Gedanken zum Film im ZDF :"Tannbach - Schicksal eines Dorfes "
Vor kurzem lief im ZDF der oben genannte Dreiteiler. Er lief im Hauptprogramm des
Abends und erreichte ein Zuschauerquote von insgesamt 19,5 Millionen
Zuschauer, im Durchschnitt 6,5 Millionen pro Sendung.
Dieser Erfolg veranlasst die Macher und das ZDF zu erwägen den Film in mehreren
Folgen fortzusetzen.
Es ist nicht die Aufgabe dieses Beitrages, den Film allseitig zu analysieren und die
einzelnen Handlungsstränge zu untersuchen und zu werten. Das ist schon genug
anderweitig in den Medien geschehen.
Hier soll die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf Details gerichtet werden, die even-
tuell den Zuschauern entgangen sind oder ohne nach zu denken einfach hingenommen
wurden.
Das Modell für diesen Streifen bildet das Dorf Mödlareuth, gelegen an der Grenze
zwischen Thüringen und Bayern. Die von den Alliierten vorgeschriebene Grenz-
ziehung teilte das Dorf in zwei Teile und ordnete diese dem Osten und den Westen zu.
Hier sowjetische Besatzungszone und da US-amerkanische Besatzungszone. Soweit
das Vorbild Mödlareuth. Das gab es aber nicht nur in Mödlareuth. Alles andere im
Film ist Fiktion.
Eine Kuriosität: Mödlareuth an der Grenze zu Bayern und Thüringen, nicht etwa
Oberbayern, sondern Franken. Im Film aber sprechen die Schauspieler den ober-
bayerischen Dialekt. Was hat sich der Regisseur nur dabei gedacht? Das nur am Rande.
Also nun Tannbach. Kurz vor der Kapitulation erschießen SS-Leute die Frau des
Wehrmachtoffizier, Major Graf von Striesow. Der Graf und seine Tochter sehen
tatenlos zu, wie die Gräfin exekutiert wurde. Trotzdem wird der Graf von den US-
Behörden später interniert.
Zuerst besetzen die Amerikaner den ganzen Ort. Angesichts der Tatsache, dass ihr
Aufenthalt nur kurzzeitig währt, geben sie sich keine allzu große Mühe richtig für
Ruhe und Ordnung zu sorgen. Doch die Dienste des ehemaligen faschistischen
Ortsbauernführers - langjähriges Mitglied der Nazi-Partei - nehmen sie bereitwillig
an und nutzen seine Denunziationen für ihre Besatzungspolitik.
Im Sommer 1945 zieht die Sowjetarmee in Tannbach ein. Hier die sowjetischen
Soldaten zu Fuß, in zerschlissenen Uniformen, mit Panjepferden und -wagen. Darauf
Beutegüter und ihr Gepäck.
Dort US-Soldaten in geschniegelten und gebügelten Uniformen mit moderner Auto-
mobiltechnik. Diese im Film zur Schau gestellte optische Konfrontation war gewollt
und folgte offenbar einem Drehbuch von US-Stellen, dass fast überall dort
abgewickelt wurde, wo sich Sowjetarmee und US-Army 1945 begegneten.
Ausgedacht war das sicher von psychologischen Kriegern der USA.
Der Autor war Augenzeuge im Juli 1945 beim Einzug der Sowjetarmee in Leipzig
und hat fast das Gleiche erlebt.
Außen vor bleiben dabei Ursachen und historischen Zusammenhänge.
Während die Sowjetarmee in schweren blutigen, zähen Kämpfen auf ihrem
Kriegszug von Stalingrad bis nach Berlin, bis Deutschland die faschistische
Millionenarmee zurück trieb und einen unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod
führte, sah das vergleichsweise auf dem westlichen Kriegsschauplatz doch etwas
anders aus.
Die Basis der Sowjetarmee - der europäische Teil der UdSSR verwüstet, ausge-
plündert und fast nur noch "verbrannte Erde". Dagegen das Mutterland der USA,
unversehrt, mit prosperierender Industrie, die massenweise materielle Güter
produzierte. Nicht eine Bombe fiel während des Krieges auf die USA - Pearl Harbour
einmal hier ausgenommen.
Die militärischen Hauptkräfte der deutschen Wehrmacht waren nun mal nach wie vor
im Osten in Einsatz. Der geringere Teil im Westen. Dass soll nicht die militärischen
Leistungen der westlichen Alliierten schmälern. Obwohl heutzutage alles
nunternommen wird, den "X-day" den Tag der Invasion, zum Wendepunkt des Krieges
dazustellen. Der Wendepunkt war Stalingrad und die Schlacht im Kursker Bogen in
der Sowjetunion.
Nun ist das ein Fernsehfilm, der nicht die Aufgabe hat und in der Lage ist, das alles
den Zuschauern zu erklären. Wenn man gewollt hätte, wäre eine andere filmische
Umsetzung möglich gewesen. Sicher wollte man das aber nicht.
Im April 1945 begnügten sich die GI's mit einer flüchtigen Durchsuchung der Häuser
in Tannbach nach deutschen Soldaten.
Drei Monate später fielen Sowjetsoldaten - wie im Film zu sehen - brutal in die
Häuser ein und durchsuchten diese. Dabei fanden sie in einem Haus ein Hitlerbild.
Sie hatten nichts anderes zu tun, als die Familie an Ort und Stelle zu erschießen.
Wer das glaubt, drei Monate nach Kriegsende, glaubt auch im Himmel ist Jahrmarkt.
Gewiss gab es bei der Erstürmung der faschistischen Bastionen am Ende des Krieges
Gewaltakte, einschließlich Vergewaltigungen, durch Angehörige der sowjetischen
Armee, doch drei Monate später? Es war Ruhe eingekehrt und jeder Exzess von
sowjetischen Armeeangehörigen gegenüber der deutschen Bevölkerung wurde hart
geahndet.
Man sieht das alte Klischee. Hier die bösen Russen dort der gute Westen in Gestalt
der GI.
Zur Bodenreform im Film: Durchweg -von einigen kurzen Einblendungen einmal
abgesehen- wird die rechtmäßige Enteignung der Großgrundbesitzer- vor allem des
feudalen deutschen Adels - als Diebstahl bezeichnet.
Auch hier wird ausgeblendet, dass die Bodenreform historisch berechtigt war - zwar
von der sowjetischen Besatzungsmacht befohlen - doch durch die Initiative, dem
Wollen und Handeln von Tausenden landarmen Bauen und Landarbeitern getragen
und letztlich unter Führung der SED dann auch ausgeführt. Nur einmal kam das in
einer kurzen Szene nur skizzenhaft zum Ausdruck als Plakate mit dem Inhalt
"Junkerland in Bauernhand" im Dorf geklebt wurden. Mann reißt einfach ein
wichtiges Ereignis aus dem historischen Zusammenhang, so kann man auch besser
die Meinung der Zuschauer manipulieren.
Dass hier das Interesse ausgerechnet eines jungen Menschen, der nicht vom Lande
kommt sich mit seiner Neubauernstelle ein neues Leben versprach in den Mittelpunkt
der Handlung gestellt wird, wirkt doch recht konstruiert. Dazu kommt, dieser junge
Mann ist in die Tochter des Grafen verliebt, sie heiratet den Flüchtling ohne Hab und
Gut und beginnt den ihnen zugeteilten Boden recht und schlecht zu bearbeiten. Viel-
leicht hat es das wirklich gegeben. Und wenn schon, dann ist der menschlich verständ-
liche Prozess der Herauslösung der Tochter des Grafen aus der Feudalklasse der
Großgrundbesitzer hier nur holzschnittartig und grob gezeichnet. Doch auch das ist
wenig glaubhaft, zu mal der Graf sich ständig bemüht, seine Tochter in den Westen zu
locken.
Die Rolle der Staatsmacht im Osten repräsentiert der Landrat, ein noch ziemlich
junger Mann aus dem antifaschistischen Widerstand. Seine klischeehaften Aussagen
wirken doch recht aufgesetzt und hohl. Er versucht zwar hier und da einige
Ungerechtigkeiten und Missgriffe zu lindern oder auch abzuwenden. Es wirkt trotz
allem Bemühens doch recht aufgesetzt. Sein Pendant ein Mann in mittleren Jahren -
Mitarbeiter der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft Berlin -
Vorläufer des Ministeriums für Staatssicherheit - der im Film als Scharfmacher
auftritt. Später tritt diese Person als Oberleutnant der Staatssicherheit auf. In einem
Wortgefecht wirft ihm der Landrat vor, schon in frühen Jahren Mitglied der Nazipartei
gewesen zu sein und jetzt Mitglied der SED. Das ist historisch falsch. Im Gegensatz
zum westdeutschen Geheimdienst , der von Nazis, SS-Angehörigen und aktiven
Geheimdienstlern der Faschisten aufgebaut wurde gehörten dem MfS keine ehema-
ligen Nazis an. Letzten Endes wird der Landrat, der oft aus persönlichen Interesse
handelte, abberufen. Pikant ist, dieser Landrat verliebt sich in die Mutter des Offiziers
der Waffen-SS, der für das Erschießen der Gräfin verantwortlich zeichnet und die
tödlichen Schüsse auf seinem Befehl abgegeben wurden. Es entsteht ein Liebesverhält-
nis, das den Landrat in seinem Verhalten beeinflusst. Man musste wohl das dieser
Figur noch anhängen, ansonsten wäre er als Repräsentant der Staatsgewalt zu gut
weggekommen.
Zu den Grenzsicherungsmaßnahmen Mitte 1952: Als die geplante Einbindung der
BRD in die westliche Verteidigungsgemein schaft (EVG) akut wurde, und die
Westmächte auf Betreiben Adenauers die Vorschläge zur friedlichen Einheit Deutsch-
lands brüsk ablehnten, mussten gezwungenermaßen die UdSSR und die DDR
Maßnahmen zur verschärften Sicherung der Staatsgrenze zur BRD einleiten. Der
EVG-Vertrag wird im Film nur kurz genannt. Ursachen, Zusammenhänge und
Hintergründe interessieren die Macher aber nicht. Sonst hätten sie nach einer
gängigen filmischen Umsetzung suchen müssen. Das lag ihnen fern. Dafür setzen sie
die angeordnete Umsiedlung von Bürgern aus dem Grenzgebiet, die der DDR nicht
loyal gegenüberstanden, die engste Verbindungen zum Westen hatten oder
anderweitig aufgefallen waren, um nur einiges zu nennen, breit in Szene. Im Film
wird diese Aktion mit den angeblichen Namen "Ungeziefer" als willkürliche Hand-
lungen der DDR-Staatsmacht dargestellt. Die zur Aussiedlung betroffenen Bürger traf
das hart. Sie mussten ihre Heimat aufgeben, konnten nur einen Teil ihres Hab und
Gutes mitnehmen. Manch einer wurde ausgewiesen auf Grund von Denunziationen,
Hass oder auch Missgunst. So wurden mitunter auch offene Rechnungen im Nach-
barschaftsstreit beglichen.
Sachlich und faktisch sei dazu festgestellt: Das Grenzsperrgebiet umfasste 1952 mehr
als 500 Ortschaften und Städte mit insgesamt rund 345 000/389 000 Einwohnern.
Ausgesiedelt wurden rund 8 300 "unzuverlässige Elemente", wie man sie damals
amtlich bezeichnete. Leider wurden dabei auch drastische Maßnahmen ergriffen, die
nicht zu rechtfertigen sind. In einigen betroffenen Ortschaften kam es zu
Massenfluchten in den Westen. Hier arbeiten die Filmautoren dreist nach der heute
üblichen Devise: Nicht die Ursachen werden benannt, sondern das Ergebnis wird
breit ausgewalzt. Im übrigen war die Aussiedlung nur eine von vielen Maßnahmen -
wenn nicht gar von untergeordneter Bedeutung - zur Sicherung der Staatsgrenze.
Der Schusswaffengebrauch im Film: Natürlich wurde an der Demarkationslinie und
später an der Staatsgrenze der DDR zur BRD auch geschossen und auf der Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen. Es gab Verletzte und leider auch Tote. Jeder Tote war
einer zu viel. Zweimal wird das Schießen an dieser Grenze breit aufgerollt. Einmal
erschießt ein Tannbacher der westlichen Seite in der Uniform der bayerischen
Grenzpolizei einen Grenzpolizisten der DDR. Das sieht man nicht, aber man hört die
Schüsse. Es stellt sich heraus, dass der Erschossene ein guter Bekannter des
Todesschützen war. Ins Bild gesetzt wird dann die Trauerfeier auf der DDR-Seite.
Der Schütze der bayerischen Grenzpolizei, auf westlicher Seite, zeigt sich sehr
ergriffen und stammelt nur, es war ein Irrtum.
Beim zweiten Fall waren Grenzpolizisten der DDR die Schützen. Das Opfer, ein
junger Mann der zur Taufe des Kindes seines Bruders in den westlichen Teil von
Tannbach wollte. Die Person befand sich kurz vor der Grenze noch im Osten, als die
Grenzpolizisten der DDR das Feuer auf den mutmaßlichen Grenzverletzer eröffneten.
Einfach so, ohne Halteruf und Warnschuss, wie es eigentlich die damals geltenden
Schusswaffengebrauchsbestimmungen vorsahen. Der junge Mann fand dabei den
Tod. Diese Szene wird als Willkürhandlung der DDR-Staatsmacht dargestellt.Ohne
Kenntnis oder auch mit Wissen der Macher über die damalige konkrete Situation in
punkto Schießen zeigt man es so ,weil man es so will! Dass aber das Todesopfer ein
berüchtigter Grenzführer war , der illegal gegen Bezahlung Hunderte Menschen über
die Grenzen schleuste und noch nebenbei einen schwunghaften Schwarzhandel -
unter skrupelloser Ausnutzung des Währungsgefälle ausübte - wird nur kurz im Film
erwähnt.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, im Zeitraum Februar/März 1951 erschossen
und erschlugen US-Besatzer an der Staatsgrenze der DDR/Thüringen brutal und
hinterhältig drei DDR-Grenzpolizisten. Diese Bluttaten sind hieb- und stichfest in Ost
und West dokumentiert. Diese zweifelsfreien Morde blieben bis heute ungesühnt.
Man könnte noch einige Fälle in diesem Film aufzeigen, wo unterschwellig oder auch
offen, nach wie vor die Direktive der Delegitimierung der DDR als Handlungs-
muster bzw. -anleitung für Autoren und Regisseur dient. Nicht mehr plump und dreist
mit dem politischen Hammer, sondern mehr oder weniger geschickt verpackt, wird
hier der Zuschauer im Interesse des Mainstreams manipuliert.
Die angekündigten weiteren Teile von "Tannbach" lassen sicher nichts anderes
erwarten. Sicher werden die Parteigänger des Filmes von künstlerischer Freiheit reden.
Dazu das Bundesverfassungsgericht vorn fünfzig Jahren: "Soll der Bürger politische
Entscheidungen treffen, so muss er umfassend informiert sein, aber auch die
Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet
haben."
Ein guter und schöner, ein richtiger Satz. Der Autor ist der Meinung, das galt und gilt
für alle Medien - einschließlich Funk und Fernsehen - und auch für Filme die explizit
für das Fernsehen als öffentlich-rechtliche Anstalt produziert werden. Die öffentlich-
rechtlichen Anstalten - dazu gehört auch das Fernsehen - erhält von den Bürgern
Milliardenbeträge (siebeneinhalb Milliarden im Jahr), damit sie uns zutreffend infor-
mieren. Aber die Informationen die uns das ZDF mit "Tannbach" liefert sind
einseitig , parteiisch, zum Teil unwahr oder halbwahr, was noch gefährlicher ist.
Hier sind es nicht Nachrichten, Berichte oder Reportagen, sondern es ist ein künstlerisch-
es Produkt, womit man sich erhofft, einseitige Botschaften dieses dreiteiligen Epos
dem Zuschauer besser nahe zubringen.
Zum Schluss noch eine Szene aus dem letzten Teil. Der Graf wird ausgerechnet vom
Sohn des ehemaligen Nazi-Ortsbauernführer des Mordes an Zivilisten, darunter
Frauen und Kinder, in der Sowjetunion bezichtigt. Dem edlen Graf fällt darauf nichts
anderes ein sinngemäß zu sagen, die Schuld holt uns immer ein, damit müssen wir
leben.
Alles in allem das ZDF ist mit diesen Film seinem Auftrag nicht gerecht geworden.
Horst Liebig