnen - nach Ansicht der  Parteiführung rechnete sie Anfang Oktober 1989 mit einer wachsenden Zahl von Aktivitäten des "Klassengegners'" gegen die Staatsgrenze - am 26. September 1989 den Befehl Nr. 8/89 in Kraft. Dieser umfasste eine Reihe von Maßnahmen zur Sicherung des 40. Jahrestages der DDR. "Einen Tag später traf Keßler mit seinem eigenem Befehl Nr. 105/89 "entsprechende Festlegung für die gesamte NVA." Diese umschlossen eine Sicherheitsperiode" vom 6. Oktober bis zum 9. Oktober Dazu gehörte die "verstärkte Grenzsicherung für die Grenztruppen der DDR" vom 3. Oktober bis zum 9. Oktober 1989. "Darüber hinaus sollten im Raum von Berlin ausgewählte Einheiten der NVA und der Grenztruppen als Reserve vorbereitet und in Bereitschaft gehalten werden". Von Hundertschaften der NVA war hier noch nicht die Rede.

Es muss hier unbedingt unterstrichen werden: "Klar formuliert war aber auch, dass im Falle des Eindringens von Demonstranten in das Grenzgebiet diesen grundsätzlich ohne Anwendung der Schusswaffe zu begegnen sei."
Wenzke schreibt: "Die Furcht vor handfesten Auseinandersetzungen mit vorgeblich 'konterrevolutionären' Gruppen nahm im unmittelbaren Vorfeld des 40. Jahrestages der DDR weiter zu. Die SED-Führung sah nun ihre Macht bedroht. Auf der Grundlage des Honecker-Befehls vom 26. September ließ sie ein Großaufgebot an Sicherheitskräften bereitstellen, um die 'Ordnung' im Land nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern diese notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Die Vorkehrungen deuteten darauf hin, dass dazu auch NVA-Truppen in einem bisher nicht dagewesenen Maße herangezogen werden sollte."

Was hier der Autor vage vermutet ist weder durch Zeitzeugenaussagen noch durch andere Quellen in diesem Buch gesichert..

Unter der Überschrift, NVA-Hundertschaften im Einsatz gegen Demonstranten, ist die detaillierte Aufstellung von Hundertschaften der NVA die zum Einsatz gegen Demonstranten eingesetzt werden sollten, vor allem in Dresden, Berlin, Karl-Marx-Stadt, Plauen, Schwedt und in Leipzig verfügbar gehalten worden und teilweise auch zum Einsatz kamen, aufgelistet.
Nach Meinung des Autors schloss die militärische Führung einen Kompromiss zwischen "Falken" und "Tauben der letztlich die Durchsetzung einer weitgehend friedlichen Lösung diente. Dass sollte "die Schaffung von nichtstrukturmäßigen Hundertschaften" sein.
Mit der Schaffung dieser Hundertschaften meinte man, die NVA zur Unterstützung der Sicherheitsorgane einsetzen zu können. Aber die Angehörigen dieser Hundertschaften blieben eben Soldaten der NVA. "Einerseits schien es der NVA-Führung verfassungskonform, die Armee nicht direkt nach innen einzusetzen, andererseits hatten sie die anderen Sicherheitsorgane nach Bedarf zu unterstützen."
"Die Linie war gewesen: Die Armee wird nicht gegen das Volk eingesetzt, sie steht in der zweiten Reihe, um der Polizei den Rücken zu stärken. Das war das Konzept, was uns bekannt war und was Keßler auch eindeutig gesagt hat, es wurde eindeutig gesagt, kein Waffeneinsatz, das war von vornherein ausgeschlossen."

Es wäre schon interessant zu erfahren, wer waren denn die "Falken" und die "Tauben"?
Hier gibt Wenzke nur einem anonym bleibenden Admiral als Quelle an.
Ob nun in der ersten oder zweiten Reihe ein Einsatz gegen die Bevölkerung war eben doch geplant.

Wenn der Autor meint, "niemand konnte voraussagen, wie sich die Lage entwickeln würde. Die Armeeangehörigen erhielten in den Kasernen kaum Informationen über die sich widersprüchlich vollziehenden Vorgänge in der DDR. Einige Vorgesetzte zeigten sich als Scharfmacher und bekundeten unverhohlen ihren Einsatzwillen, gegen die 'Konterrevolution' auch mit Waffengewalt vorzugehen". Auch hierfür keine Belege.

Ausgerechnet auf den Scharfmacher und selbst ernannten "DDR-Experten" Hubertus Knabe stützt sich Wenzke in dem er ihn zitiert: Nicht nur die einfachen "Wehrdienstleistenden", sondern auch die militärischen Berufskader stellten plötzlich fest, " einer Fiktion aufgesessen zu sein: Das Volk wandte sich gegen Partei und Regierung. Die Erkenntnis wuchs, einer Parteiarmee gedient zu haben und sich dadurch mehr und mehr von den Interessen des Volkes abgekoppelt zu haben". Worauf stützt sich Knabe. Keine Quellen.

Sicher wird das auf einige zu treffen. Aber das pauschal zu behaupten, - milde ausgedrückt - ist schon ein starkes Stück.

 

Dem Untertitel zum Abschnitt "Die Mauer fällt - Führungschaos bei NVA und Grenztruppen", muss man mit Einschränkungen zustimmen, denn es fiel nicht die Mauer, sondern die Grenzübergangsstellen wurden geöffnet.

Alle Ereignisse, die sich in der Nacht vom 9. zum 10.November wirklich abspielten, sind noch nicht gründlich erforscht. Es gibt viele sehr widersprüchliche Angaben von den in diesem Zeitraum handelnden führenden Personen. Sei es Krenz, Keßler, Streletz Mielke, Neiber und andere hohe MfS-Offiziere, Kommandeure der Grenztruppen oder auch andere.

Ausgangspunkt war. Es gab eine vom ZK der SED und dem Ministerrat der DDR bestätigte Reiseverordnung, die am 10. November früh morgens in Kraft treten sollte. Danach sollten Reisen in westliche Länder - einschließlich BRD und Westberlin - möglich sein. Nach Einhalten eines bestimmten gesetzlichen Prozedere traf das auch für Übersiedlungen in den Westen zu.

Das "sofort, unverzüglich" von Schabowski am 9. November auf der Pressekonferenz, das Bürger der DDR an diesem Abend zu Tausenden an die Staatsgrenze zu Westberlin und zur BRD trieb, um letztendlich zu erzwingen, die Grenze ohne Erlaubnis passieren zu können. Das schuf eine Lage die von den diensttuenden Angehörigen des PKE und den Grenzern nicht mehr beherrschbar war und sie auf eigenen Entschluss zwang, die GÜSt zu öffnen. Erst später kamen dann Weisungen und Befehle vom MfS.
"Die ostdeutsche Militärführung, der auch der Chef der Grenztruppen angehörte, wurde von der Maueröffnung während einer Kollegiumssitzung in Strausberg überrascht. Diese Zusammenkunft war unmittelbar nach dem Ende einer Sitzung des Zentralkomitees der SED in Ost-Berlin anberaumt worden. Die am Abend des 9.November in Strausberg versammelten Militärs, darunter die ZK-Mitglieder Verteidigungsminister Heinz Keßler und der Chef des Hauptstabes der NVA Generaloberst Fritz Streletz erhielten dadurch keine oder nur unzureichende Kenntnis von den Vorgängen, die sich am Abend vollzogen."

Insider, die die militärische Ordnung in Bezug von Meldungen und wichtigen Informationen kannten, können sich bis heute nicht erklären, was da wirklich vor sich gegangen ist.
Auch dieses Buch trägt nicht dazu bei, das zu klären. Schade.
" Erst als der Chef der Grenztruppen während der Strausberger Kollegiumssitzung ans Telefon gerufen wurde und den Raum verließ, wurde die Situation bekannt. Letztlich wusste man auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viel, außer dass es an den Grenzübergangsstellen zu Ansammlungen von Menschen gekommen war, die in den Westen wollten. Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten notierte später in seinen Erinnerungen: 'Wir hatten die Grenzer in Stich gelassen. Kein Befehl, keine Weisung, nichts, womit wir ihnen Halt oder Orientierung geboten hätten'" Das umfasste alles und sagt auch alles.
General Baumgarten: Wir hatten "die Initiative verloren... Nunmehr konnten wir den Lauf der Geschichte nur noch zur Kenntnis nehmen".
Alles was danach erfolgte waren hilflose und verzweifelte Unterfangen zu retten, was zu retten ist. Doch dazu war es eben zu spät.
Alle Gedanken und Versuche die Lage an der Staatsgrenze umzukehren waren nutzlos und irrelevant. Es fehlte ihnen an Rückhalt in der Truppe, und auch in der Militärführung mahnten einflussreiche Kräfte - die im Buch leider fast gar nicht genannt werden - zur Besonnenheit. Auch die Operativgruppe des Nationalen Verteidigungsrates und die sich widersprechende Befehle änderte daran gar nichts.
Das bisherige militärische Grenzregime zum Westen hin brach zusammen und löste sich auf.

"Es zeigte sich aber der Wille bei Teilen der Armeeführung, die Streitkräfte den veränderten Gegebenheiten geordnet und schrittweise anzupassen und dabei ein Abgleiten in Chaos und Unruhe zu vermeiden. Nicht umsonst enthielten verschiedene Befehle daher auch eine Passage, in der stets zur strikten Gewährleistung der Sicherheit von Kasernen, Waffenkammern, Munitions- und Tanklagern aufgerufen wurde." (Seite 79) Und weiter: Seite 87. "Die meisten NVA-Berufssoldaten hatten inzwischen erkannt, dass sie weder in den Parteien noch in anderen gesellschaftlichen Bereichen eine Lobby besaßen. Für sie stand jetzt die Aufgabe, sich nach einer neuen beruflichen Tätigkeit umzusehen. Unmut und Enttäuschung über den 'Verrat' der politischen Armeeführung wurden daher in der Truppe allerorts öffentlich." Das muss man unterstreichen.
"Dennoch setzten die meisten Berufssoldaten ihren Dienst loyal bis zu ihrer Entlassung fort und sorgten insbesondere dafür, dass Waffen und Ausrüstungen gesichert wurden und nicht in falsche Hände gerieten. Insofern zeigte sich die DDR-Volksarmee bis zuletzt als berechenbar."

Daniel Niemetz zeichnet für den Abschnitt "Einen neuen '17. Juni' verhindern. Volkspolizeibereitschaften und 'Kampfgruppen der Arbeiterklasse' im Herbst 1989 verantwortlich.

Hierzu nur so viel: Neben Strukturen, Standorte der Einheiten (Dislozierung), zahlenmäßige Stärke, Bewaffnung und Ausrüstung und andere sehr interessante Fakten, erfährt man auch die Geschichte der Entstehung und der Entwicklung dieser beiden Machtorgane. Auch das jeweilige Unterstellungsverhältnis wird konkret beschrieben.

Ob bei den DDR-Oberen sich wirklich so eine panische Angst vor einem neuen 17. Juni - wie Niemetz behauptet - vorhanden war, kann man durchaus in Zweifel ziehen. Durch Fakten und Dokumente belegt ist der politisch-moralische Zustand dieser Einheiten im Herbst 1989.
Die Bereitschaften der Volkspolizei sind mehr oder auch weniger in der heißen Zeit des Herbstes 1989 ihren Aufgaben mehr schlecht als recht gerecht geworden.
Auf die Kampfgruppen trifft das aber nur bedingt zu. Es zeigte sich, dass trotz jahrelanger
Erziehung und Ausbildung die Kampfkraft nicht den Anforderungen entsprach. Unwille über ihren Einsatz gegen die Bevölkerung, Austritte, Disziplinarverstöße waren damals an der Tagesordnung.
Niemetz resümiert: "Ein von vielen befürchteter '17. Juni' im Sinne eines gewaltsam nieder zuhaltenden Aufstandes hatte nicht stattgefunden. An seiner Stelle obsiegte der friedliche Protest Zehntausender, später Hunderttausender Bürger. VP-Bereitschaften und Kampfgruppen, die beiden bewaffneten Organe, die ursprünglich geschaffen worden waren, um einen neuen '17.Juni' zu verhindern, gerieten von da an selbst in den Strudel von Veränderungen."
Am 3. Oktober 1990 beendeten die 21 VP-Bereitschaften bereits in herabgesetzter Stärke auch ihre Geschichte.
Zu diesem Zeitpunkt existierten die "Kampfgruppen der Arbeiterklasse" nicht mehr.

Es ist schon interessant, die Fakten zu den VP-Bereitschaften und den Kampfgruppen in dieser hier komprimierten dargestellten Form zur Kenntnis zu nehmen.

 

"Die sowjetischen Truppen in der DDR..." ist der Titel in dem sich Matthias Uhl mit den sowjetischen Truppen in der SBZ und dann in der DDR beschäftigt. In einem historischen Abriss schildert er faktenreich mit Dokumenten belegt, die Stationierung der sowjetischen Truppen im Osten Deutschlands. Dem ist im Großen und Ganzen nichts hinzuzufügen.

Den Autor interessiert hingegen besonders der Unterabschnitt "Die Westgruppe der Truppen und die friedliche Revolution in der DDR".
Abgesehen einmal davon, dass der Autor aus berechtigten Gründen eine "friedliche Revolution " nicht akzeptieren kann, weil es diese nicht gab, sondern, ohne das Volks zu befragen ein Beitritt quasi eine Anektion der DDR erfolgte.

Wie ein roter Faden zieht sich durch diesen Beitrag die Frage. "Gab es einen Befehl aus Moskau in den Kasernen zu bleiben oder nicht?"

Am Rande einer einseitigen Kommandostabsübung der GSS auf Frontebene, März 1988, trafen sich der Generalstabschef der Sowjetarmee mit Minister Keßler und dem Chef des Hauptstabes Streletz. Sehr besorgt äußerten sich die beiden DDR-Militärs über die Entwicklung der sowjetischen Außenpolitik und des Verhältnisses zwischen der DDR und der UdSSR. Der Marschall sagte ihnen, dass der sowjetischen Führung der Konservatismus Honeckers unverständlich sei. Er stellte die Frage, ob die DDR-Führung denn nicht sehe, wie sich die Lage in der DDR immer mehr zuspitze und die Menschen auf Veränderungen drängten. Der Generalstabschef der Sowjetarmee schätzte ein, dass Keßler und Streletz loyal zu ihrer Parteiführung standen.

In seinen späteren Erinnerungen bedauerte er das. Es kam zu keinem offenen Gespräch.

Im Herbst 1988 verlangte der ZK-Sekretär Jakovlew Dossiers des KGB, des Außenminsteriums, der ZK-Abteilung Internationale Beziehungen und des Instituts für die Wirtschaft des sozialistischen Weltsystems zur weiteren Entwicklung Osteuropa vorzulegen. Daraus ergab sich die Erkenntnis, der Status quo konnte in den Warschauer Vertragsstaaten nicht mehr aufrecht erhalten werden. Alle zogen die Schlussfolgerung, die in den Ländern stationierten sowjetischen Truppen durften und konnten selbst bei Aufständen nicht eingreifen. "Jede Art von gewaltsamer Intervention gefährde den Fortgang von Perestroika und Reformen in der Sowjetunion sowie den Zusammenhalt der sozialistischen Länder."
Deshalb erging aus Moskau bereits im Sommer 1989 an Honecker die Warnung, dass im Fall einer Auseinandersetzung zwischen der DDR-Führung und der Bevölkerung die sowjetischen Soldaten in den Kasernen bleiben würden. Auch in der folgenden Zeit machte die Sowjet-Führung den SED-Funktionären unmissverständlich klar, dass die Anwendung von Gewalt als Mittel zur etwaigen Stabilisierung der politischen Lage nicht toleriert werde.
Uhl nennt in diesem Kontext hier ein sehr fragwürdiges Ereignis: "Im Sommer 1989 setzte der sowjetischen Außenminister Schewardnaze schließlich einen angeblichen Befehl durch, nach dem die sowjetischen Truppen in der DDR bei Massendemonstrationen strikte Neutralität wahren und in den Garnisonen verbleiben sollen. Was heißt hier "angeblich"?
Auch beim Besuch des Generalsekretärs der KPdSU im Oktober 1989 machte dieser nochmals klar: Die in der DDR befindlichen sowjetischen Streitkräfte würden auf keinem Fall eingesetzt, "um dem SED-Regime unter die Arme zu greifen".
Der DDR-Führung war damit bewusst, im Gegensatz zu 1953 und 1961, konnte sie sich zur Erhaltung ihrer Macht nicht mehr auf die sowjetischen Truppen stützen.

Es hing auch in der Luft, orakelt Uhl, ob sich die Westgruppe auch an die Befehle und Weisungen aus Moskau halten würden. Uhl führt als Beweis die Aussagen des letzten sowjetischen Botschafters in der DDR an. Danach hätten die sowjetischen Generale im Zeitraum Oktober/November 1989 einen Einsatz ihrer Truppen erwogen und der Führung der DDR angeboten. So hätte der Oberkommandierende der Westgruppe bei einem Zusammentreffen mit Krenz am 23. Oktober 1989 erklärt: Er könne sicher sein, ein Anruf genügt und die sowjetischen Truppen würden bereit stehen. Die Soldaten stehen zu ihren Verpflichtungen gegenüber der DDR und seien in der Lage, unter x-beliebigen Bedingungen alle gestellten Aufgaben zu erfüllen.
Es hätte auch einige Offiziere der NVA gegeben, die auf ein Eingreifen der sowjetischen Truppen in der DDR hofften. So Uhl. Wer waren diese Offiziere? Worauf beruht diese Einschätzung?
"Tatsächlich befand sich die Westgruppe der Truppen nach Angaben ehemaliger Offiziere während der Ereignisse um den 9. November 1989 in 'Erhöhter Gefechtsbereitschaft'."
Als Beweis führt Uhl an: "Diese Angaben wurden auch von ehemaligen NVA-Offizieren bestätigt. Demnach bezogen zumindest die Grenzsicherungsbataillone des 221. selbstständigen Panzerregiments der 2. Gardearmee bei Hagenow ab Mitternacht des 10. November entlang der deutsch-deutschen Demarkationslinie ihre - offenbar in einem Einsatzplan festgelegten - Positionen, die etwa 500 bis 600 Meter vom sogenannten Hinterlandszaun entfernt waren, und gingen zur gefechtsmäßigen Sicherung der Staatsgrenze der DDR über. ...Da die Schusssektoren ausschließlich nach Westen wiesen, ging der NVA-Verbindungsoffizier zur Westgruppe davon aus, dass es sich um Sicherungsmaßnahmen gegenüber vermeintlichen westlichen Provokationen handelte. Die sowjetischen Abwehrmaßnahmen erfolgten autonom, ein Zusammenwirken mit der NVA oder den Grenztruppen der DDR gab es nicht."

Das ist alles sehr vage und Angaben über die betreffenden sowjetischen Offiziere und Offiziere der NVA werden von Uhl nicht gemacht.

Er führt noch eine weitere sowjetische Quelle an, die nur bedingt "an das bislang gültige Schema" anknüpft. Danach befahl Gorbatschow, dass die Truppen in den Kasernen blieben und "Botschafter Kotschemasow überprüfte die Erfüllung der Anweisungen des Kremls durch die Westgruppe der Truppen. Denn trotz aller Kontrolle durch Moskau sah sich die militärische Führung der sowjetischen Truppen in der DDR einer komplizierten Situation gegenüber und entwickelte durchaus ein Eigenleben. Auf scheinbare Gefährdungslagen meinte die Westgruppe mit den ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen reagieren zu müssen. Gerade aus diesem Grund wurden die Einheiten der Westgruppe der Truppen in der Nacht zum 10. November in 'Erhöhte Gefechtsbereitschaft' versetzt." Die "weitere sowjetische Quelle" wird hier leider nicht näher bezeichnet.
Ein Mangel ist: Einige Quellen werden nicht benannt. Andere Quellen, sind nur sekundär und fußen auf Autoren wie Hertle, Kowalcz/Wolle und andere. Ein Beispiel dafür: "Gleichwohl sollen in Moskau einige Hardliner im Militär sowie Deutschlandexperten des ZK der KPdSU erwogen haben, sowjetische Truppen einzusetzen, um die Grenze wieder zu schließen. Nach wenigen Stunden war dieser Spuk allerdings vorbei, denn niemand aus der Kremlführung wollte den militärischen Mechanismus in Gang setzen."

 

Fakt ist: Die sowjetischen Truppen griffen nicht ein. Auch das war eine Ursache für den Zusammenbruch der DDR. Wie das aber alles zustande kam, wer hier welche Fäden zog klärt auch Uhl nicht auf.

War das insgesamt gesehen - wie es ein Rezensent - ein "Sieg der Besonnenen" nennt?
Man kann das bezweifeln. Zu viele Widersprüche und Nichtgesagtes stehen noch im Raum. Unmittelbar Beteiligte halten sich mitunter leider noch bedeckt. Viele Quellen müssen ernsthaft überprüft werden. Das letzte Wort ist dazu noch nicht gesagt.

Trotz aller Mängel ist dieses Buch durchaus lesenswert. Denn es bringt viele historische Fakten, Zusammenhänge und Hintergründe zur Sprache. Man muss die subjektiven Ansichten der Autoren nicht teilen.
Eine umfangreiche Zeittafel und rund 50 Seiten "Ausgewählte Dokumente" schließen das Buch ab.

Horst Liebig