"Halt – Staatsgrenze"

 


Um die Jahreswende 2015/2016 gab es eine Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die DDR. Sie vermittelten sehr aufschlussreiche Erkenntnisse über die DDR und wohl mehr noch über den aktuellen Wissenschaftsbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Gegenstand.

Beispiel für die extreme Bandbreite ist auf der einen Seite die Studie „Testen im Osten. DDR-Arzneimittelstudien im Auftrag westlicher Pharmaindustrie 1964 – 1990 vom Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité Jahre nach Skandalberichten über „Menschenversuche“ in der DDR erbrachte eine seriöse Untersuchung des Ergebnis: Die entsprechenden medizinische Forschung erfolgte in DDR nach internationalen Standards, die zu jener Zeit auch in der Bundesrepublik üblich waren. Vorteile für die DDR ergaben sich dabei aus der Organisation ihres Gesundheitswesens. Unabhängig vom konkreten Ergebnis kann diese Studie als Beispiel für seriöse wissenschaftliche Arbeit am Gegenstand dienen.

Das andere Ende des Spektrums markiert Christiane Schulte mit „Der deutsch-deutsche Schäferhund – Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme“ . Da wird der ganze Jammer vorgeblicher Wissenschaftlichkeit bei der Auseinandersetzung mit der DDR am Beispiel der „Mauerhunde“ demonstriert.

Nach dem Abschluss ihres Projektes machten die hinter dem Pseudonym stehenden VerfasserInnen deutlich, wie die frei erfundene Abstammung der „DDR-Mauerhunde“ von den Wachhunden der faschistischen Konzentrationslager trotz offenkundiger satirischer Fingerzeige Eingang in den aktuellen Wissenschaftsbetrieb finden konnte.

Den Grund dafür sehen sie darin, dass der Text „das Vokabular der neuesten akademischen Mode aufgriff und gleichzeitig altbekannte Rhetorik zum ‚DDR-Unrechtsstaat’ reproduzierte. Akademische Mode kombiniert mit politischem Konformismus – der Vortrag parodierte zwei klassische Strategien akademischer Ein- und Unterordnung und erschien gerade deshalb als "kritisch" und "innovativ".“

Vor dem Hintergrund dieses breiten Spektrums ist zu fragen, wo sich der Ende 2015 vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegebene Band 24 seiner Reihe zur Militärgeschichte der DDR einordnet.

 

Unter dem Titel „Halt – Staatsgrenze! Alltag, Dienst und Innenansichten der Grenztruppen der DDR“ handelt es sich um eine im Jahr 2012 von Major Jürgen Maurer an der Universität der Bundeswehr Hamburg verteidigte Dissertation.

Sein auf S. 9 benanntes Ziel ist es, durch „eine wissenschaftliche Analyse der Grenztruppen in besonderem Maße zum Verständnis der DDR und ihres Charakters als diktatorisches System“ beizutragen. Dieses Ziel soll – so wurde bei der Buchpräsentation klargestellt - mit Glaubwürdigkeit und wissenschaftlicher Belastbarkeit verfolgt werden.

Es handelt sich mithin um ein eindeutig politisches Ziel. Wo es sich mit seinen wissenschaftlichen Ergebnissen in der eingangs umrissenen Bandbreite der Literatur zum Thema einordnet, soll hier näher betrachtet werden.

Eine Grundidee der Arbeit ist es, Abschnitte der Staatsgrenze der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, zu BERLIN (WEST) und zur CSSR zu vergleichen.

Zur Vereinfachung seiner Arbeit macht der Autor zwei wesentliche Einschränkungen.

Zunächst setzt er je ein Grenzregiment an der Grenze zur BRD und zu Westberlin als repräsentativ für die gesamte Grenze. Diese Auswahl begründet er mit den für diese Strukturen verfügbaren Archivalien sowie mit der Feststellung, „dass viele Faktoren wie etwa die Struktur, der Grenzdienst und die Überwachung durch das MfS durch zentrale Vorschriften, Weisungen und Richtlinien bestimmt waren“. Das eröffne „die Möglichkeit, diesen Dienst in den jeweiligen drei Teilbereichen für das gesamte Kommando oder den Grenzabschnitt exemplarisch an einem Grenzregiment darzustellen.“

Diese Begründung ist für einen aktiven Offizier mit Afghanistan - Erfahrung schon erstaunlich. Schließlich will er in wesentlichen Teilen seiner Arbeit das Alltagsleben in den Grenztruppen darstellen. Gerade dieses „Alltagsleben“ wurde hinsichtlich der aus dem Dienst erwachsenden Belastungen erheblich davon geprägt, ob es sich um Truppenteile und Einheiten handelte, die in den Hauptrichtungen mit den Auswirkungen zahlreicher Alarmierungen („Grenzalarme“) zu kämpfen hatten, oder eben nicht.

Der ausgewählte Untersuchungszeitraum „zwischen 1970/71 und der Mitte der1980er Jahre als »Höhepunkt« des DDR-Grenzregimes“ bezeichnet, ist die zweite wesentliche Einschränkung.

Diese Einschränkung hindert ihn freilich nicht, Unterlagen aus anderen Zeiträumen zur Begründung seiner Ansichten heranzuziehen, wenn es dem Zweck zu dienen scheint.

Von den bisher beherrschenden Publikationen über die Grenztruppen der DDR unterscheidet sich die vorliegende Arbeit in zwei wesentlichen Punkten.

Das „Alltagsleben“ in den Grenztruppen wird in seinen vielfältigen Erscheinungen und den extremen Belastungen erfasst, auch wenn die Tendenz vorherrscht, einzelne Erscheinungen ohne nähere Untersuchung für das Ganze zu nehmen.

Bemerkenswert ist, dass die bisher weitgehend in Abrede gestellte „doppelte Aufgabenstellung“ – d.h. die Verbindung der Aufgaben in der Grenzsicherung mit Einbeziehung in die Landesverteidigung – dargestellt wird.

Damit unterscheidet sich Maurer von den bisher vorherrschenden Publikationen zur Sache.

Da wurde und wird die Einordnung der Grenztruppen in die Landesverteidigung in Abrede gestellt. Mit Blick auf die Darstellung des „Alltagslebens“ – in dem viele extreme Belastungen gerade aus dieser doppelten Aufgabenstellung erwuchsen – war diese Erkenntnis wohl nicht zu vermeiden.

Darüber hinaus gilt: So deutlich das Ziel der politischen Delgitimierung der DDR beschrieben wird, so problematisch ist die Methode.

Das ist bereits an der zentralen Frage jeder Untersuchung zu den Grenztruppen der DDR festzumachen, wenn es heißt: „Die zentrale Aufgabe der Grenztruppen bestand gemäß dem Nationalen Verteidigungsrat der DDR in der »Verhinderung jeder Verletzung der Staatsgrenze der DDR und der Ausdehnung von Provokationen des Gegners auf das Staatsgebiet der DDR«.“

Die Fußnote, mit der dieses Zitat belegt wird, verweist auf das Protokoll der 4. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 20. Januar 1961, (Bundesarchiv Signatur DVW 1/39461, Bl. 49).

So ein Zitat mag bei unbefangenen Lesern der Glaubwürdigkeit aufhelfen.

Aber im Januar 1961 konnte der Nationale Verteidigungsrat der DDR noch keine „zentrale Aufgabe der Grenztruppen“ festlegen, denn da gab die noch nicht. Die Unterstellung der Grenzpolizei unter das Ministerium für Nationale Verteidigung erfolgte - wie der Autor selbst bemerkt - durch Befehl des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates erst zum 15. September 1961, zunächst als „Kommando Grenze“, später als „Grenztruppen der NVA“.

Und auf Blatt 49 des Protokolls der Sitzung am 20. Januar 1961 ging es um das NATO-Manöver Hold Fast.

Hätte der Autor sich - wie von ihm auf S. 10 angekündigt - mit der „Entwicklungsgeschichte der Grenztruppen“ befasst „und eine differenzierte Betrachtung ihrer sich wandelnden Organisationsstruktur“ abgeliefert, dann hätte ihm die tatsächliche Bedeutung jener Sitzung auffallen müssen: An diesem Tage stand die Umgruppierung der Kräfte der Deutschen Grenzpolizei auf der Tagesordnung.

Danach wurde die relativ gleichmäßige Verteilung der Grenzkompanien entlang der gesamten Staatsgrenze der DDR beendet. Viele Einheiten wurden von den Grenzen zur CSSR und zur VR Polen nach Berlin bzw. an die Grenze zur BRD verlegt. An der östlichen und südlichen Grenze der DDR erfolgte der Übergang zur Grenzüberwachung. Korrekt ging es darum, „die Sicherung der Staatsgrenze West entschieden zu verbessern und die Wirksamkeit des Einsatzes der Deutschen Grenzpolizei im Falle einer Aggression zu erhöhen“ (Protokoll, Blatt 6).

Die von Maurer als Zitat ausgewiesene Formulierung ist frei erfunden. Wissenschaftliche Belastbarkeit sieht anders aus.

Darüber hinaus sind auch weitere Grundzüge des methodischen Herangehens nicht haltbar.

Es ist wissenschaftlich schlicht beschämend, wenn auf Seite 418 der Anschein erweckt wird, Regelungen des Strafgesetzbuches der DDR (erlassen 1968), und des Grenzgesetzes (erlassen 1982) seien gleichzeitig mit der bereits am 18. Juni 1954 aufgehobenen Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie vom 27. Mai. 1952 in Kraft gewesen.

Hier wird eine Grundtendenz deutlich, der das gesamte Buch durchzieht und weit über die Vielzahl möglicher Nennungen von Einzelfehlern hinaus reicht.

Dem Autor scheint (mindestens hinsichtlich der Grenztruppen der DDR) jeder Entwicklungsgedanke fremd zu sein. Daher kann er teilweise mehrere Jahrzehnte auseinander liegende Erscheinungen so miteinander verbinden, dass ein passendes Bild entsteht.

Erst diese Methode macht viele der vom Autor gewünschten Schlüsse möglich.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten:

Major Maurer will den Nachweis zu erbringen, dass sich die Angehörigen der Grenztruppen der DDR selbst genau so gesehen haben, wie sie von der / in der BRD gesehen wurden und werden, er überträgt seine Denkmuster auf die Angehörigen der Grenztruppen. Das wurde schon vor Jahrzehnten „Spiegeldenken“ genannt.

Das Buch ist im eingangs genannten Spektrum nicht nur vom Thema sondern auch von der Qualität her in der Nähe der Mauerhunde angesiedelt.

 

Dr. Artur Pech

 

 

MILITÄRGESCHICHTE DER DDR, Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam, Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 24: Jochen Maurer, Halt - Staatsgrenze! Alltag, Dienst und Innenansichten der Grenztruppen der DDR Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

© Christoph Links Verlag GmbH, 2015, ISBN: 978-3-86153-863-9

 

 

 

 

 

Offener Brief                                                                                    April 2016

 


Zentrum für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
z. H. des Kommandeurs Oberst Dr. Mack
Zeppelinstr. 127/ 128
14471 Potsdam

 


Sehr geehrter Herr Oberst,

 

als ehemalige Offiziere der Grenztruppen der DDR, die sich aufgrund ihrer Entwicklung und Qualifikation einen kritischen und selbstkritischen Rückblick auf das eigene Handeln und Erleben bewahrt haben, verfolgen wir aufmerksam die erscheinende Literatur zu Grenzregime und Grenztruppen der DDR, insbesondere jene, die einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt.

So haben wir den Forschungsband 24 mit dem Titel „Halt- Staatsgrenze“ zur Kenntnis genommen, den das durch Sie geleitete Zentrum für Militärgeschichte Ende 2015/ Anfang 2016 der Öffentlichkeit vorstellte.

Wir hatten vom Zeitpunkt des Erscheinens der Arbeit her ( 26 Jahre nach Auflösung der Grenztruppen der DDR), vom beträchtlichen Umfang der Arbeit und von der wissenschaftlichen Reputation des Herausgebers her erwartet, auf neue Erkenntnisse zur Sache zu stoßen.

Diese unsere Erwartung wurde zutiefst enttäuscht.

Der Band zeichnet ganz im Gegenteil ein Bild von den Grenztruppen der DDR, das mit der historischen Realität wenig zu tun hat. Der Band ist in einem Maße voller sachlicher Fehler, unbewiesener Behauptungen, Unwahrheiten und Verfälschungen, dass er weder den Anspruch an die Qualität wissenschaftlicher Arbeit generell und schon gar nicht den Anspruch an Forschungsarbeit erfüllt.

Die Arbeit enthält eine Vielzahl sich widersprechender Aussagen, so, als ob der Autor an einer Stelle nicht mehr gewusst hätte, was er an einer anderen schrieb.

 

Wir verwenden für unseren Widerspruch die Form des Offenen Briefes, weil wir die Öffentlichkeit in dem für uns erreichbaren Maße darauf aufmerksam machen wollen, dass mit dieser neueren Veröffentlichung eine Negativfolie über die Grenztruppen der DDR gelegt wird, die der historischen Wahrheit widerspricht, und die die vorsätzliche Diskreditierung der DDR und ihrer Streitkräfte damit in wissenschaftlicher Form fortsetzt.

Der Autor Jochen Maurer räumt selbst unumwunden im Eingangsteil seiner Arbeit ein, dass er das Ziel verfolge, in der Gesellschaft immer noch vorhandene positive Sichten auf die DDR überwinden zu helfen, indem er „ihren Charakter als diktatorisches System“ erhellt. (S. 9)

Das aber ist ein politisches Ziel, das das wissenschaftliche Ergebnis sozusagen vorweg nimmt.

Die Arbeit dient vorsätzlich der Herabwürdigung der Grenztruppen der DDR als Sicherheitsorgans dieses Staates, der damit gleichermaßen erneut diskreditiert werden soll. Dabei wird, von zahlreichen Fehlern abgesehen, mit Unterstellungen und Verfälschungen gearbeitet.

Das ist einer wissenschaftlichen Einrichtung unwürdig.

In der Anlage belegen wir die wissenschaftliche Fragwürdigkeit der Arbeit mit Beispielen, deren Anzahl sich erweitern ließe.

Wissenschaftlich fragwürdig ist auch die Methodik der Arbeit, die ausgewählte Truppenteile der Grenztruppen miteinander vergleicht (Grenze zur Bundesrepublik, Grenze zu BERLIN (West) und Grenze zur CSSR).

Dabei werden viele Banalitäten als wissenschaftliche Erkenntnis dargestellt, die auch jedem Uneingeweihten von vorn herein klar sind und andererseits bleibt offen, ob und inwiefern die gewählten Truppenteile tatsächlich für die Gesamtheit der Grenztruppen aussagekräftig stehen können.

Es gab auch in den Grenztruppen Haupt- und Nebenrichtungen, in denen sich die Verhältnisse schon gravierend unterschieden.

Wir jedenfalls haben in anderen Grenztruppen als den in der Arbeit beschriebenen gedient.

Ja, die Opfer an dieser Grenze hätte es nicht geben dürfen und auch nicht geben müssen.

Die DDR hat in der Zeit des Kalten Krieges diesbezüglich Schuld auf sich geladen.

 

Dennoch bleibt es Tatsache, dass Zehntausende DDR- Bürger als Freiwillige und als Wehrpflichtige in den Grenztruppen der DDR gedient und zum Schutz dieses Staates aus eigener Überzeugung beigetragen haben.

Die Grenztruppen waren zu keiner Zeit das in der Arbeit beschriebene innerlich zersetzte und zerfressene Organ, obgleich es unbestritten innere Probleme gab.

Würde die Beschreibung des Autors, in der immer einzelne Fakten für das Ganze genommen werden, der historischen Wahrheit entsprechen, wären die Grenztruppen letztlich gar nicht handlungsfähig gewesen.

 

Sie waren aber bis zum Ende der DDR, bis zu ihrer Auflösung ein voll handlungsfähiges Staatsorgan.

 

Das ist eine historische Tatsache.

Nicht mehr handlungsfähig war zum letzteren Zeitpunkt die politische Führung des Staates, aber das ist ein bekanntes anderes Thema.

Die diskriminierende Herangehensweise der Arbeit wird schlaglichtartig deutlich, wenn man die Beurteilung der Rolle der Grenztruppen beim historisch zu nennenden friedlichen Verlauf der Grenzöffnung 1989 betrachtet.

 

Der Ihnen bekannte Politikwissenschaftler und Autor Peter Joachim Lapp schreibt dazu in seinem Buch von 2014 zur Offiziershochschule der Grenztruppen: „Was bleibt? In Wende und Friedlicher Revolution, in der Phase des politischen Umbruchs und der bevorstehenden deutschen Einheit haben sich die Angehörigen der Grenztruppen in ihrer absoluten Mehrheit besonnen und selbstlos verhalten und den Primat der Politik uneingeschränkt akzeptiert. Dafür gebührt ihnen im vereinten Deutschland dauerhaft Respekt und Dank“. (S. 159)

 

In dem durch Sie verantworteten Band liest man zum gleichen Sachverhalt zum Abschluss: „Spannend bleibt zu guter Letzt die Frage, ob der innere Zerrüttungs- und Spannungsprozess, der die Grenztruppen spätestens Ende der 80er Jahre erfasst hatte, zur friedlichen Öffnung der Mauer führte.“ (S. 453)

Man weiß nichts Genaues, aber man sät Zweifel an der persönlichen Integrität der Angehörigen der Grenztruppen und ihren Motiven in diesem historischen Prozess.

Respekt und Fairness wenigstens sind dem Autor fremd.

 

Als „Insider“ wollen wir die Öffentlichkeit vor solcher Geschichtsumschreibung warnen.

 

Es ist wohl im vereinten Deutschland an der Zeit, eine sachlich- objektive Geschichtsschreibung der ideologisch belasteten vorzuziehen.

 

Der Kalte Krieg sollte vorbei sein.

 

 


Oberst a. D. Dr. Hartmut Jentsch Seifhennersdorf

Oberstleutnant a. D. Dr. sc. Artur Pech Schöneiche

Oberst a. D. Dr. Rolf Ziegenbein Dresden

 

Anlage

 

Kontakt: Dr. Rolf Ziegenbein, Prießnitzstr. 36, 01099 Dresden, Tel. 0351 8012446.

 

 

 

Anlage

Verfälschungen und Unterstellungen

 

S. 38 ff

Unter Berufung auf andere Quellen werden NVA und Grenztruppen als „totalitäre Institutionen“ bezeichnet.

Damit wird die Totalitarismustheorie in den Text eingeführt, die Nazi- Regime und DDR als zwei Diktaturen gleichsetzt. Auf diese Weise sollen von vornherein alle Unterstellungen gerechtfertigt werden.

Es ist eine durchgängige Methode der Arbeit, in beliebiger Weise NVA und Grenztruppen einerseits gleichzusetzen, andererseits streng zu unterscheiden und entgegenzusetzen.

Die Wahl des jeweiligen Herangehens ist davon abhängig, wie sich negative Aussagen leichter belegen lassen

 

S.80/ 83 ff

 

Im Abschnitt III der Arbeit wird versucht, die Doppelrolle der Grenztruppen darzustellen.

In der Tat hatten die Grenztruppen in der gesamten Zeit ihrer Existenz die Aufgaben, unkontrollierte Grenzübertritte zu unterbinden und einen Beitrag zur Landesverteidigung unmittelbar an der Staatsgrenze zu leisten. Sie hatten also immer auch bereit zu sein, in Gefechtshandlungen einzutreten.

Obgleich im Buch diese Doppelrolle charakterisiert wird, behauptet der Autor im Abschnitt zuvor, dass „Strategie und Struktur der Grenztruppen“ immer einzig und allein „von der Aufgabe der Fluchtverhinderung“ bestimmt wurden.

Das ist eine sachlich falsche Behauptung.

Struktur, Ausbildung und Ausrüstung der Grenztruppen waren zu jeder Zeit darauf ausgerichtet, die Fähigkeit zur Erfüllung beider Aufgaben zu gewährleisten.

Sie waren nie einzig und ausschließlich auf Fluchtverhinderung orientiert. Dem entsprachen übrigens auch die gewählten Dienstsysteme, die der Autor ohnehin nicht verstanden hat.

Außerdem widerlegt sich der Autor hier in einer grundlegenden Aussage selbst.

Ehemalige Militärs der DDR haben behauptet, die Grenztruppen hätten ausschließlich der Landesverteidigung gedient.

Das ist ebenso falsch, wie das im Buch behauptete Gegenteil.

 

S. 86 ff

 

Die Oberflächlichkeit und die als Folge auftretende Fehlerhaftigkeit auch im Umgang mit Quellen soll beispielhaft an der weiteren Untersuchung der Zweckbestimmung der Grenztruppen
belegt werden.

Auf der genannten Seite heißt es: „Die zentrale Aufgabe der Grenztruppen bestand gemäß dem Nationalen Verteidigungsrat der DDR in der <Verhinderung jeder Verletzung der Staatsgrenze der DDR und der Ausdehnung von Provokationen des Gegners auf das Staatsgebiet der DDR>“.

Die Fußnote, mit der dieses Zitat belegt wird, verweist auf das Protokoll der 4. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 20. Januar 1961, Bundesarchiv /Militärarchiv, Signatur DVW 1/39461, Bl..49.

So ein Zitat mag bei unkundigen Lesern der Glaubwürdigkeit aufhelfen. Tatsächlich konnte der Nationale Verteidigungsrat der DDR im Januar 1961 aber keine „zentrale Aufgabe der Grenztruppen“ festlegen, denn die gab es da noch nicht.

Die Unterstellung der Deutschen Grenzpolizei unter das Ministerium für Nationale Verteidigung erfolgte per Befehl des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates erst zum 15. September 1961, zunächst als „Kommando Grenze“, später als „Grenztruppen der NVA“.

Und auf dem vom Autor angegebenen Blatt 49 des Protokolls der Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 20. Januar 1961 ging es um die Auswertung des NATO- Manövers „Hold Fast“.

Hätte sich der Autor, wie auf Seite 10 behauptet, mit der „Entwicklungsgeschichte der Grenztruppen“ befasst „und eine differenzierte Betrachtung ihrer sich wandelnden Organisationsstruktur“ abgeliefert, dann hätte ihm die tatsächliche Bedeutung der Sitzung vom 20. Januar 1961 auffallen müssen.

Auf der Tagesordnung stand die Umgruppierung der Kräfte der Deutschen Grenzpolizei. Danach wurde die relativ gleichmäßige Verteilung der Grenzkompanien entlang der gesamten Staatsgrenze der DDR beendet und die Hauptkräfte der Grenzbrigaden von den Grenzen zur CSSR und zur VR Polen an die Grenzen zu Westberlin und zur BRD verlegt.

Für die Grenzen zu den benachbarten befreundeten Staaten wurde der Übergang zur Grenzüberwachung beschlossen.

Die Betrachtung der Unterschiede zwischen Grenzsicherung und Grenzüberwachung sollte schließlich eines der erklärten Hauptziele der Arbeit sein.

Die als Zitat ausgewiesene Formulierung gibt es weder im Protokoll noch in der Anlage 7 zum Protokoll, in der die Aufgaben der Deutschen Grenzpolizei (!) festgelegt wurden.

Wissenschaftliche Belastbarkeit im Umgang mit Quellen sieht anders aus.

Hier wird auch ein Grundmangel der Arbeit deutlich, der über die Nennung von Einzelbeispielen hinausreicht.

Dem Autor scheint mindestens hinsichtlich der Grenztruppen der DDR jeder Entwicklungsgedanke fremd zu sein.

Die Negierung der Entwicklung gibt ihm die Möglichkeit, teilweise Jahrzehnte auseinander liegende Erscheinungen so miteinander zu verbinden, als seien sie zur gleichen Zeit geschehen. Das erst gibt ihm die Möglichkeit, ein seinen Intentionen passendes Bild zurecht zu legen.

Dazu gehört ebenso die Darstellung einzelner, aus ihren Zusammenhängen gelösten Erscheinungen. Nur unter Verwendung solch unwissenschaftlicher Methoden kommt er zu den angezielten Schlüssen.

 


S. 355

 

In einem Kapitel wird unterstellt, dass die DDR- Führung die Absicht gehabt habe,
die Grenztruppen als Elite- Truppe zu klassifizieren, um dann seitenlang nachzuweisen, dass das nicht gelang.

In der DDR gab es aber keinen Elite- Anspruch, jedenfalls keinen neben dem Anspruch der SED auf ihre führende Rolle in der Gesellschaft.

Ein Elite- Denken hätte dem sozialistischen Grundgedanken der DDR- Gesellschaft widersprochen.

 

S. 317 ff

 

Nachdem den wehrpflichtigen Grenzsoldaten in der Masse „widerständiges Verhalten“ zugeordnet wird, so sind die Aussagen zum Offizierskorps der Grenztruppen an den Haaren herbeigezogen.

Ihm wird die politische Überzeugung abgesprochen, seine Positionen werden mit „Überlastung, Desinteresse und disziplinaren Auffälligkeiten“ charakterisiert. Belegt wird das mit MfS- Berichten, Einzelbeispielen und Disziplinarstatistiken.

Da sich aber nichts genaues belegen lässt, verwendet der Autor wiederholt den Begriff eines „nicht unerheblichen Teils“ des Offizierskorps, der nicht aus eigener Überzeugung, sondern eher aus „materiellen oder anderen auf zukünftige Vorteile gerichteten Überlegungen“ gehandelt hätte.

Mit dem vagen Begriff „einer nicht unerheblichen Anzahl“ lassen sich Fälle, die über die Jahrzehnte gesehen eher einer Normalität entsprechen, zu einem politischen Faktor hochschreiben.

Eine Überbelastung hat es tatsächlich gegeben. Dass das Offizierskorps trotz der anhaltenden Überbelastung politisch stabil blieb, spricht doch eher für seine politischen Überzeugungen. Der Autor charakterisiert das abwertend als „politisches Zweckverhalten“. Das kann man immer behaupten.

 

S. 329, 335, 359 ff

 

In den Untersuchungen zum Binnenklima und zum Elite- Denken in den Grenztruppen stützt sich der Autor auf eine Vielzahl von Berichten des MfS.

Sie sind von der Sache her meist örtlich und zeitlich gebundene Auskünfte und Darstellungen für übergeordnete Instanzen und beziehen sich auf einzelne Personen und Vorgänge.

Wenn sie keine zentralen Analysen sind, führen sie nur schwer zu allgemeingültigen Aussagen und Schlussfolgerungen.

Das fällt dem Autor offensichtlich selbst auf. Er stellt die Frage: „Wieviel Wahrheit steckt in den Auswertungen des MfS?“ (S. 335)

Er spricht an anderer Stelle selbst von der Möglichkeit der Schwarz- weiß- Malerei, von künstlicher Dramatisierung und von Überbewertung von Zuständen, auch zur Rechtfertigung der eigenen Existenz, ja er verwendet in diesem Zusammenhang, wieder unter Berufung auf andere Autoren, den Begriff Paranoia des MfS.

Das alles aber hält ihn nicht ab, als Beweis für die Richtigkeit seiner Aussagen eben diese Akten des MfS umfänglich zu zitieren.

Er umgeht die Auseinandersetzung mit Analysen des Kommandos der Grenztruppen einschließlich seiner Politischen Verwaltung.

Stößt er tatsächlich auf Ergebnisse soziologischer Befragungen der damaligen Zeit, so zweifelt er sie mit der Unterstellung an, die Soldaten hätten ja nicht sicher sein können, ob die zugesicherte Anonymität auch eingehalten würde, also hätten sie auch hier möglicherweise die Unwahrheit gesagt. (S. 366)

So lassen sich alle Aussagen und Dokumente in ihr Gegenteil verkehren.

Als Quelle hätten sich ja auch Zeitzeugen erschließen lassen.

Der Autor gibt an, dass er sieben Personen befragt habe. Das ist nicht eben viel, wenn ich die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Grenztruppen nachträglich untersuchen will und Hunderte Zeitzeugen noch leben und zur Verfügung stehen. Aber möglicherweise sagen auch sie nicht die Wahrheit? Da verlässt man sich schon besser auf die MfS- Akten.

 

S. 418

 

Es ist irreführend, wenn der Anschein erweckt wird, Regelungen des Strafgesetzbuches der DDR
(erlassen 1968) und des Grenzgesetzes (erlassen 1982) seien gleichzeitig mit der am 18. Juni 1954 aufgehobenen Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie vom 27. Mai 1952 in Kraft gewesen.

Es werden relativ willkürlich teilweise Jahrzehnte auseinander liegende Erscheinungen so miteinander verbunden, dass ein im Sinne der Intention passendes Bild entsteht.

 

Beispiele für sachliche Fehler:

 

S. 46, 67

 

Falsche Strukturangabe zu den Grenztruppen. In Perleberg gab es keine zwei Grenzbrigaden. Im GKM gab es kein Pionierbataillon

 

S.69 ff

 

Dem Grenzkommando Mitte (Berlin) wird das Dienstsystem Bataillonssicherung zugeordnet und ausführlich beschrieben.

Das ist falsch.

Wie der Auto selbst an anderer Stelle richtig anmerkt, gab es im Grenzkommando Mitte keine Grenzbataillone.

Zudem werden Sinn und Zweck der Bataillonssicherung auch für die Westgrenze falsch erklärt.

Das richtige Verständnis der Dienstsysteme mit ihren Konsequenzen für den gesamten täglichen Dienstablauf ist aber eine Grundvoraussetzung für die Beurteilung innerer Entwicklungen in den Einheiten der Grenztruppen.

 

S.82

 

Die Ausrüstung der Grenztruppen mit SPW- Technik wird falsch dargestellt.

Das GAR-5, ausgerüstet mit SPW PSH verfügte über SPW nur deshalb, weil es auf Grund seines Standortes im Gefechtsfall der Berliner Gruppierung zugeordnet war.

Seine SPW- Ausrüstung hatte mit Grenzsicherung an der Westgrenze der DDR nichts zu tun, obgleich es zum Grenzkommando NORD (Westgrenze) gehörte.

Solche Zusammenhänge sind dem Autor offensichtlich unbekannt.

 

S.172

 

Die Dienststellung „Stellvertreter des Regimentskommandeurs für Grenzsicherung“ , die angeblich eine „zentrale Funktion bei der Führung der Grenzsicherung“ ausübte, gab es an der Westgrenze nicht.

Dass es sie im Grenzkommando Mitte (Berlin) gab, resultierte primär aus den Gefechtsaufgaben dieses Verbandes.

Im Gefechtsfall sollte dieser Stellvertreter mit Restkräften im Abschnitt verbleiben.

Die Zusammenhänge zwischen täglicher Sicherung und zugeordneten Gefechtsaufgaben der Einheiten sind gerade für das Grenzkommando Mitte falsch interpretiert.

Stellenpläne sind offensichtlich nur ungenau bekannt.

 

S. 215

 

Selbst die Angaben zum Urlaub der Angehörigen der Grenztruppen, die der Autor im Zusammenhang mit der Untersuchung ihrer Belastung macht, sind falsch.

Zitat: „Offiziere und Fähnriche hatten einen Anspruch von 30 Urlaubstagen im Kalenderjahr.“ Die Angaben werden im Kontext auf das Jahr 1975 bezogen. Da galt die DV 10/14 Urlaubsordnung der Nationalen Volksarmee, Ausgabejahr 1968 in der Fassung der 4. Berichtigung vom 1. 1. 1974.

Danach erhielt der Berufsoffizier ab dem 16. Dienstjahr 46 Tage Jahresurlaub unter Anrechnung von 4 Sonntagen

Das ist immerhin ein um fast die Hälfte höherer Anspruch als der Autor angibt.

Seine Zahlen sind nahezu alle nicht belastbar.

Erwähnenswert ist, das er vom Dienstverhältnis Fähnrich in Zeiten spricht, in denen es in NVA und Grenztruppen noch gar nicht eingeführt war.

Die Einführung erfolgte 1973.

S. 247

 

Völlig falsche Angaben werden zu dem Dienstverhältnis der Offiziere auf Zeit gemacht.

Er spricht von zwei Jahren Ausbildung und einem Jahr Dienst in der Truppe.

Das Dienstverhältnis belief sich aber auf 4 Jahre, davon ein Jahr Ausbildung an der Offiziershochschule und drei Jahre Dienst in der Truppe.

Die falschen Annahmen des Autors stellen alle folgenden Aussagen zum Verhalten, zu den Disziplinarvergehen etc. dieser Offiziere in Frage.

 

S. 415

 

Die Breite des Grenzabschnittes eines Grenzbataillons wird mit 100 km angegeben (GR- 25).

Real waren es weniger als die Hälfte.

Wesentlich falsche Vorstellungen über die Breite des zugeordneten Abschnittes müssen zu falschen Aussagen bezüglich Verantwortlichkeiten auch und gerade bezüglich der Zusammenarbeit mit der Grenzbevölkerung führen.