Ausführungen

auf der festlichen Veranstaltung zum 70. Jahrestag

der Gründung der Grenzpolizei/Grenztruppen der DDR

 

Fritz Streletz, Generaloberst a.D. 

 

Liebe Genossinnen und Genossen! 

Liebe polnischen und tschechischen Kampfgefährten!

 

Mein Freund und Kampfgefährte, Genosse Banisch, hat sich ausführlich und überzeugend mit den Fragen

der Bildung, der Entwicklung und den Leistungen der Grenztruppen bzw. der Grenzpolizei befasst.

Es gibt gute Gründe, mit Achtung und Dankbarkeit an die fast 500.000 DDR- Bürger zu erinnern, die von

1946 bis 1990 als Grenzer ihre staatsbürgerlichen und militärischen Pflichten zum Schutz ihres Landes

und zur  Sicherung des Friedens erfüllt haben.

 

Ich möchte ergänzend zu den Ausführungen von Genossen Banisch einige Fragen im Zusammenhang mit

dem Warschauer Vertrag ansprechen.

 

Deshalb gestatten Sie mir einige Darlegungen zu der Problematik

 

Die Aufgabenerfüllung der Grenztruppen der DDR

im Rahmen der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages“

 

 

Ausgehend davon möchte ich kurz auf drei Fragen eingehen:

 

 1. Das Zusammenwirken der Grenztruppen mit der GSSD bei der Grenzsicherung

 2. Der Beitrag der Grenztruppen zur Friedenssicherung in der 40-jährigen Periode des Kalten Krieges

 3. Zu einigen Schlußfolgerungen

 

 

 Gestatten Sie mir, zur 1. Frage überzugehen.

 

Das Zusammenwirken der Grenztruppen mit der GSSD bei der Grenzsicherung

 

 Bekanntlich fasste der NVR auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges am 15. 09. 1961 auf Empfehlung

(Weisung) aus Moskau folgenden Beschluss:

 

Die deutsche Grenzpolizei wird dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt und das Kommando

 der Grenztruppen gebildet. Chef der Grenztruppen ist Oberst Erich Peter“

 

Es war einmalig im Warschauer Vertrag, dass die Grenztruppen dem Verteidigungsminister unterstellt wurden.

In allen anderen Staaten, einschließlich der Sowjetunion, unterstanden die Grenztruppen dem jeweiligen

Minister des Innern bzw. der Staatssicherheit.

 

Aus meiner Sicht gab es für diese Entscheidung vorrangig drei Gründe:

 

  1. Kein Land des Warschauer Vertrages hatte mit der NATO eine solche Staatsgrenze wie die DDR zur

     BRD, die 1.378 km umfasste. 

 2. Nirgendwo auf der Welt standen sich die modernsten und schlagkräftigsten Gruppierungen der NATO

    und des Warschauer Vertrages so unmittelbar in Grenznähe gegenüber wie auf dem Territorium der BRD

    und der DDR.

 3. In keinem Land des Warschauer Vertrages war es erforderlich, auf Grund der Anwesenheit von annähernd

     einer halben Million Angehöriger der Sowjetarmee, die militärische Grenzsicherung so eng mit der

     sowjetischen Seite abzustimmen wie auf dem Territorium der DDR.

 

Sicherlich gab es noch einige andere Beweggründe, auf die aber nicht näher eingegangen werden soll.

 

In Moskau herrschte Klarheit darüber:

 

Nur über den Minister für Nationale Verteidigung der DDR war es möglich, aktiven Einfluss auf die Gestaltung

des Grenzsicherungssystems, die Struktur, Bewaffnung, Ausrüstung und Ausbildung der Grenztruppen,das

Zusammenwirken zwischen der GSSD und den Grenztruppen sowie auf die Aufgabenerfüllung der

Grenztruppen im Verteidigungszustand zu nehmen.

 

 Auf der Grundlage der Vereinbarung im Warschauer Vertrag wurden von uns alle Vorschläge und

 Empfehlungen, aber auch alle Direktiven und Befehle aus Moskau im Zusammenhang mit der

 Grenzsicherung entsprechend unseren Möglichkeiten erfüllt.

 

Angefangen vom Ministerium für Nationale Verteidigung, über das Kommando der Grenztruppen, die

Grenzkommandos – Nord, - Süd und – Mitte sowie die Regimentskommandeure der Grenztruppen,

gab es ein enges, kameradschaftliches Zusammenwirken mit den jeweiligen Partnern der GSSD.

 

Jeder zur Gruppe neu zu versetzte Regimentskommandeur, Divisionskommandeur oder Armeebefehlshaber

hat in den ersten vier Wochen des Aufenthalts in der DDR gemeinsam mit Offizieren der Grenztruppen

seinen Grenzabschnitt besichtigt.

 

Periodisch haben auch die jeweiligen Oberkommandierenden der GSSD, ich nenne hier nur Armeegeneral

Iwanowski, Armeegeneral Saizew, Armeegeneral Snetkow und andere, mit den leitenden Kadern der GSSD

dank der aktiven Unterstützung durch das Grenzkommando – Nord und – Süd jeweils eine mehrtägige

Rekognoszierung des Grenzgebietes vorgenommen.

 

Im Stab der GSSD befanden sich auch die wichtigsten Dokumente der Grenztruppen die Struktur und

Dislozierung, die Bewaffnung und Ausrüstung,die Dokumentation über die Verminung der Staatsgrenze,

um nur die wichtigsten zu nennen.

 

Schlußfolgernd kann festgestellt werden:

 

Auf allen Führungsebenen der Grenztruppen gab es ein enges und kameradschaftliches

Zusammenwirken mit den Partnern der GSSD.

 

 

Gestatten Sie mir, zur 2. Frage über zu gehen:

 

Der Beitrag der Grenztruppen zur Friedenssicherung in der 40-jährigen Periode des

Kalten Krieges

 

 Während dem in Polen bzw. in der Sowjetunion in der westlichen strategischen Richtung  eine polizeiliche

 Grenzüberwachung durchgeführt wurde, gab es in der DDR auf Grund der militär- geografischen

 Lage eine moderne militärische Grenzsicherung.

 

 Immer bestand das Grundanliegen darin, durch eine gut organisierte militärische Grenzsicherung eine

 Überraschung durch den Gegner auszuschließen.

 

Erfahrung der Sowjetunion von 1941!

 

An der Grenze zur BRD befanden sich bereits in Friedenszeiten, bildlich gesprochen, mit dem

Grenzkommando- Nord und -Süd zwei Divisionen und mit dem Grenzkommando-Mitte in Berlin eine Division 

im ständigen Gefechtseinsatz.

 

Ich möchte vor diesem Forum nicht auf die Schwere und die vielen Belastungen des Grenzdienstes eingehen,

da sie allen hier Anwesenden bestens bekannt sind.

 

Die Kommandeure der GSSD und der Landstreitkräfte der NVA wussten, dass sie ihre Aufgaben im

Verteidigungszustand ob bei der Abwehr einer Aggression des Gegners und dem nachfolgenden Übergang

zur Gegenoffensive, oder der standhaften Verteidigung des Territoriums der DDR nur im engen

Zusammenwirken und mit aktiver Unterstützung der Grenztruppen erfüllen können.

In einer Spannungsperiode bzw. im Verteidigungszustand wären 30% der Angehörigen der Grenzkommandos –

Nord und -Süd Kommandeuren der NVA und 70% sowjetischen Kommandeuren unterstellt worden.

 

Deshalb hatte auch die militärische Ausbildung der Angehörigen der Grenztruppen eine große Bedeutung.

Deshalb konnte jeder entlassene Angehörige der Grenztruppen im Verteidigungszustand als Reservist der

Landstreitkräfte einberufen werden.

Denn im Verteidigungszustand hätte es nur eine Grenzüberwachung und keine Grenzsicherung mehr gegeben.

Deshalb beinhaltete der jährliche Befehl 101 des Ministers für Nationale Verteidigung die Festlegung, von der

Ausbildungszeit 30 bis 40% für die Erfüllung der Aufgaben in Friedenszeit und 60 bis 70% für die Vorbereitung

auf die Aufgaben im Verteidigungszustand zu nutzen.

 

Um den anspruchsvollen Aufgaben gerecht zu werden, haben die beiden Chefs der Grenztruppen,

General Peter und General Baumgarten sowie eine Reihe leitender Kader der Grenztruppen, wie z.B.

Genosse Banisch, auch die Generalstabsakademie in Moskau absolviert.

 

Einige Bemerkungen zur Sicherung der Seegrenze

 

Außer der Sicherung der Grenze zur BRD und zu Westberlin, war auch die Seegrenze zu sichern und eine

festgelegte Ordnung aufrecht zu erhalten.

Mit Übergang der Grenztruppen der DDR in die Unterstellung des Ministers für Nationale Verteidigung, wurde

die 6. Grenzbrigade Küste dem Stellvertreter des Ministers und Chef der Volksmarine operativ unterstellt.

 

Die Grenzbrigade Küste hatte schwerpunktmäßig folgende Aufgaben zu erfüllen:

 

Gewährleistung des Beobachtungssystems (visuell-optisch und technisch), des Systems der landseitigen

Grenzsicherung, des Systems der seeseitigen Grenzsicherung und des Zusammenwirkens mit den Kräften

der Volksmarine.

Außerdem erfüllten die Angehörigen der Grenzbrigade Küste wichtige Aufgaben im Interesse der verbündeten

Ostseeflotten der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages.

 

 

Der Nationale Verteidigungsrat der DDR, dessen Sekretär ich 17 Jahre lang war, hat sich periodisch mit

der Lage an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin befasst.

Dabei wurden nicht nur die militärischen Aspekte behandelt, sondern auch die Problematik des zivilen Sektors

im Grenzgebiet.

Deshalb waren auch die 1. Sekretäre und Vorsitzenden der Bezirkseinsatz-leitungen aus den beiden

wichtigsten Grenzbezirken, Magdeburg und Suhl, immer Mitglied des NVR.

Durch diese beiden leitenden Kader konnten im NVR auch alle Belange der Bevölkerung im Grenzgebiet

sach- und fachbezogen behandelt werden.

 

 

Auch nach der Annahme der neuen Verteidigungsdoktrin des Warschauer Vertrages, am 29. Mai 1987

in Berlin, kamen auf die Grenztruppen eine Reihe neuer und zusätzlicher Aufgaben zu.

 

Der 1. Verteidigungsstreifen der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages verlief im Grenzgebiet der

DDR zur BRD.

Deshalb befanden sich in den Lagern der Grenztruppen in Grenznähe noch 1990: 86. 400 Panzerminen, 

65. 600 Infanterieminen, 187 t Sprengstoff.

 

Aus dem Gesagten ergibt sich:

 

Die militärische Grenzsicherung der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin erfolgte im Auftrage

des Warschauer Vertrages, im Interesse des Warschauer Vertrages und zum Schutz der Staaten des

Warschauer Vertrages in der westlichen strategischen Richtung.

 

Diese Maßnahmen waren ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung in Europa.

 

Ich komme zur 3. Frage

 

Zu einigen Schlussfolgerungen

 

Während der Block-Konfrontation und des Kalten Krieges wurden die Leistungen und Verdienste der

Grenztruppen der DDR bei der Friedenssicherung weltweit gewürdigt.

 

Zwei Beispiele sollen das veranschaulichen:

 

1. In der Zeit von 1961 bis 1990 haben

   30.000 Delegationen aus 120 Staaten

   die Grenzsicherungsanlagen und die Ausstellung am Brandenburger Tor besucht.

   Dabei wurde mit Lob und Hochachtung vor den Leistungen der Grenzsoldaten nicht gespart.

 

2. Am 16. 04. 1986 wurde durch Gorbatschow beim Besuch der Staatsgrenze in Berlin folgende Eintragung

   in das Gästebuch des Stadtkommandanten am „Brandenburger Tor“ vorgenommen.

 

Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wie viel Kraft und

wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden vor den

Anschlägen des Klassenfeindes erfordert.

Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen.

Das Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR

sowie das enge Zusammenwirken der Bruderländer im Rahmen des Warschauer Vertrages.

 

Ewiges Andenken an die Grenzsoldaten, die ihr Leben für die sozialistische DDR gegeben haben".

 

16. 04. 1986  M.S. Gorbatschow

 

Als Gorbatschow diese Eintragung in das Gästebuch des Stadtkommandanten 1986 vornahm, handelte er

nicht als Privatmann, sondern als höchster Repräsentant des sozialistischen Lagers und zugleich als

Oberster Befehlshaber der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages und damit als international

anerkannter höchster Vorgesetzter aller Armeen des Warschauer Vertrages.

 

Diese Eintragung von Gorbatschow in das Ehrenbuch am „Brandenburger Tor“ war für die Grenztruppen der

DDR eine Bestätigung ihres gesetzlichen Auftrages und gleichzeitig eine Bestätigung der Notwendigkeit und

Richtigkeit der zuverlässigen militärischen Sicherung der Staatsgrenze.

 

Leider war Gorbatschow nicht bereit, beim Honecker – Prozess als Zeuge auszusagen und sich zu dieser

Eintragung zu äußern.

 Er war jedoch bereit, sich in Westberlin ausführlich zur sogenannten Mauer zu äußern.

Am 20. 12. 2004 hat er sich vor Schülern der Hildegard-Wegschneider-Oberschule in Berlin-Wilmersdorf wie

folgt geäußert:

 

Wenn ich mich an die Mauer in Berlin erinnere, spüre ich heute noch Entsetzen

  über dieses Bauwerk“

 

So wandeln sich die Zeiten und die Menschen.

Gorbatschow wurde nach 1990 im „Rechtsstaat“ Deutschland mit höchsten Ehrungen bedacht.

Er ist heute mehrfacher Millionär.

 

Mehr als 250 leitende Kader der DDR und Angehörige der Grenztruppen wurden wegen des

verfassungsgemäßen Schutzes der Staatsgrenze verfolgt, verurteilt und nicht zuletzt mit hohen

Verfahrenskosten belegt.

 

Wie die früheren leitenden Kader der Sowjetarmee Gorbatschow einschätzen, ist in dem Buch von

Armeegeneral Gribkow ersichtlich.

 

In seinem Buch „Der Warschauer Pakt“ nimmt Armeegeneral Gribkow eine Einschätzung von Gorbatschow aus

militärischer Sicht vor.

Armeegeneral Gribkow war über 12 Jahre Erster Stellvertreter des Oberkommandierenden und Chef des Stabes

der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages. Auf Seite 76 schreibt er:

 

Die Autorität des Generalsekretärs und Präsidenten Michael Gorbatschow nahm immer mehr ab

und erreichte schließlich den Nullpunkt.

Er konnte nicht zuhören, dafür aber stundenlang über die Perestroika und die menschlichen

Werte reden.

Im Ergebnis seiner Perestroika zerfiel nicht nur der mächtige Staat, sondern auch dessen

politisches System und ökonomisches Potenzial.

Die Armee wurde zerrüttet. Er verriet alle seine Verbündeten im Warschauer Pakt.

Nun fliegt er durch die Welt, erhält kleine Gaben, Auszeichnungen und Titel.

Man hofiert ihn in Deutschland und Amerika. Ihm wurde anstelle von General Bersarin, der sich

um Berlin bleibende Verdienste erworben hat, die Ehrenbürgerschaft dieser Stadt verliehen.

Ich denke, dass später einmal die Geschichte über Gorbatschow ein objektives und strenges

Urteil sprechen wird.“

 

Alle Marschälle, Generale und Admirale mit denen wir heute noch Kontakte haben, stimmen

dieser Einschätzung von Armeegeneral Gribkow voll zu.

 

 

Nach meiner Einschätzung waren die DDR, die Nationale Volksarmee und die Grenztruppen in den 35 Jahren

des Bestehens des Warschauer Vertrages immer ein zu verlässiger und berechenbarer Partner.

 

Kein Land im Warschauer Vertrag hatte so vielfältige und umfangreiche Aufgaben im Interesse des

Bündnisses und der Sowjetunion zu erfüllen, wie die DDR.

 

Kein Land im Warschauer Vertrag hat so gewissenhaft und termingerecht alle Verpflichtungen dieses

Bündnisses erfüllt, wie die DDR.

 

Kein Land im Warschauer Vertrag wurde von der Sowjetunion, d.h. von Gorbatschow und Schewardnadse

so in Stich gelassen und verraten, wie die DDR.

 

Gestatten Sie mir abschließend folgendes zu unterstreichen:

 

 Jeder Angehörige der Grenztruppen der DDR kann auch heute, erhobenen Hauptes und mit Stolz auf

seinen geleisteten Ehrendienst zurückblicken.

Er hat seine Aufgaben nach dem Recht und den Gesetzen des Staates erfüllt, der von 138 Staaten der Welt

anerkannt war.

 

Die internationale Autorität der DDR war nicht schlechter als die der BRD.

 

Keiner von uns hat einem „Unrechtstaat“ gedient.

 

Ich bin fest davon überzeugt, trotz der vielen Verleumdungen, Diskriminierungen und Kriminalisierungen wird

die Geschichte ein gerechtes Urteil über den Beitrag der Grenztruppen der DDR zur Erhaltung des Friedens

in Europa fällen.